Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jugenderinnernngoii,

Zeit noch die jetzt lebenden, doch vollkommen unschuldigen Nachkommen der
sogenannten Mörder Christi für deren Missethat büßen lassen könne? Mir
wollte das durchaus nicht in mein schwaches Gehirn, und eben darum fühlte
ich Mitleid sowohl mit den immer sehr zerlvttert aussehenden jüdischen Knaben,
die von früh bis abends auf der Straße handelnd herumliefen, wie mit den
langbärtigen, schmutzigen Männern in langen, schlotternden Kaftans, welche,
einen geflickten Sack auf der Schulter, mit näselnder Stimme ihr monotones
"Handle!" riefen und vor jedem Fenster, an dem sich ein Menschenantlitz zeigte,
die zerrissene Pelzmütze ziehend tiefe Bücklinge machten.

Auf unsern Kreuz- und Querzügen durch die Stadt kamen wir eines Tages
auch an der Synagoge vorüber. Sie lag in einer engen Gasse zwischen un¬
schönen Häusern, war aber leicht zu erkennen. Auch hier fanden wir die be¬
triebsame Juden mit ihrem unvermeidlichen Tabuletkram. Ganz wie in Jeru¬
salem zur Zeit Christi! meinte der Vater. Käme der Heiland heute wieder, er
würde die Geißel schwingen wie damals, um Krümer und Wechsler aus den
Vorhöfen des Herrn zu vertreiben. Wir Brüder äußerten den Wunsch, das
Innere einer Synagoge zu sehen, und der Vater vertröstete uns auf den nächsten
Sonnabend. Ihr bekommt dann zugleich einen Begriff, wie die Juden Gott
in ihren Tempeln verehren, fügte er hinzu.

"Laut wie in einer Judenschule" ist eine allbekannte Redensart. Wer jemals
am Sabbath eine jüdische Synagoge, in welcher der Gottesdienst nach altem
Ritus abgehalten wird, besuchte, der wird gern bestätigen, daß diese Redensart
zutreffend ist. In der erwähnten Synagoge von Teplitz ging es nicht bloß laut,
sondern lärmend zu. Schon in der engen Vorhalle, wo ein paar schwarz¬
äugige Jungen mit schmierigen Mützen sich umher stießen, ward mir angst und
bange, denn von innen heraus drang ein Schreien und Zedern rauher Männer¬
stimmen, als müßten sich ein Dutzend Menschen in den Haaren liegen. Un¬
mittelbar nach unserm Eintreten freilich verwandelte sich bei mir sofort die Angst
in kaum zu überwindenden Lachkitzel. Der Anblick, der sich mir darbot, war
für einen Knaben meines Alters zu komisch. Ob die alten Hebräer, aus deren
Schoße die hochpoetischen Propheten entsproßten, im Tempel Salomonis Je-
hova in ähnlicher Weise gedient haben, mag Gott wissen! Mir hat das, nach
vielen Synagogenbesucheu in spätern Jahren, nie recht glaubwürdig vorkommen
wollen.

In einem hohen, geräumigen, vom Tageslichte nur matt erhellten Raume
standen dicht gedrängt hinter kleinen Pulten alte und junge Männer, die Hüte
und Pelzmütze" fest in die Stirn gedrückt und laut hebräische Gebete mur¬
melnd, den Oberkörper entweder vor- und rückwärts oder nach rechts und links
bewegend. Alle trugen lange weiße Tücher lose um den Hals hängend, deren
in Fransen auslaufende Enden die eifrigste" Beter häufig an die Lippen drückte".
Bei den reichen Juden, welche ganz moderne Kleidung trugen, waren diese


Jugenderinnernngoii,

Zeit noch die jetzt lebenden, doch vollkommen unschuldigen Nachkommen der
sogenannten Mörder Christi für deren Missethat büßen lassen könne? Mir
wollte das durchaus nicht in mein schwaches Gehirn, und eben darum fühlte
ich Mitleid sowohl mit den immer sehr zerlvttert aussehenden jüdischen Knaben,
die von früh bis abends auf der Straße handelnd herumliefen, wie mit den
langbärtigen, schmutzigen Männern in langen, schlotternden Kaftans, welche,
einen geflickten Sack auf der Schulter, mit näselnder Stimme ihr monotones
„Handle!" riefen und vor jedem Fenster, an dem sich ein Menschenantlitz zeigte,
die zerrissene Pelzmütze ziehend tiefe Bücklinge machten.

Auf unsern Kreuz- und Querzügen durch die Stadt kamen wir eines Tages
auch an der Synagoge vorüber. Sie lag in einer engen Gasse zwischen un¬
schönen Häusern, war aber leicht zu erkennen. Auch hier fanden wir die be¬
triebsame Juden mit ihrem unvermeidlichen Tabuletkram. Ganz wie in Jeru¬
salem zur Zeit Christi! meinte der Vater. Käme der Heiland heute wieder, er
würde die Geißel schwingen wie damals, um Krümer und Wechsler aus den
Vorhöfen des Herrn zu vertreiben. Wir Brüder äußerten den Wunsch, das
Innere einer Synagoge zu sehen, und der Vater vertröstete uns auf den nächsten
Sonnabend. Ihr bekommt dann zugleich einen Begriff, wie die Juden Gott
in ihren Tempeln verehren, fügte er hinzu.

