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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Furcht vor Rußland.

ziehen werden. Alle Hochachtung vor Alexander III., von dem man sagt, daß
er sehr religiös sei und keine Furcht kenne, daß er fast Fatalist sei. Er sagt
selbst, er müsse sich darein ergeben, falls es der Wille der Vorsehung sei, daß
er durch die Kugel oder Bombe eines seiner eignen Unterthanen fallen solle,
aber so lauge er lebe, werde er fortfahren, seine Kräfte der Winde Rußlands
zu widmen. So spricht ein Mann und ein Regent, dem es mit seinen Pflichten
Ernst ist, aber es steckt auch der ganze Trotz und Eigensinn des Autokraten
darin.

Wohl kann der Selbstherrscher aller Reußen sich von einer Menchcl-
mörderbaude nichts abtrotzen lassen, wohl wünschen wir ihm, es möge gelingen,
die ganze Nihilistenbrnt zu vernichten. Ob dies aber gelingen wird, ist eben
doch die Frage, und wenn nicht, so treibt das Staatsschiff unabwendbar
einer Katastrophe zu, die nur mit dem Untergange des jetzigen Regimentes
enden kann.

Alle Staaten des übrigen Europas haben sich einstmals vor der Wahl
zwischen Absolutismus oder Verfassung befunden, und alle kamen dazu, den
letzter" Ausweg zu wählen. Er wird auch Rußland nicht erspart bleiben, es
fragt sich nur, ob vor oder nach der Sündflut. Billiger kommt das Kaiser¬
haus weg, wenn vorher, besser das Land, wenn nachher, denn viel muß mit
fortgeschwemmt werden, wenn die alten Traditionen nicht noch lange hindernd
nachwirken sollen.

Alexander II. hat den großen Fehler begangen, die Leibeigenschaft aufzu¬
heben, ohne den Bauern auch den Grund und Boden zu geben, der sie er¬
nähren könnte. Somit hat er den Großgrundbesitzer der angestammten billigen
Arbeitskraft beraubt und es in des Bauern Belieben gestellt, ob er seine Arbeits¬
kraft gegen Lohn dem Großgrundbesitzer verkaufen will oder nicht; der russische
Bauer aber ist faul und versoffen, er hat sich von jeher nur durch Zwang zur
Arbeit bequemt; daher liegt jetzt der größere Teil auf der faulen Haut und
trinkt seinen Schnaps, die bäuerlichen Zustände sind also seit Aufhebung der
Leibeigenschaft thatsächlich schlechter geworden, als sie früher waren. Der Gro߬
grundbesitzer aber ist geschädigt, und deshalb steht er der Neuerung feindlich
gegenüber, deshalb sind auch die höhern Gesellschaftskreise des Nihilismus ver¬
dächtigt, wenigstens dem Kaiser feindlich gesinnt.

Die Altrusseu schwärmen für Wiedereinführung der Leibeigenschaft, Jung-
Nußland aber für eine Verfassung, und zwischen drin balanzire der Kaiser und
seine Politik buchstäblich auf der Spitze des Schwertes, in das er selbst fallen
muß, wenn er das Gleichgewicht verliert.

Giebt es keinen Ausweg aus dieser drangvollen Lage? Ja, es giebt einen-
es ist der Weg nach Indien, dort kann sich Rußland leichte Erfolge, mühelos
Reichtümer holen, kann Rache nehmen an dem treulosen Albion, das ihm schon
so manchen versteckten Streich gespielt hat, Rache nehmen für den unterirdischen


Die Furcht vor Rußland.

ziehen werden. Alle Hochachtung vor Alexander III., von dem man sagt, daß
er sehr religiös sei und keine Furcht kenne, daß er fast Fatalist sei. Er sagt
selbst, er müsse sich darein ergeben, falls es der Wille der Vorsehung sei, daß
er durch die Kugel oder Bombe eines seiner eignen Unterthanen fallen solle,
aber so lauge er lebe, werde er fortfahren, seine Kräfte der Winde Rußlands
zu widmen. So spricht ein Mann und ein Regent, dem es mit seinen Pflichten
Ernst ist, aber es steckt auch der ganze Trotz und Eigensinn des Autokraten
darin.

Wohl kann der Selbstherrscher aller Reußen sich von einer Menchcl-
mörderbaude nichts abtrotzen lassen, wohl wünschen wir ihm, es möge gelingen,
die ganze Nihilistenbrnt zu vernichten. Ob dies aber gelingen wird, ist eben
doch die Frage, und wenn nicht, so treibt das Staatsschiff unabwendbar
einer Katastrophe zu, die nur mit dem Untergange des jetzigen Regimentes
enden kann.

Alle Staaten des übrigen Europas haben sich einstmals vor der Wahl
zwischen Absolutismus oder Verfassung befunden, und alle kamen dazu, den
letzter« Ausweg zu wählen. Er wird auch Rußland nicht erspart bleiben, es
fragt sich nur, ob vor oder nach der Sündflut. Billiger kommt das Kaiser¬
haus weg, wenn vorher, besser das Land, wenn nachher, denn viel muß mit
fortgeschwemmt werden, wenn die alten Traditionen nicht noch lange hindernd
nachwirken sollen.

