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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Kriegsbefürchtungen und die Kevue ach äsux monäes.

nur die Teilung nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Das sieht auch unser Publizist
ein. Die drei Mächte würden sich schwerlich in Frieden über ihren Anteil an der
Beute auseinandersetzen, und der Vermittlung Deutschlands würde die Einigung
wahrscheinlich ebensowenig gelingen, wie sie bis jetzt betreffs Bulgariens ge¬
lungen ist. Der Verfasser hebt besonders hervor, daß die deutsche Vermittlung
in dieser Frage niemand befriedigt, und daß sein Ansehen dadurch einen ersten
kleinen Stoß erhalten habe. Weil nnn Deutschland jenen drei Staaten nur
eine ganz unsichere Aussicht auf künftige Gewinne eröffnen könne oder sich durch
besondre Begünstigung eines einzelnen die beiden andern zu Feinden machen
müsse, was es niemals wagen werde, so habe deshalb die Fortdauer des Friedens
die größten Chancen. Er meint, Regierungen und Völker hätten den entsetz¬
lichen Folgen des Krieges ins Antlitz geschaut und bebten davor zurück. Wir
wollen wünschen, daß er Recht behalte, so kühn die Behauptung seinem eignen
Volke gegenüber klingt.

"Die Regierung - fährt er fort -. welche bei einem Kriege die größten
Chancen für sich zu haben scheint, hat erklärt, daß sie ihn nicht provoziren
werde. Ihr Interesse bürgt für ihre Aufrichtigkeit. Selbst für sie wären die
Triumphe zweifelhaft und fern, die Leiden sicher und unmittelbar; auch hat sie
nicht mehr so viel zu gewinnen wie zu verlieren. Die Gründer des Reiches
haben von dein Schicksal verlangt und erhalten, was dasselbe nie vorher be¬
willigt hat; es ist ihnen gelungen, Europa ein bisher von niemand geduldetes
maßloses Übergewicht annehmbar zu machen; sie haben in einem Menschenalter
den Ruhm und die Thaten von Jahrhunderten zusammengehäuft"

Wenn aber unser Politiker selbst zugiebt oder zuzugeben scheint, daß die
Führer des deutschen Reiches den Krieg nicht wünschten, so meint er doch der¬
selbe sei nichtsdestoweniger zu fürchten, wenn der Gang der Ereignisse von der
Weisheit oder Thorheit eines Einzelnen abhinge. Aber in diesem Augenblicke
sei er nur durch die Thorheit aller möglich. "Die kleinen Nationen mit Ver¬
nichtung bedroht, mußten lebensmüde sein, die großen müßten sich'verbunden
haben, um die schwachen unter sich zu teilen, und alle müßten an die Mäßigung
die Gerechtigkeit, die ewige Freundschaft Deutschlands glauben (') Es
genügt, daß eine einzige dieser Mächte ihre Stimme hören läßt, damit der
Krieg unmöglich werde. An der Spitze dieser Länder stehen zu klarblickende
Staatsmänner. .. Es entgeht ihnen nicht, daß jede unbeschränkte Macht eines
Staates eine Gefahr für ihn selbst und für die andern wird, und daß wenn
in ganz Europa noch Mächte genng bestehen, um seine Unabhängigkeit zu ver¬
teidigen, doch nicht eine zu viel da ist. Wir werden immer unsern Platz unter
ihnen bewahren, unfähig die Herrschaft auszuüben, doch noch mächtig genug
die Freiheit aller zu verteidigen. Wir bedürfen Europas; es bedarf unser nicht
minder, denn alles, was Frankreich geraubt wurde, wurde dem Gleichgewicht
der Welt geraubt."


Grenzboten II. 1887. 2
Die Kriegsbefürchtungen und die Kevue ach äsux monäes.

nur die Teilung nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Das sieht auch unser Publizist
ein. Die drei Mächte würden sich schwerlich in Frieden über ihren Anteil an der
Beute auseinandersetzen, und der Vermittlung Deutschlands würde die Einigung
wahrscheinlich ebensowenig gelingen, wie sie bis jetzt betreffs Bulgariens ge¬
lungen ist. Der Verfasser hebt besonders hervor, daß die deutsche Vermittlung
in dieser Frage niemand befriedigt, und daß sein Ansehen dadurch einen ersten
kleinen Stoß erhalten habe. Weil nnn Deutschland jenen drei Staaten nur
eine ganz unsichere Aussicht auf künftige Gewinne eröffnen könne oder sich durch
besondre Begünstigung eines einzelnen die beiden andern zu Feinden machen
müsse, was es niemals wagen werde, so habe deshalb die Fortdauer des Friedens
die größten Chancen. Er meint, Regierungen und Völker hätten den entsetz¬
lichen Folgen des Krieges ins Antlitz geschaut und bebten davor zurück. Wir
wollen wünschen, daß er Recht behalte, so kühn die Behauptung seinem eignen
Volke gegenüber klingt.

„Die Regierung - fährt er fort -. welche bei einem Kriege die größten
Chancen für sich zu haben scheint, hat erklärt, daß sie ihn nicht provoziren
werde. Ihr Interesse bürgt für ihre Aufrichtigkeit. Selbst für sie wären die
Triumphe zweifelhaft und fern, die Leiden sicher und unmittelbar; auch hat sie
nicht mehr so viel zu gewinnen wie zu verlieren. Die Gründer des Reiches
haben von dein Schicksal verlangt und erhalten, was dasselbe nie vorher be¬
willigt hat; es ist ihnen gelungen, Europa ein bisher von niemand geduldetes
maßloses Übergewicht annehmbar zu machen; sie haben in einem Menschenalter
den Ruhm und die Thaten von Jahrhunderten zusammengehäuft"

Wenn aber unser Politiker selbst zugiebt oder zuzugeben scheint, daß die
Führer des deutschen Reiches den Krieg nicht wünschten, so meint er doch der¬
selbe sei nichtsdestoweniger zu fürchten, wenn der Gang der Ereignisse von der
Weisheit oder Thorheit eines Einzelnen abhinge. Aber in diesem Augenblicke
sei er nur durch die Thorheit aller möglich. „Die kleinen Nationen mit Ver¬
nichtung bedroht, mußten lebensmüde sein, die großen müßten sich'verbunden
haben, um die schwachen unter sich zu teilen, und alle müßten an die Mäßigung
die Gerechtigkeit, die ewige Freundschaft Deutschlands glauben (') Es
genügt, daß eine einzige dieser Mächte ihre Stimme hören läßt, damit der
Krieg unmöglich werde. An der Spitze dieser Länder stehen zu klarblickende
Staatsmänner. .. Es entgeht ihnen nicht, daß jede unbeschränkte Macht eines
Staates eine Gefahr für ihn selbst und für die andern wird, und daß wenn
in ganz Europa noch Mächte genng bestehen, um seine Unabhängigkeit zu ver¬
teidigen, doch nicht eine zu viel da ist. Wir werden immer unsern Platz unter
ihnen bewahren, unfähig die Herrschaft auszuüben, doch noch mächtig genug
die Freiheit aller zu verteidigen. Wir bedürfen Europas; es bedarf unser nicht
minder, denn alles, was Frankreich geraubt wurde, wurde dem Gleichgewicht
der Welt geraubt."


Grenzboten II. 1887. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/17>, abgerufen am 17.09.2024.