Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

dem lebten manche der unterworfenen Römer, namentlich aber die Geistlichen,
für welche gleichsam die Heimat Rom war, wo die Kirchenleitung mit ihrem
?ontitLx MÄximus, dem Papste, ihren Sitz hatte, nach römischem Rechte. Die
Geistlichkeit regelte aber ihre Rechtsverhältnisse außerdem auch nach den im
Laufe der Zeit von den Päpsten erlassenen oder auf den kirchlichen Konzilien
beschlossenen, später in dem OorxuZ M'i3 oanviriei gesammelten Verordnungen,
iümionvs, auch Dsoröwlös genannt. Sie behielt dieses Recht auch, als der Grund¬
satz des Personalrechts dem Grundsatz des Tcrritorialrechts Platz machte, was
gegen Ausgang des Mittelalters geschah.

Wenn nun auch das Recht kein Abstammungsrecht mehr war, so hatte es
doch den Charakter des Stammesrechts bewahrt, und zwar umsomehr, als die
Reichsgesetzgebung im spätern Mittelalter infolge der großen Schwäche der
Reichsgewalt sehr dürftig blieb, während die frühern Reichsgesetze veralteten,
und das noch etwa in ihnen enthaltene Anwendbare sich in Gewohnheitsrecht
umwandelte. Dieses kann man für die zweite Hälfte des Mittelalters als das
fast allein geltende Recht einheimischen Ursprungs ansehen. Der leichtern An¬
wendung halber fing man wieder an, das Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen.
Diese Thätigkeit ging nicht von der Staatsgewalt, sondern von rechtskundigen
Privatleuten aus. Wie sehr aber diese Aufzeichnungen, gemeinhin "Rechts¬
bücher" genannt, einem Bedürfnis entgegen kamen, zeigt die fast gesetzliche Be¬
deutung, welche einige derselben, namentlich der Sachsenspiegel, erlangten. Der
Sachsenspiegel ist in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von einem
Schöffen zu Salpke bei Magdeburg, namens Eicke von Nepgow, zuerst in
lateinischer Sprache, dann in der niedersächsischen Mundart verfaßt worden.
Wir finden darin einen kräftigen Stil, gute Rechtskunde und eine ehrenwerte,
nationale, die Freiheit des deutschen Volkes von ausländischem Einfluß ver¬
tretende Gesinnung. Vom Papst Gregor XI. wurden im Jahre 1374 vierzehn
Artikel dieses Buches mit dein Bannfluch belegt. Der Sachsenspiegel stellt
sächsisches und Reichsrecht dar. Wir besitzen ihn in verschiednen, nach und
nach mit Zusätzen versehenen Ausgaben, einen Teil, das Lehnrecht, in lateinischer
und deutscher Sprache. Er ist auch über Deutschlands Grenzen hinaus ver¬
breitet und in fremde Sprachen übersetzt worden. Den Namen "Spiegel" er¬
klärt die gereimte Vorrede des Buches wie folgt:


Spigel der Saxa sal diz duch sin genant,
Wende faxen recht is dir an bekant,
Als an einem spiegele de vrouwen
Ire antlize beschouwen.

Nach der Wendung, die unsers Volkes staatliche Einrichtungen im Mittel¬
alter leider nahmen, verblieb es nicht bei der Trennung des Rechts in Stammes¬
rechte. Innerhalb der Stämme entwickelten sich eine große Anzahl mehr oder
weniger der Reichsgewalt sich unterordnender kleinerer Herrschaften und Gebiete


dem lebten manche der unterworfenen Römer, namentlich aber die Geistlichen,
für welche gleichsam die Heimat Rom war, wo die Kirchenleitung mit ihrem
?ontitLx MÄximus, dem Papste, ihren Sitz hatte, nach römischem Rechte. Die
Geistlichkeit regelte aber ihre Rechtsverhältnisse außerdem auch nach den im
Laufe der Zeit von den Päpsten erlassenen oder auf den kirchlichen Konzilien
beschlossenen, später in dem OorxuZ M'i3 oanviriei gesammelten Verordnungen,
iümionvs, auch Dsoröwlös genannt. Sie behielt dieses Recht auch, als der Grund¬
satz des Personalrechts dem Grundsatz des Tcrritorialrechts Platz machte, was
gegen Ausgang des Mittelalters geschah.