„Laut wie in einer Judenschule" ist eine allbekannte Redensart. Wer jemals
am Sabbath eine jüdische Synagoge, in welcher der Gottesdienst nach altem
Ritus abgehalten wird, besuchte, der wird gern bestätigen, daß diese Redensart
zutreffend ist. In der erwähnten Synagoge von Teplitz ging es nicht bloß laut,
sondern lärmend zu. Schon in der engen Vorhalle, wo ein paar schwarz¬
äugige Jungen mit schmierigen Mützen sich umher stießen, ward mir angst und
bange, denn von innen heraus drang ein Schreien und Zedern rauher Männer¬
stimmen, als müßten sich ein Dutzend Menschen in den Haaren liegen. Un¬
mittelbar nach unserm Eintreten freilich verwandelte sich bei mir sofort die Angst
in kaum zu überwindenden Lachkitzel. Der Anblick, der sich mir darbot, war
für einen Knaben meines Alters zu komisch. Ob die alten Hebräer, aus deren
Schoße die hochpoetischen Propheten entsproßten, im Tempel Salomonis Je-
hova in ähnlicher Weise gedient haben, mag Gott wissen! Mir hat das, nach
vielen Synagogenbesucheu in spätern Jahren, nie recht glaubwürdig vorkommen
wollen.

