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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

der Rückweg durchweichte uns vollends bis auf die Haut. Dennoch machten wir
ziemlich viele Ausflüge in die prächtige Umgebung des berühmten, damals freilich
nur mäßig besuchten Badeortes, besahen Dornburg, die Klöster Osfcgg und
Mariaschein, wo uns ein kugelrunder Priester das wunderthätige Marienbild
zeigte und gar seltsame Dinge davon erzählte, das Schloß Dux, den Schlo߬
berg ze., und verbrachten somit die Zeit so angenehm wie möglich. Nur in
einem Punkte waren wir mit dem Vater nicht ganz einverstanden. Wir sollten
allerdings alle Genüsse und alles Vergnügen einer so kostspieligen Reise haben,
sonst wäre ja das Geld weggeworfen gewesen, nebenbei aber auch unsre Pflichten
nicht versäumen. Da es sich von selbst verstand, daß wir als Pastorssöhne
studiren mußten -- Andersdenkende würde man für unklaren Geistes gehalten
haben --, so durste der Unterricht in den alten Sprachen während der Bade¬
zeit um Himmelswillen nicht unterbrochen werden. Der süße "Bröder" und
die noch süßere ssrÄnuQg.ti<zg. mareuiea, nach welcher wir Griechisch lernten, steckten
wohlgeborgen in unserm kleinen Schnappsack. Kamen wir dann naß wie be¬
gossene Pudel aus dem Bade nach Hause, dann suchte der Vater seine üble
Stimmung dadurch aufzubessern, daß er uns die Tags zuvor aufgegebenen Persa
in beiden Büchern überhörte. Ich habe selten gemerkt, daß sich des guten
Vaters Stimmung dabei gehoben hätte, eher schon kam es vor, daß er mit be¬
denklichen Handbewegungen drohte, die uns gemeinsame Stoßseufzer um gutes
Wetter zum Himmel und sogar zu der wunderthätigen Maria in Mariaschein
emporschicken ließ. Ich hatte nämlich gar keine Lust, dermaleinst im Fegefeuer
zu braten, von dem uns der dicke Pater in jenem Kloster eine sehr realistisch
gehaltene naturgetreue Abbildung nzit breitem Lächeln gezeigt hatte. Unter den
vielen dariy schmorenden Seelen nannte uns der weise Wann auch einige
Knabenscelen, die beim Lernen nicht fleißig und ausdauernd genug gewesen
waren. Nur bei gutem Wetter glättete sich des Vaters Stirn gleich früh am
Morgen, es ward sofort beschlossen, den Tag soviel wie möglich im Freien
zuzubringen, und Bröder wie Märker blieben im Schnappsacke.

Unser Aufenthalt in Teplitz dauerte ungefähr drei Wochen. Vielleicht wäre
er noch etwas verlängert worden, da gegep das Ende hin freundlicheres Wetter
eintrat, HAtte den Vater nicht die Pflicht gebieterisch nach Hause gerufen.

Auf mich, den damals neunjährigen, hatte Teplitz einen Eindrnck gemacht,
der sich nie wieder ganz verwischen ließ. Es war aber nicht der Ort als
solcher, nicht die romantische Umgebung, die sich kaum mit den landschaftlichen
Schönheiten meiner Heimat messen konnte, noch weniger das gesellige Leben,
von dem wir keinen Nutzen hatten, sondern ein Bestandteil in der ständigen
Bevölkerung des berühmten Badeortes, der mir schon am ersten Tage auffiel
und ebenso sehr meine Neugierde weckte, wie er mich mit unheimlichem Schauer
erfüllte. Teplitz wimmelte von Juden, und zwar von einer Sorte von Juden,
wie man sie jetzt in Deutschland wohl nur vorübergehend auf den Leipziger


Jugenderinnerungen.

