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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

enseiner Meinung der Krieg schon zu lange geführt worden war. Bei der erst...
Nachricht von der Expedition im Innern von Frankreich durchführt ihn "ein
unnennbarer Schreck." Denn damit erschienen ihm die europäischen Angelegen¬
heiten aufs neue und fast unlösbar verwirrt, dem Einflüsse Rußlands der ge¬
fährlichste Spielraum gegeben. Ruhe und Friede abermals in kaum absehbare
Zukunft hinausgerückt. Jetzt war er friedeussüchtiger als selbst Mettermch ge¬
worden. Die auseinandergehenden Interessen der Verbündeten, meinte er aber,
müßten jenseits des Rheins sofort zu Tage treten. Er wollte nun "em ver¬
borgnes Geschwür, das an der Lebenskraft des Bundes nage," wahrnehmen. Der
Gedanke, daß in Frankreich ein vollständiger Umschwung erfolgen müsse, war
ihm vollends zuwider; er konnte sich selbst dann noch nicht mit ihm befreunden,
als Mettermch und Kaiser Franz bereits für ihm gewonnen waren. Im Februar
übersandte ihm der Fürst Aktenstücke, in welchen u. a. die Frage erörtert wurde,
ob eine innere Negierungsveründerung in Frankreich zu begünstigen sei. Gentz
verneint sie aufs entschiedenste, er müsse, schreibt er. "seiner Durchlaucht frei¬
mütig bekennen, daß das darüber in den Aktenstücken aufgestellte System an
ihm nie einen Verteidiger finden" werde. Kaiser Alexander war der Ansicht, daß
"an der französischen Nation selbst die Entscheidung über ihre künftige ^e-
gierungsform anheimstellen solle, es schien ihm dann nicht fraglich, daß Na¬
poleon gestürzt werden und die Bourbonen wieder auf deu Thron gelangen
würden. Gentz ist ganz andrer Meinung: "Der Grundsatz, daß ein Souverän
nicht berechtigt ist. sich in die innern Regierungsangelegenheiten fremder Staaten
zu mischen, ist falsch und verderblich ... weil er eine" andern voraussetzt, der
mit monarchischen Ideen in schneidendsten Widerspruch steht, den man in unsern
Zeiten kaum aussprechen hören kann und den von Euer Durchlaucht niederge¬
schrieben, von Seiner Majestät sanktionirt zu sehen, mir noch jetzt wie ein ängst¬
licher Traum vorkommt: daß nämlich - ich halte mich an die eigensten Worte -
die Frage von der Regieruugsverändcrung eine Nationalfrage sei. daß der Na¬
tion die Initiative dabei zustehe, daß es von ihr abhänge, ob sie den wirklich
regierenden Souverän toleriren will oder nicht." Dieser Grundsatz sei nur nach
englischen Begriffen haltbar. Auch seien es nur die Engländer, die jetzt diese Ansicht
verträten. Die Konsequenz, die Mettermch da an ihnen rühme, habe in seinen
Augen kein sonderliches Verdienst, sie habe vielmehr in gewissen Fällen unend¬
liches Übel gestiftet, so in Spanien. Aber ein rein monarchischer Staat dürfe
diesen Grundsatz schon garnicht anerkennen. "Jenes Prinzip der sogenannten
Volkssouveränität ist ganz eigentlich der Angelpunkt, um welchen alle revolu¬
tionären Systeme sich drehen."

^^"^.^Mehr als diese Ausführung überrascht uns in demselben Tchnftstue!. daß
Gentz die Frage aufwirft, ob denn Napoleon wirklich ein Usurpator sti. Er
ist fast geneigt sie u verneinen. ..Selbst die Frevel von 1789 is 1793 waren
i" Formen gekleidet, die nicht illegaler waren als die in England von 1648


Friedrich von Gentz.

enseiner Meinung der Krieg schon zu lange geführt worden war. Bei der erst...
Nachricht von der Expedition im Innern von Frankreich durchführt ihn „ein
unnennbarer Schreck." Denn damit erschienen ihm die europäischen Angelegen¬
heiten aufs neue und fast unlösbar verwirrt, dem Einflüsse Rußlands der ge¬
fährlichste Spielraum gegeben. Ruhe und Friede abermals in kaum absehbare
Zukunft hinausgerückt. Jetzt war er friedeussüchtiger als selbst Mettermch ge¬
worden. Die auseinandergehenden Interessen der Verbündeten, meinte er aber,
müßten jenseits des Rheins sofort zu Tage treten. Er wollte nun „em ver¬
borgnes Geschwür, das an der Lebenskraft des Bundes nage," wahrnehmen. Der
Gedanke, daß in Frankreich ein vollständiger Umschwung erfolgen müsse, war
ihm vollends zuwider; er konnte sich selbst dann noch nicht mit ihm befreunden,
als Mettermch und Kaiser Franz bereits für ihm gewonnen waren. Im Februar
übersandte ihm der Fürst Aktenstücke, in welchen u. a. die Frage erörtert wurde,
ob eine innere Negierungsveründerung in Frankreich zu begünstigen sei. Gentz
verneint sie aufs entschiedenste, er müsse, schreibt er. „seiner Durchlaucht frei¬
mütig bekennen, daß das darüber in den Aktenstücken aufgestellte System an
ihm nie einen Verteidiger finden" werde. Kaiser Alexander war der Ansicht, daß
»an der französischen Nation selbst die Entscheidung über ihre künftige ^e-
gierungsform anheimstellen solle, es schien ihm dann nicht fraglich, daß Na¬
poleon gestürzt werden und die Bourbonen wieder auf deu Thron gelangen
würden. Gentz ist ganz andrer Meinung: „Der Grundsatz, daß ein Souverän
nicht berechtigt ist. sich in die innern Regierungsangelegenheiten fremder Staaten
zu mischen, ist falsch und verderblich ... weil er eine» andern voraussetzt, der
mit monarchischen Ideen in schneidendsten Widerspruch steht, den man in unsern
Zeiten kaum aussprechen hören kann und den von Euer Durchlaucht niederge¬
schrieben, von Seiner Majestät sanktionirt zu sehen, mir noch jetzt wie ein ängst¬
licher Traum vorkommt: daß nämlich - ich halte mich an die eigensten Worte -
die Frage von der Regieruugsverändcrung eine Nationalfrage sei. daß der Na¬
tion die Initiative dabei zustehe, daß es von ihr abhänge, ob sie den wirklich
regierenden Souverän toleriren will oder nicht." Dieser Grundsatz sei nur nach
englischen Begriffen haltbar. Auch seien es nur die Engländer, die jetzt diese Ansicht
verträten. Die Konsequenz, die Mettermch da an ihnen rühme, habe in seinen
Augen kein sonderliches Verdienst, sie habe vielmehr in gewissen Fällen unend¬
liches Übel gestiftet, so in Spanien. Aber ein rein monarchischer Staat dürfe
diesen Grundsatz schon garnicht anerkennen. „Jenes Prinzip der sogenannten
Volkssouveränität ist ganz eigentlich der Angelpunkt, um welchen alle revolu¬
tionären Systeme sich drehen."