In einem hohen, geräumigen, vom Tageslichte nur matt erhellten Raume
standen dicht gedrängt hinter kleinen Pulten alte und junge Männer, die Hüte
und Pelzmütze» fest in die Stirn gedrückt und laut hebräische Gebete mur¬
melnd, den Oberkörper entweder vor- und rückwärts oder nach rechts und links
bewegend. Alle trugen lange weiße Tücher lose um den Hals hängend, deren
in Fransen auslaufende Enden die eifrigste» Beter häufig an die Lippen drückte».
Bei den reichen Juden, welche ganz moderne Kleidung trugen, waren diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288599"/>
          <fw type="header" place="top"> Jugenderinnernngoii,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_413" prev="#ID_412"> Zeit noch die jetzt lebenden, doch vollkommen unschuldigen Nachkommen der<lb/>
sogenannten Mörder Christi für deren Missethat büßen lassen könne? Mir<lb/>
wollte das durchaus nicht in mein schwaches Gehirn, und eben darum fühlte<lb/>
ich Mitleid sowohl mit den immer sehr zerlvttert aussehenden jüdischen Knaben,<lb/>
die von früh bis abends auf der Straße handelnd herumliefen, wie mit den<lb/>
langbärtigen, schmutzigen Männern in langen, schlotternden Kaftans, welche,<lb/>
einen geflickten Sack auf der Schulter, mit näselnder Stimme ihr monotones<lb/>
&#x201E;Handle!" riefen und vor jedem Fenster, an dem sich ein Menschenantlitz zeigte,<lb/>
die zerrissene Pelzmütze ziehend tiefe Bücklinge machten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_414"> Auf unsern Kreuz- und Querzügen durch die Stadt kamen wir eines Tages<lb/>
auch an der Synagoge vorüber. Sie lag in einer engen Gasse zwischen un¬<lb/>
schönen Häusern, war aber leicht zu erkennen. Auch hier fanden wir die be¬<lb/>
triebsame Juden mit ihrem unvermeidlichen Tabuletkram. Ganz wie in Jeru¬<lb/>
salem zur Zeit Christi! meinte der Vater. Käme der Heiland heute wieder, er<lb/>
würde die Geißel schwingen wie damals, um Krümer und Wechsler aus den<lb/>
Vorhöfen des Herrn zu vertreiben. Wir Brüder äußerten den Wunsch, das<lb/>
Innere einer Synagoge zu sehen, und der Vater vertröstete uns auf den nächsten<lb/>
Sonnabend. Ihr bekommt dann zugleich einen Begriff, wie die Juden Gott<lb/>
in ihren Tempeln verehren, fügte er hinzu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_415"> &#x201E;Laut wie in einer Judenschule" ist eine allbekannte Redensart. Wer jemals<lb/>
am Sabbath eine jüdische Synagoge, in welcher der Gottesdienst nach altem<lb/>
Ritus abgehalten wird, besuchte, der wird gern bestätigen, daß diese Redensart<lb/>
zutreffend ist. In der erwähnten Synagoge von Teplitz ging es nicht bloß laut,<lb/>
sondern lärmend zu. Schon in der engen Vorhalle, wo ein paar schwarz¬<lb/>
äugige Jungen mit schmierigen Mützen sich umher stießen, ward mir angst und<lb/>
bange, denn von innen heraus drang ein Schreien und Zedern rauher Männer¬<lb/>
stimmen, als müßten sich ein Dutzend Menschen in den Haaren liegen. Un¬<lb/>
mittelbar nach unserm Eintreten freilich verwandelte sich bei mir sofort die Angst<lb/>
in kaum zu überwindenden Lachkitzel. Der Anblick, der sich mir darbot, war<lb/>
für einen Knaben meines Alters zu komisch. Ob die alten Hebräer, aus deren<lb/>
Schoße die hochpoetischen Propheten entsproßten, im Tempel Salomonis Je-<lb/>
hova in ähnlicher Weise gedient haben, mag Gott wissen! Mir hat das, nach<lb/>
vielen Synagogenbesucheu in spätern Jahren, nie recht glaubwürdig vorkommen<lb/>
wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_416" next="#ID_417"> In einem hohen, geräumigen, vom Tageslichte nur matt erhellten Raume<lb/>
standen dicht gedrängt hinter kleinen Pulten alte und junge Männer, die Hüte<lb/>
und Pelzmütze» fest in die Stirn gedrückt und laut hebräische Gebete mur¬<lb/>
melnd, den Oberkörper entweder vor- und rückwärts oder nach rechts und links<lb/>
bewegend. Alle trugen lange weiße Tücher lose um den Hals hängend, deren<lb/>
in Fransen auslaufende Enden die eifrigste» Beter häufig an die Lippen drückte».<lb/>
Bei den reichen Juden, welche ganz moderne Kleidung trugen, waren diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Jugenderinnernngoii, Zeit noch die jetzt lebenden, doch vollkommen unschuldigen Nachkommen der sogenannten Mörder Christi für deren Missethat büßen lassen könne? Mir wollte das durchaus nicht in mein schwaches Gehirn, und eben darum fühlte ich Mitleid sowohl mit den immer sehr zerlvttert aussehenden jüdischen Knaben, die von früh bis abends auf der Straße handelnd herumliefen, wie mit den langbärtigen, schmutzigen Männern in langen, schlotternden Kaftans, welche, einen geflickten Sack auf der Schulter, mit näselnder Stimme ihr monotones „Handle!" riefen und vor jedem Fenster, an dem sich ein Menschenantlitz zeigte, die zerrissene Pelzmütze ziehend tiefe Bücklinge machten. Auf unsern Kreuz- und Querzügen durch die Stadt kamen wir eines Tages auch an der Synagoge vorüber. Sie lag in einer engen Gasse zwischen un¬ schönen Häusern, war aber leicht zu erkennen. Auch hier fanden wir die be¬ triebsame Juden mit ihrem unvermeidlichen Tabuletkram. Ganz wie in Jeru¬ salem zur Zeit Christi! meinte der Vater. Käme der Heiland heute wieder, er würde die Geißel schwingen wie damals, um Krümer und Wechsler aus den Vorhöfen des Herrn zu vertreiben. Wir Brüder äußerten den Wunsch, das Innere einer Synagoge zu sehen, und der Vater vertröstete uns auf den nächsten Sonnabend. Ihr bekommt dann zugleich einen Begriff, wie die Juden Gott in ihren Tempeln verehren, fügte er hinzu. „Laut wie in einer Judenschule" ist eine allbekannte Redensart. Wer jemals am Sabbath eine jüdische Synagoge, in welcher der Gottesdienst nach altem Ritus abgehalten wird, besuchte, der wird gern bestätigen, daß diese Redensart zutreffend ist. In der erwähnten Synagoge von Teplitz ging es nicht bloß laut, sondern lärmend zu. Schon in der engen Vorhalle, wo ein paar schwarz¬ äugige Jungen mit schmierigen Mützen sich umher stießen, ward mir angst und bange, denn von innen heraus drang ein Schreien und Zedern rauher Männer¬ stimmen, als müßten sich ein Dutzend Menschen in den Haaren liegen. Un¬ mittelbar nach unserm Eintreten freilich verwandelte sich bei mir sofort die Angst in kaum zu überwindenden Lachkitzel. Der Anblick, der sich mir darbot, war für einen Knaben meines Alters zu komisch. Ob die alten Hebräer, aus deren Schoße die hochpoetischen Propheten entsproßten, im Tempel Salomonis Je- hova in ähnlicher Weise gedient haben, mag Gott wissen! Mir hat das, nach vielen Synagogenbesucheu in spätern Jahren, nie recht glaubwürdig vorkommen wollen. In einem hohen, geräumigen, vom Tageslichte nur matt erhellten Raume standen dicht gedrängt hinter kleinen Pulten alte und junge Männer, die Hüte und Pelzmütze» fest in die Stirn gedrückt und laut hebräische Gebete mur¬ melnd, den Oberkörper entweder vor- und rückwärts oder nach rechts und links bewegend. Alle trugen lange weiße Tücher lose um den Hals hängend, deren in Fransen auslaufende Enden die eifrigste» Beter häufig an die Lippen drückte». Bei den reichen Juden, welche ganz moderne Kleidung trugen, waren diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/146>, abgerufen am 17.09.2024.