Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Messen noch sehen dürfte. Es waren die ersten Exemplare dieses interessanten
Volkes, die mir zu Gesicht kamen, und weil sie der Mehrheit nach ein so scharf
national jüdisches Gepräge trugen, sind sie mir unvergeßlich geblieben.

In meinem Geburtslande gab es keine Juden, weil sie in dein Marggraf-
tume Oberlausitz einfach nicht geduldet wurden. Irgend ein Gesetz von
Olims Zeiten her verbot ihnen den Aufenthalt in Stadt und Dorf und gestattete
ihnen nicht einmal ein Nachtlager in den Städten. Was Wunder, daß man
da keine Abkömmlinge des auserwählten Volkes zu Gesicht bekam! Nur einmal
-- es war bald nach dem Hinscheiden meines Steinalten Großvaters -- er¬
innere ich mich, einen von der Kultur beleckten, modern gekleideten Juden im
Hause des Großvaters gesehen zu haben. Der Mann war Juwelenhändler
und jedenfalls herberufen, denn er brachte alte, schadhafte Schmucksachen und der¬
gleichen käuflich an sich, machte sich aber vor Sonnenuntergang wieder aus dem
Staube, um auf einem der nächsten Dörfer ein gastliches Dach aufzusuchen.
Ich kannte das Volk Israel nur aus der Bibel, die ich fleißig zu lesen an¬
gehalten wurde, und aus dem sehr gründlichen Religionsunterrichte des Vaters.
Von den Juden war da natürlich oft die Rede, und wenn der Vater als Lehrer
auch ganz objektiv verfuhr, und seine zur Milde hinneigende Gesinnung über
Andersgläubige nie ein hartes, absprechendes Urteil fällte, betonte er doch die
Thatsache sehr scharf, daß die Juden den Heiland der Welt, den eingebornen
Sohn Gottes, was zu sagen nie vergessen wurde, ans Kreuz geschlagen hätten.
Für diese furchtbare, nie zu sühnende That, es sei denn, sie bekehrten sich zum
Christentum?, müßten nun alle Nachkommen des unglücklichen Volkes noch heute
büßen, ja es sei handgreiflich, daß sie die allerdings verdiente Strafe durch das
dem Landpfleger Pilatus zugerufene Wort: "Sein Blut komme über uns und
unsre Kinder" selbst auf sich und ihre Nachkommen herabgerufen hätten.

Nun standen sie leibhaftig vor mir, diese Abkömmlinge des vom eignen
Fluche zu Boden gedrückten und über die ganze Erde zerstreuten Volkes. Sie
standen vor mir in allen Größen, in jedem Alter, zumeist freilich in einer
Haltung und in einer Tracht, die ein nur einigermaßen phantasievolles Kind
wohl noch für eine Beigabe des Zornes Gottes halten konnte, der auf den Un¬
seligen ruhen sollte. Wohin wir uns wendeten, überall begegneten wir jüdischen
Sprößlingen. Sie hockten vor den Kirchthüren, jedem Vorübergehenden oder
Eintretenden Gegenstände ihres Kleinkrams, den sie, auf breitem Brett zur Schau
gelegt, an einem Riemen um den Nacken gehängt trugen, mit lauter Stimme
und lebhaften Bewegungen zum Verkauf anbietend. Ein solcher Kleinkram
enthielt die verschiedenartigsten Dinge bunt durcheinander gewürfelt: Bänder
und Bänderreste in allen Farben, Pfeifenköpfe in großer Auswahl, Ansichten
von Teplitz :c. in Glas geschliffen, böhmische Granaten als Schmucksachen,
schlecht in schlechtes Gold gesaßt, ja sogar Rosenkränze für Katholiken und --
kleine Kruzifixe!


Messen noch sehen dürfte. Es waren die ersten Exemplare dieses interessanten
Volkes, die mir zu Gesicht kamen, und weil sie der Mehrheit nach ein so scharf
national jüdisches Gepräge trugen, sind sie mir unvergeßlich geblieben.

In meinem Geburtslande gab es keine Juden, weil sie in dein Marggraf-
tume Oberlausitz einfach nicht geduldet wurden. Irgend ein Gesetz von
Olims Zeiten her verbot ihnen den Aufenthalt in Stadt und Dorf und gestattete
ihnen nicht einmal ein Nachtlager in den Städten. Was Wunder, daß man
da keine Abkömmlinge des auserwählten Volkes zu Gesicht bekam! Nur einmal
— es war bald nach dem Hinscheiden meines Steinalten Großvaters — er¬
innere ich mich, einen von der Kultur beleckten, modern gekleideten Juden im
Hause des Großvaters gesehen zu haben. Der Mann war Juwelenhändler
und jedenfalls herberufen, denn er brachte alte, schadhafte Schmucksachen und der¬
gleichen käuflich an sich, machte sich aber vor Sonnenuntergang wieder aus dem
Staube, um auf einem der nächsten Dörfer ein gastliches Dach aufzusuchen.
Ich kannte das Volk Israel nur aus der Bibel, die ich fleißig zu lesen an¬
gehalten wurde, und aus dem sehr gründlichen Religionsunterrichte des Vaters.
Von den Juden war da natürlich oft die Rede, und wenn der Vater als Lehrer
auch ganz objektiv verfuhr, und seine zur Milde hinneigende Gesinnung über
Andersgläubige nie ein hartes, absprechendes Urteil fällte, betonte er doch die
Thatsache sehr scharf, daß die Juden den Heiland der Welt, den eingebornen
Sohn Gottes, was zu sagen nie vergessen wurde, ans Kreuz geschlagen hätten.
Für diese furchtbare, nie zu sühnende That, es sei denn, sie bekehrten sich zum
Christentum?, müßten nun alle Nachkommen des unglücklichen Volkes noch heute
büßen, ja es sei handgreiflich, daß sie die allerdings verdiente Strafe durch das
dem Landpfleger Pilatus zugerufene Wort: „Sein Blut komme über uns und
unsre Kinder" selbst auf sich und ihre Nachkommen herabgerufen hätten.