Wenn nun auch das Recht kein Abstammungsrecht mehr war, so hatte es
doch den Charakter des Stammesrechts bewahrt, und zwar umsomehr, als die
Reichsgesetzgebung im spätern Mittelalter infolge der großen Schwäche der
Reichsgewalt sehr dürftig blieb, während die frühern Reichsgesetze veralteten,
und das noch etwa in ihnen enthaltene Anwendbare sich in Gewohnheitsrecht
umwandelte. Dieses kann man für die zweite Hälfte des Mittelalters als das
fast allein geltende Recht einheimischen Ursprungs ansehen. Der leichtern An¬
wendung halber fing man wieder an, das Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen.
Diese Thätigkeit ging nicht von der Staatsgewalt, sondern von rechtskundigen
Privatleuten aus. Wie sehr aber diese Aufzeichnungen, gemeinhin „Rechts¬
bücher" genannt, einem Bedürfnis entgegen kamen, zeigt die fast gesetzliche Be¬
deutung, welche einige derselben, namentlich der Sachsenspiegel, erlangten. Der
Sachsenspiegel ist in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von einem
Schöffen zu Salpke bei Magdeburg, namens Eicke von Nepgow, zuerst in
lateinischer Sprache, dann in der niedersächsischen Mundart verfaßt worden.
Wir finden darin einen kräftigen Stil, gute Rechtskunde und eine ehrenwerte,
nationale, die Freiheit des deutschen Volkes von ausländischem Einfluß ver¬
tretende Gesinnung. Vom Papst Gregor XI. wurden im Jahre 1374 vierzehn
Artikel dieses Buches mit dein Bannfluch belegt. Der Sachsenspiegel stellt
sächsisches und Reichsrecht dar. Wir besitzen ihn in verschiednen, nach und
nach mit Zusätzen versehenen Ausgaben, einen Teil, das Lehnrecht, in lateinischer
und deutscher Sprache. Er ist auch über Deutschlands Grenzen hinaus ver¬
breitet und in fremde Sprachen übersetzt worden. Den Namen „Spiegel" er¬
klärt die gereimte Vorrede des Buches wie folgt:


Spigel der Saxa sal diz duch sin genant,
Wende faxen recht is dir an bekant,
Als an einem spiegele de vrouwen
Ire antlize beschouwen.