Alexander II. hat den großen Fehler begangen, die Leibeigenschaft aufzu¬
heben, ohne den Bauern auch den Grund und Boden zu geben, der sie er¬
nähren könnte. Somit hat er den Großgrundbesitzer der angestammten billigen
Arbeitskraft beraubt und es in des Bauern Belieben gestellt, ob er seine Arbeits¬
kraft gegen Lohn dem Großgrundbesitzer verkaufen will oder nicht; der russische
Bauer aber ist faul und versoffen, er hat sich von jeher nur durch Zwang zur
Arbeit bequemt; daher liegt jetzt der größere Teil auf der faulen Haut und
trinkt seinen Schnaps, die bäuerlichen Zustände sind also seit Aufhebung der
Leibeigenschaft thatsächlich schlechter geworden, als sie früher waren. Der Gro߬
grundbesitzer aber ist geschädigt, und deshalb steht er der Neuerung feindlich
gegenüber, deshalb sind auch die höhern Gesellschaftskreise des Nihilismus ver¬
dächtigt, wenigstens dem Kaiser feindlich gesinnt.

Die Altrusseu schwärmen für Wiedereinführung der Leibeigenschaft, Jung-
Nußland aber für eine Verfassung, und zwischen drin balanzire der Kaiser und
seine Politik buchstäblich auf der Spitze des Schwertes, in das er selbst fallen
muß, wenn er das Gleichgewicht verliert.

Giebt es keinen Ausweg aus dieser drangvollen Lage? Ja, es giebt einen-
es ist der Weg nach Indien, dort kann sich Rußland leichte Erfolge, mühelos
Reichtümer holen, kann Rache nehmen an dem treulosen Albion, das ihm schon
so manchen versteckten Streich gespielt hat, Rache nehmen für den unterirdischen


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[0156] Die Furcht vor Rußland. ziehen werden. Alle Hochachtung vor Alexander III., von dem man sagt, daß er sehr religiös sei und keine Furcht kenne, daß er fast Fatalist sei. Er sagt selbst, er müsse sich darein ergeben, falls es der Wille der Vorsehung sei, daß er durch die Kugel oder Bombe eines seiner eignen Unterthanen fallen solle, aber so lauge er lebe, werde er fortfahren, seine Kräfte der Winde Rußlands zu widmen. So spricht ein Mann und ein Regent, dem es mit seinen Pflichten Ernst ist, aber es steckt auch der ganze Trotz und Eigensinn des Autokraten darin. Wohl kann der Selbstherrscher aller Reußen sich von einer Menchcl- mörderbaude nichts abtrotzen lassen, wohl wünschen wir ihm, es möge gelingen, die ganze Nihilistenbrnt zu vernichten. Ob dies aber gelingen wird, ist eben doch die Frage, und wenn nicht, so treibt das Staatsschiff unabwendbar einer Katastrophe zu, die nur mit dem Untergange des jetzigen Regimentes enden kann. Alle Staaten des übrigen Europas haben sich einstmals vor der Wahl zwischen Absolutismus oder Verfassung befunden, und alle kamen dazu, den letzter« Ausweg zu wählen. Er wird auch Rußland nicht erspart bleiben, es fragt sich nur, ob vor oder nach der Sündflut. Billiger kommt das Kaiser¬ haus weg, wenn vorher, besser das Land, wenn nachher, denn viel muß mit fortgeschwemmt werden, wenn die alten Traditionen nicht noch lange hindernd nachwirken sollen. Alexander II. hat den großen Fehler begangen, die Leibeigenschaft aufzu¬ heben, ohne den Bauern auch den Grund und Boden zu geben, der sie er¬ nähren könnte. Somit hat er den Großgrundbesitzer der angestammten billigen Arbeitskraft beraubt und es in des Bauern Belieben gestellt, ob er seine Arbeits¬ kraft gegen Lohn dem Großgrundbesitzer verkaufen will oder nicht; der russische Bauer aber ist faul und versoffen, er hat sich von jeher nur durch Zwang zur Arbeit bequemt; daher liegt jetzt der größere Teil auf der faulen Haut und trinkt seinen Schnaps, die bäuerlichen Zustände sind also seit Aufhebung der Leibeigenschaft thatsächlich schlechter geworden, als sie früher waren. Der Gro߬ grundbesitzer aber ist geschädigt, und deshalb steht er der Neuerung feindlich gegenüber, deshalb sind auch die höhern Gesellschaftskreise des Nihilismus ver¬ dächtigt, wenigstens dem Kaiser feindlich gesinnt. Die Altrusseu schwärmen für Wiedereinführung der Leibeigenschaft, Jung- Nußland aber für eine Verfassung, und zwischen drin balanzire der Kaiser und seine Politik buchstäblich auf der Spitze des Schwertes, in das er selbst fallen muß, wenn er das Gleichgewicht verliert. Giebt es keinen Ausweg aus dieser drangvollen Lage? Ja, es giebt einen- es ist der Weg nach Indien, dort kann sich Rußland leichte Erfolge, mühelos Reichtümer holen, kann Rache nehmen an dem treulosen Albion, das ihm schon so manchen versteckten Streich gespielt hat, Rache nehmen für den unterirdischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/156>, abgerufen am 17.09.2024.