Nun standen sie leibhaftig vor mir, diese Abkömmlinge des vom eignen
Fluche zu Boden gedrückten und über die ganze Erde zerstreuten Volkes. Sie
standen vor mir in allen Größen, in jedem Alter, zumeist freilich in einer
Haltung und in einer Tracht, die ein nur einigermaßen phantasievolles Kind
wohl noch für eine Beigabe des Zornes Gottes halten konnte, der auf den Un¬
seligen ruhen sollte. Wohin wir uns wendeten, überall begegneten wir jüdischen
Sprößlingen. Sie hockten vor den Kirchthüren, jedem Vorübergehenden oder
Eintretenden Gegenstände ihres Kleinkrams, den sie, auf breitem Brett zur Schau
gelegt, an einem Riemen um den Nacken gehängt trugen, mit lauter Stimme
und lebhaften Bewegungen zum Verkauf anbietend. Ein solcher Kleinkram
enthielt die verschiedenartigsten Dinge bunt durcheinander gewürfelt: Bänder
und Bänderreste in allen Farben, Pfeifenköpfe in großer Auswahl, Ansichten
von Teplitz :c. in Glas geschliffen, böhmische Granaten als Schmucksachen,
schlecht in schlechtes Gold gesaßt, ja sogar Rosenkränze für Katholiken und —
kleine Kruzifixe!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288597"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_407" prev="#ID_406"> Messen noch sehen dürfte. Es waren die ersten Exemplare dieses interessanten<lb/>
Volkes, die mir zu Gesicht kamen, und weil sie der Mehrheit nach ein so scharf<lb/>
national jüdisches Gepräge trugen, sind sie mir unvergeßlich geblieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_408"> In meinem Geburtslande gab es keine Juden, weil sie in dein Marggraf-<lb/>
tume Oberlausitz einfach nicht geduldet wurden. Irgend ein Gesetz von<lb/>
Olims Zeiten her verbot ihnen den Aufenthalt in Stadt und Dorf und gestattete<lb/>
ihnen nicht einmal ein Nachtlager in den Städten. Was Wunder, daß man<lb/>
da keine Abkömmlinge des auserwählten Volkes zu Gesicht bekam! Nur einmal<lb/>
&#x2014; es war bald nach dem Hinscheiden meines Steinalten Großvaters &#x2014; er¬<lb/>
innere ich mich, einen von der Kultur beleckten, modern gekleideten Juden im<lb/>
Hause des Großvaters gesehen zu haben. Der Mann war Juwelenhändler<lb/>
und jedenfalls herberufen, denn er brachte alte, schadhafte Schmucksachen und der¬<lb/>
gleichen käuflich an sich, machte sich aber vor Sonnenuntergang wieder aus dem<lb/>
Staube, um auf einem der nächsten Dörfer ein gastliches Dach aufzusuchen.<lb/>
Ich kannte das Volk Israel nur aus der Bibel, die ich fleißig zu lesen an¬<lb/>
gehalten wurde, und aus dem sehr gründlichen Religionsunterrichte des Vaters.<lb/>
Von den Juden war da natürlich oft die Rede, und wenn der Vater als Lehrer<lb/>
auch ganz objektiv verfuhr, und seine zur Milde hinneigende Gesinnung über<lb/>
Andersgläubige nie ein hartes, absprechendes Urteil fällte, betonte er doch die<lb/>
Thatsache sehr scharf, daß die Juden den Heiland der Welt, den eingebornen<lb/>
Sohn Gottes, was zu sagen nie vergessen wurde, ans Kreuz geschlagen hätten.<lb/>
Für diese furchtbare, nie zu sühnende That, es sei denn, sie bekehrten sich zum<lb/>
Christentum?, müßten nun alle Nachkommen des unglücklichen Volkes noch heute<lb/>
büßen, ja es sei handgreiflich, daß sie die allerdings verdiente Strafe durch das<lb/>
dem Landpfleger Pilatus zugerufene Wort: &#x201E;Sein Blut komme über uns und<lb/>
unsre Kinder" selbst auf sich und ihre Nachkommen herabgerufen hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_409"> Nun standen sie leibhaftig vor mir, diese Abkömmlinge des vom eignen<lb/>
Fluche zu Boden gedrückten und über die ganze Erde zerstreuten Volkes. Sie<lb/>
standen vor mir in allen Größen, in jedem Alter, zumeist freilich in einer<lb/>
Haltung und in einer Tracht, die ein nur einigermaßen phantasievolles Kind<lb/>
wohl noch für eine Beigabe des Zornes Gottes halten konnte, der auf den Un¬<lb/>
seligen ruhen sollte. Wohin wir uns wendeten, überall begegneten wir jüdischen<lb/>