Nach der Wendung, die unsers Volkes staatliche Einrichtungen im Mittel¬
alter leider nahmen, verblieb es nicht bei der Trennung des Rechts in Stammes¬
rechte. Innerhalb der Stämme entwickelten sich eine große Anzahl mehr oder
weniger der Reichsgewalt sich unterordnender kleinerer Herrschaften und Gebiete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288613"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_467" prev="#ID_466"> dem lebten manche der unterworfenen Römer, namentlich aber die Geistlichen,<lb/>
für welche gleichsam die Heimat Rom war, wo die Kirchenleitung mit ihrem<lb/>
?ontitLx MÄximus, dem Papste, ihren Sitz hatte, nach römischem Rechte. Die<lb/>
Geistlichkeit regelte aber ihre Rechtsverhältnisse außerdem auch nach den im<lb/>
Laufe der Zeit von den Päpsten erlassenen oder auf den kirchlichen Konzilien<lb/>
beschlossenen, später in dem OorxuZ M'i3 oanviriei gesammelten Verordnungen,<lb/>
iümionvs, auch Dsoröwlös genannt. Sie behielt dieses Recht auch, als der Grund¬<lb/>
satz des Personalrechts dem Grundsatz des Tcrritorialrechts Platz machte, was<lb/>
gegen Ausgang des Mittelalters geschah.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_468"> Wenn nun auch das Recht kein Abstammungsrecht mehr war, so hatte es<lb/>
doch den Charakter des Stammesrechts bewahrt, und zwar umsomehr, als die<lb/>
Reichsgesetzgebung im spätern Mittelalter infolge der großen Schwäche der<lb/>
Reichsgewalt sehr dürftig blieb, während die frühern Reichsgesetze veralteten,<lb/>
und das noch etwa in ihnen enthaltene Anwendbare sich in Gewohnheitsrecht<lb/>
umwandelte. Dieses kann man für die zweite Hälfte des Mittelalters als das<lb/>
fast allein geltende Recht einheimischen Ursprungs ansehen. Der leichtern An¬<lb/>
wendung halber fing man wieder an, das Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen.<lb/>
Diese Thätigkeit ging nicht von der Staatsgewalt, sondern von rechtskundigen<lb/>
Privatleuten aus. Wie sehr aber diese Aufzeichnungen, gemeinhin &#x201E;Rechts¬<lb/>
bücher" genannt, einem Bedürfnis entgegen kamen, zeigt die fast gesetzliche Be¬<lb/>
deutung, welche einige derselben, namentlich der Sachsenspiegel, erlangten. Der<lb/>
Sachsenspiegel ist in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von einem<lb/>
Schöffen zu Salpke bei Magdeburg, namens Eicke von Nepgow, zuerst in<lb/>
lateinischer Sprache, dann in der niedersächsischen Mundart verfaßt worden.<lb/>
Wir finden darin einen kräftigen Stil, gute Rechtskunde und eine ehrenwerte,<lb/>
nationale, die Freiheit des deutschen Volkes von ausländischem Einfluß ver¬<lb/>
tretende Gesinnung. Vom Papst Gregor XI. wurden im Jahre 1374 vierzehn<lb/>
Artikel dieses Buches mit dein Bannfluch belegt. Der Sachsenspiegel stellt<lb/>
sächsisches und Reichsrecht dar. Wir besitzen ihn in verschiednen, nach und<lb/>
nach mit Zusätzen versehenen Ausgaben, einen Teil, das Lehnrecht, in lateinischer<lb/>
und deutscher Sprache. Er ist auch über Deutschlands Grenzen hinaus ver¬<lb/>
breitet und in fremde Sprachen übersetzt worden. Den Namen &#x201E;Spiegel" er¬<lb/>
klärt die gereimte Vorrede des Buches wie folgt:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
              <l> Spigel der Saxa sal diz duch sin genant,<lb/>
Wende faxen recht is dir an bekant,<lb/>
Als an einem spiegele de vrouwen<lb/>
Ire antlize beschouwen.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Nach der Wendung, die unsers Volkes staatliche Einrichtungen im Mittel¬<lb/>
alter leider nahmen, verblieb es nicht bei der Trennung des Rechts in Stammes¬<lb/>
rechte. Innerhalb der Stämme entwickelten sich eine große Anzahl mehr oder<lb/>
weniger der Reichsgewalt sich unterordnender kleinerer Herrschaften und Gebiete</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] dem lebten manche der unterworfenen Römer, namentlich aber die Geistlichen, für welche gleichsam die Heimat Rom war, wo die Kirchenleitung mit ihrem ?ontitLx MÄximus, dem Papste, ihren Sitz hatte, nach römischem Rechte. Die Geistlichkeit regelte aber ihre Rechtsverhältnisse außerdem auch nach den im Laufe der Zeit von den Päpsten erlassenen oder auf den kirchlichen Konzilien beschlossenen, später in dem OorxuZ M'i3 oanviriei gesammelten Verordnungen, iümionvs, auch Dsoröwlös genannt. Sie behielt dieses Recht auch, als der Grund¬ satz des Personalrechts dem Grundsatz des Tcrritorialrechts Platz machte, was gegen Ausgang des Mittelalters geschah. Wenn nun auch das Recht kein Abstammungsrecht mehr war, so hatte es doch den Charakter des Stammesrechts bewahrt, und zwar umsomehr, als die Reichsgesetzgebung im spätern Mittelalter infolge der großen Schwäche der Reichsgewalt sehr dürftig blieb, während die frühern Reichsgesetze veralteten, und das noch etwa in ihnen enthaltene Anwendbare sich in Gewohnheitsrecht umwandelte. Dieses kann man für die zweite Hälfte des Mittelalters als das fast allein geltende Recht einheimischen Ursprungs ansehen. Der leichtern An¬ wendung halber fing man wieder an, das Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen. Diese Thätigkeit ging nicht von der Staatsgewalt, sondern von rechtskundigen Privatleuten aus. Wie sehr aber diese Aufzeichnungen, gemeinhin „Rechts¬ bücher" genannt, einem Bedürfnis entgegen kamen, zeigt die fast gesetzliche Be¬ deutung, welche einige derselben, namentlich der Sachsenspiegel, erlangten. Der Sachsenspiegel ist in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von einem Schöffen zu Salpke bei Magdeburg, namens Eicke von Nepgow, zuerst in lateinischer Sprache, dann in der niedersächsischen Mundart verfaßt worden. Wir finden darin einen kräftigen Stil, gute Rechtskunde und eine ehrenwerte, nationale, die Freiheit des deutschen Volkes von ausländischem Einfluß ver¬ tretende Gesinnung. Vom Papst Gregor XI. wurden im Jahre 1374 vierzehn Artikel dieses Buches mit dein Bannfluch belegt. Der Sachsenspiegel stellt sächsisches und Reichsrecht dar. Wir besitzen ihn in verschiednen, nach und nach mit Zusätzen versehenen Ausgaben, einen Teil, das Lehnrecht, in lateinischer und deutscher Sprache. Er ist auch über Deutschlands Grenzen hinaus ver¬ breitet und in fremde Sprachen übersetzt worden. Den Namen „Spiegel" er¬ klärt die gereimte Vorrede des Buches wie folgt: Spigel der Saxa sal diz duch sin genant, Wende faxen recht is dir an bekant, Als an einem spiegele de vrouwen Ire antlize beschouwen. Nach der Wendung, die unsers Volkes staatliche Einrichtungen im Mittel¬ alter leider nahmen, verblieb es nicht bei der Trennung des Rechts in Stammes¬ rechte. Innerhalb der Stämme entwickelten sich eine große Anzahl mehr oder weniger der Reichsgewalt sich unterordnender kleinerer Herrschaften und Gebiete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/160>, abgerufen am 17.09.2024.