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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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___geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

und ferner ein Ständewesen- und da das Gewohnheitsrecht für seine Fort¬
bildung auf diese engen Kreise angewiesen war, so erfolgte in den kleinen Ge¬
bieten die Entstehung verschiedner Standerechte, so von Stadtrechten für den
Bürgerstand, von Hofrechten für den landsässigen Adel, von Dienstrechten für
die Unfreien und Halbfreien. So stellte das deutsche Recht am Ausgange des
Mittelalters ein Bild der größten Zersplitterung dar.
Di

e Wendung zum Bessern erfolgte für das deutsche Recht schon etwas
früher als für die Verfassungsverhältnifse des Reiches. Es waren vornehmlichdrei Ursachen, welche einen langsamen Umschwung bewirkten: einmal die Auf¬
nahme (Rezeption) des römischen Rechts, sodann die zur Zeit der Reformation
wieder etwas fleißiger arbeitende Gesetzgebung der Reichstage, drittens, mittelbar,
das Aufkommen und Erstarken des Absolutismus in den einzelnen deutschen
Ländern seit dem westfälischen Frieden.

Wir betrachten zunächst die Aufnahme des römischen Rechtes. Woher
diese merkwürdige Erscheinung, welche von weittragender Bedeutung für die
Entwicklung des deutschen Rechts geworden ist. die Erscheinung, daß ein Volk
freiwillig, ohne ausdrückliche Anordnung der gesetzgebenden Gewalt, em fremdes
Recht gewissermaßen adoptirte? Die "Rezeption" erfolgte seit der Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts sehr allmählich, nicht etwa durch Gesetz, sondern durch
Gewohnheit. Zu einem gewissen Abschlüsse kam sie in der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts. Sehr verschiedne Ursache" von sehr verschiednen Gewicht haben
sie herbeigeführt. Ganz unbekannt war das römische Recht schon vor der Aus¬
nahme in Deutschland nicht, da. wie schon erwähnt, namentlich die Geistlichen
außer nach dem kanonischen Rechte nach römischem Rechte lebten, und die geist¬
lichen Sachen somit nach dem römischen Lorpus M-is oivilis, soweit dessen For¬
schriften nicht der Gesetzgebung der Päpste und Konzilien widersprachen, ent¬
schieden wurden. Dies führte natürlich zum Studium des römischen Rechts,
für welches Studium die von den dentschen Nechtsbeflissenen mit Vor.ehe be¬
suchte italienische Universität Bologna Mittelpunkt wurde. Noch mehr be ordert
ward dieses Studium durch das Aufkommen der sogenannten humanistischen
Richtung zur Zeit der Reformation. Der Hnmanis.nus, dem man u a. auch
den Reformator Melanchthon zuzählen darf, bestand bekanntlich " der Ver¬
ehrung der klassischen Erzeugnisse der griechischen und rö.nischen Kunst^uno
Wissenschaft. Obwohl nun zwar das 0orxu8 Ms "ivilis von Kaiser ^.stt-
nianus herrührt, also erst aus der byzantinischen, nicht der klassischen ron eben
Zeit stammt, so konnten doch die Humanisten dieses Werk unter d.e k a M "
Erzeugnisse rechnen, weil die Verfasser des e°rxu8 ""r Kompila oren
waren, welche die Ernte der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt, die für
das römische Recht die klassische Zeit darstellen, einheimsten. Das vorpu"
°ivUi8 ist eine Gesetzsammlung, nicht -in Gesetzbuch im neuern Sen^E.rst
im Laufe der Jahre S28 bis 533 auf Veranlassung des bereits christlichen ost-


Grenzboten II. 1887.
___geschichtlichen Grundlagen der deutschen Rechtseinheit.

und ferner ein Ständewesen- und da das Gewohnheitsrecht für seine Fort¬
bildung auf diese engen Kreise angewiesen war, so erfolgte in den kleinen Ge¬
bieten die Entstehung verschiedner Standerechte, so von Stadtrechten für den
Bürgerstand, von Hofrechten für den landsässigen Adel, von Dienstrechten für
die Unfreien und Halbfreien. So stellte das deutsche Recht am Ausgange des
Mittelalters ein Bild der größten Zersplitterung dar.
Di

e Wendung zum Bessern erfolgte für das deutsche Recht schon etwas
früher als für die Verfassungsverhältnifse des Reiches. Es waren vornehmlichdrei Ursachen, welche einen langsamen Umschwung bewirkten: einmal die Auf¬
nahme (Rezeption) des römischen Rechts, sodann die zur Zeit der Reformation
wieder etwas fleißiger arbeitende Gesetzgebung der Reichstage, drittens, mittelbar,
das Aufkommen und Erstarken des Absolutismus in den einzelnen deutschen
Ländern seit dem westfälischen Frieden.

Wir betrachten zunächst die Aufnahme des römischen Rechtes. Woher
diese merkwürdige Erscheinung, welche von weittragender Bedeutung für die
Entwicklung des deutschen Rechts geworden ist. die Erscheinung, daß ein Volk
freiwillig, ohne ausdrückliche Anordnung der gesetzgebenden Gewalt, em fremdes
Recht gewissermaßen adoptirte? Die „Rezeption" erfolgte seit der Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts sehr allmählich, nicht etwa durch Gesetz, sondern durch
Gewohnheit. Zu einem gewissen Abschlüsse kam sie in der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts. Sehr verschiedne Ursache» von sehr verschiednen Gewicht haben
sie herbeigeführt. Ganz unbekannt war das römische Recht schon vor der Aus¬
nahme in Deutschland nicht, da. wie schon erwähnt, namentlich die Geistlichen
außer nach dem kanonischen Rechte nach römischem Rechte lebten, und die geist¬
lichen Sachen somit nach dem römischen Lorpus M-is oivilis, soweit dessen For¬
schriften nicht der Gesetzgebung der Päpste und Konzilien widersprachen, ent¬
schieden wurden. Dies führte natürlich zum Studium des römischen Rechts,
für welches Studium die von den dentschen Nechtsbeflissenen mit Vor.ehe be¬
suchte italienische Universität Bologna Mittelpunkt wurde. Noch mehr be ordert
ward dieses Studium durch das Aufkommen der sogenannten humanistischen
Richtung zur Zeit der Reformation. Der Hnmanis.nus, dem man u a. auch
den Reformator Melanchthon zuzählen darf, bestand bekanntlich " der Ver¬
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Wissenschaft. Obwohl nun zwar das 0orxu8 Ms «ivilis von Kaiser ^.stt-
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im Laufe der Jahre S28 bis 533 auf Veranlassung des bereits christlichen ost-


Grenzboten II. 1887.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/161>, abgerufen am 17.09.2024.