Sprößlingen. Sie hockten vor den Kirchthüren, jedem Vorübergehenden oder<lb/>
Eintretenden Gegenstände ihres Kleinkrams, den sie, auf breitem Brett zur Schau<lb/>
gelegt, an einem Riemen um den Nacken gehängt trugen, mit lauter Stimme<lb/>
und lebhaften Bewegungen zum Verkauf anbietend. Ein solcher Kleinkram<lb/>
enthielt die verschiedenartigsten Dinge bunt durcheinander gewürfelt: Bänder<lb/>
und Bänderreste in allen Farben, Pfeifenköpfe in großer Auswahl, Ansichten<lb/>
von Teplitz :c. in Glas geschliffen, böhmische Granaten als Schmucksachen,<lb/>
schlecht in schlechtes Gold gesaßt, ja sogar Rosenkränze für Katholiken und &#x2014;<lb/>
kleine Kruzifixe!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0144] Messen noch sehen dürfte. Es waren die ersten Exemplare dieses interessanten Volkes, die mir zu Gesicht kamen, und weil sie der Mehrheit nach ein so scharf national jüdisches Gepräge trugen, sind sie mir unvergeßlich geblieben. In meinem Geburtslande gab es keine Juden, weil sie in dein Marggraf- tume Oberlausitz einfach nicht geduldet wurden. Irgend ein Gesetz von Olims Zeiten her verbot ihnen den Aufenthalt in Stadt und Dorf und gestattete ihnen nicht einmal ein Nachtlager in den Städten. Was Wunder, daß man da keine Abkömmlinge des auserwählten Volkes zu Gesicht bekam! Nur einmal — es war bald nach dem Hinscheiden meines Steinalten Großvaters — er¬ innere ich mich, einen von der Kultur beleckten, modern gekleideten Juden im Hause des Großvaters gesehen zu haben. Der Mann war Juwelenhändler und jedenfalls herberufen, denn er brachte alte, schadhafte Schmucksachen und der¬ gleichen käuflich an sich, machte sich aber vor Sonnenuntergang wieder aus dem Staube, um auf einem der nächsten Dörfer ein gastliches Dach aufzusuchen. Ich kannte das Volk Israel nur aus der Bibel, die ich fleißig zu lesen an¬ gehalten wurde, und aus dem sehr gründlichen Religionsunterrichte des Vaters. Von den Juden war da natürlich oft die Rede, und wenn der Vater als Lehrer auch ganz objektiv verfuhr, und seine zur Milde hinneigende Gesinnung über Andersgläubige nie ein hartes, absprechendes Urteil fällte, betonte er doch die Thatsache sehr scharf, daß die Juden den Heiland der Welt, den eingebornen Sohn Gottes, was zu sagen nie vergessen wurde, ans Kreuz geschlagen hätten. Für diese furchtbare, nie zu sühnende That, es sei denn, sie bekehrten sich zum Christentum?, müßten nun alle Nachkommen des unglücklichen Volkes noch heute büßen, ja es sei handgreiflich, daß sie die allerdings verdiente Strafe durch das dem Landpfleger Pilatus zugerufene Wort: „Sein Blut komme über uns und unsre Kinder" selbst auf sich und ihre Nachkommen herabgerufen hätten. Nun standen sie leibhaftig vor mir, diese Abkömmlinge des vom eignen Fluche zu Boden gedrückten und über die ganze Erde zerstreuten Volkes. Sie standen vor mir in allen Größen, in jedem Alter, zumeist freilich in einer Haltung und in einer Tracht, die ein nur einigermaßen phantasievolles Kind wohl noch für eine Beigabe des Zornes Gottes halten konnte, der auf den Un¬ seligen ruhen sollte. Wohin wir uns wendeten, überall begegneten wir jüdischen Sprößlingen. Sie hockten vor den Kirchthüren, jedem Vorübergehenden oder Eintretenden Gegenstände ihres Kleinkrams, den sie, auf breitem Brett zur Schau gelegt, an einem Riemen um den Nacken gehängt trugen, mit lauter Stimme und lebhaften Bewegungen zum Verkauf anbietend. Ein solcher Kleinkram enthielt die verschiedenartigsten Dinge bunt durcheinander gewürfelt: Bänder und Bänderreste in allen Farben, Pfeifenköpfe in großer Auswahl, Ansichten von Teplitz :c. in Glas geschliffen, böhmische Granaten als Schmucksachen, schlecht in schlechtes Gold gesaßt, ja sogar Rosenkränze für Katholiken und — kleine Kruzifixe!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/144
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/144>, abgerufen am 17.09.2024.