^^„^.^Mehr als diese Ausführung überrascht uns in demselben Tchnftstue!. daß
Gentz die Frage aufwirft, ob denn Napoleon wirklich ein Usurpator sti. Er
ist fast geneigt sie u verneinen. ..Selbst die Frevel von 1789 is 1793 waren
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[0173] Friedrich von Gentz. enseiner Meinung der Krieg schon zu lange geführt worden war. Bei der erst... Nachricht von der Expedition im Innern von Frankreich durchführt ihn „ein unnennbarer Schreck." Denn damit erschienen ihm die europäischen Angelegen¬ heiten aufs neue und fast unlösbar verwirrt, dem Einflüsse Rußlands der ge¬ fährlichste Spielraum gegeben. Ruhe und Friede abermals in kaum absehbare Zukunft hinausgerückt. Jetzt war er friedeussüchtiger als selbst Mettermch ge¬ worden. Die auseinandergehenden Interessen der Verbündeten, meinte er aber, müßten jenseits des Rheins sofort zu Tage treten. Er wollte nun „em ver¬ borgnes Geschwür, das an der Lebenskraft des Bundes nage," wahrnehmen. Der Gedanke, daß in Frankreich ein vollständiger Umschwung erfolgen müsse, war ihm vollends zuwider; er konnte sich selbst dann noch nicht mit ihm befreunden, als Mettermch und Kaiser Franz bereits für ihm gewonnen waren. Im Februar übersandte ihm der Fürst Aktenstücke, in welchen u. a. die Frage erörtert wurde, ob eine innere Negierungsveründerung in Frankreich zu begünstigen sei. Gentz verneint sie aufs entschiedenste, er müsse, schreibt er. „seiner Durchlaucht frei¬ mütig bekennen, daß das darüber in den Aktenstücken aufgestellte System an ihm nie einen Verteidiger finden" werde. Kaiser Alexander war der Ansicht, daß »an der französischen Nation selbst die Entscheidung über ihre künftige ^e- gierungsform anheimstellen solle, es schien ihm dann nicht fraglich, daß Na¬ poleon gestürzt werden und die Bourbonen wieder auf deu Thron gelangen würden. Gentz ist ganz andrer Meinung: „Der Grundsatz, daß ein Souverän nicht berechtigt ist. sich in die innern Regierungsangelegenheiten fremder Staaten zu mischen, ist falsch und verderblich ... weil er eine» andern voraussetzt, der mit monarchischen Ideen in schneidendsten Widerspruch steht, den man in unsern Zeiten kaum aussprechen hören kann und den von Euer Durchlaucht niederge¬ schrieben, von Seiner Majestät sanktionirt zu sehen, mir noch jetzt wie ein ängst¬ licher Traum vorkommt: daß nämlich - ich halte mich an die eigensten Worte - die Frage von der Regieruugsverändcrung eine Nationalfrage sei. daß der Na¬ tion die Initiative dabei zustehe, daß es von ihr abhänge, ob sie den wirklich regierenden Souverän toleriren will oder nicht." Dieser Grundsatz sei nur nach englischen Begriffen haltbar. Auch seien es nur die Engländer, die jetzt diese Ansicht verträten. Die Konsequenz, die Mettermch da an ihnen rühme, habe in seinen Augen kein sonderliches Verdienst, sie habe vielmehr in gewissen Fällen unend¬ liches Übel gestiftet, so in Spanien. Aber ein rein monarchischer Staat dürfe diesen Grundsatz schon garnicht anerkennen. „Jenes Prinzip der sogenannten Volkssouveränität ist ganz eigentlich der Angelpunkt, um welchen alle revolu¬ tionären Systeme sich drehen." ^^„^.^Mehr als diese Ausführung überrascht uns in demselben Tchnftstue!. daß Gentz die Frage aufwirft, ob denn Napoleon wirklich ein Usurpator sti. Er ist fast geneigt sie u verneinen. ..Selbst die Frevel von 1789 is 1793 waren i» Formen gekleidet, die nicht illegaler waren als die in England von 1648

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/173>, abgerufen am 17.09.2024.