der Rückweg durchweichte uns vollends bis auf die Haut. Dennoch machten wir
ziemlich viele Ausflüge in die prächtige Umgebung des berühmten, damals freilich
nur mäßig besuchten Badeortes, besahen Dornburg, die Klöster Osfcgg und
Mariaschein, wo uns ein kugelrunder Priester das wunderthätige Marienbild
zeigte und gar seltsame Dinge davon erzählte, das Schloß Dux, den Schlo߬
berg ze., und verbrachten somit die Zeit so angenehm wie möglich. Nur in
einem Punkte waren wir mit dem Vater nicht ganz einverstanden. Wir sollten
allerdings alle Genüsse und alles Vergnügen einer so kostspieligen Reise haben,
sonst wäre ja das Geld weggeworfen gewesen, nebenbei aber auch unsre Pflichten
nicht versäumen. Da es sich von selbst verstand, daß wir als Pastorssöhne
studiren mußten — Andersdenkende würde man für unklaren Geistes gehalten
haben —, so durste der Unterricht in den alten Sprachen während der Bade¬
zeit um Himmelswillen nicht unterbrochen werden. Der süße „Bröder" und
die noch süßere ssrÄnuQg.ti<zg. mareuiea, nach welcher wir Griechisch lernten, steckten
wohlgeborgen in unserm kleinen Schnappsack. Kamen wir dann naß wie be¬
gossene Pudel aus dem Bade nach Hause, dann suchte der Vater seine üble
Stimmung dadurch aufzubessern, daß er uns die Tags zuvor aufgegebenen Persa
in beiden Büchern überhörte. Ich habe selten gemerkt, daß sich des guten
Vaters Stimmung dabei gehoben hätte, eher schon kam es vor, daß er mit be¬
denklichen Handbewegungen drohte, die uns gemeinsame Stoßseufzer um gutes
Wetter zum Himmel und sogar zu der wunderthätigen Maria in Mariaschein
emporschicken ließ. Ich hatte nämlich gar keine Lust, dermaleinst im Fegefeuer
zu braten, von dem uns der dicke Pater in jenem Kloster eine sehr realistisch
gehaltene naturgetreue Abbildung nzit breitem Lächeln gezeigt hatte. Unter den
vielen dariy schmorenden Seelen nannte uns der weise Wann auch einige
Knabenscelen, die beim Lernen nicht fleißig und ausdauernd genug gewesen
waren. Nur bei gutem Wetter glättete sich des Vaters Stirn gleich früh am
Morgen, es ward sofort beschlossen, den Tag soviel wie möglich im Freien
zuzubringen, und Bröder wie Märker blieben im Schnappsacke.

Unser Aufenthalt in Teplitz dauerte ungefähr drei Wochen. Vielleicht wäre
er noch etwas verlängert worden, da gegep das Ende hin freundlicheres Wetter
eintrat, HAtte den Vater nicht die Pflicht gebieterisch nach Hause gerufen.

Auf mich, den damals neunjährigen, hatte Teplitz einen Eindrnck gemacht,
der sich nie wieder ganz verwischen ließ. Es war aber nicht der Ort als
solcher, nicht die romantische Umgebung, die sich kaum mit den landschaftlichen
Schönheiten meiner Heimat messen konnte, noch weniger das gesellige Leben,
von dem wir keinen Nutzen hatten, sondern ein Bestandteil in der ständigen
Bevölkerung des berühmten Badeortes, der mir schon am ersten Tage auffiel
und ebenso sehr meine Neugierde weckte, wie er mich mit unheimlichem Schauer
erfüllte. Teplitz wimmelte von Juden, und zwar von einer Sorte von Juden,
wie man sie jetzt in Deutschland wohl nur vorübergehend auf den Leipziger


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[0143] Jugenderinnerungen. der Rückweg durchweichte uns vollends bis auf die Haut. Dennoch machten wir ziemlich viele Ausflüge in die prächtige Umgebung des berühmten, damals freilich nur mäßig besuchten Badeortes, besahen Dornburg, die Klöster Osfcgg und Mariaschein, wo uns ein kugelrunder Priester das wunderthätige Marienbild zeigte und gar seltsame Dinge davon erzählte, das Schloß Dux, den Schlo߬ berg ze., und verbrachten somit die Zeit so angenehm wie möglich. Nur in einem Punkte waren wir mit dem Vater nicht ganz einverstanden. Wir sollten allerdings alle Genüsse und alles Vergnügen einer so kostspieligen Reise haben, sonst wäre ja das Geld weggeworfen gewesen, nebenbei aber auch unsre Pflichten nicht versäumen. Da es sich von selbst verstand, daß wir als Pastorssöhne studiren mußten — Andersdenkende würde man für unklaren Geistes gehalten haben —, so durste der Unterricht in den alten Sprachen während der Bade¬ zeit um Himmelswillen nicht unterbrochen werden. Der süße „Bröder" und die noch süßere ssrÄnuQg.ti<zg. mareuiea, nach welcher wir Griechisch lernten, steckten wohlgeborgen in unserm kleinen Schnappsack. Kamen wir dann naß wie be¬ gossene Pudel aus dem Bade nach Hause, dann suchte der Vater seine üble Stimmung dadurch aufzubessern, daß er uns die Tags zuvor aufgegebenen Persa in beiden Büchern überhörte. Ich habe selten gemerkt, daß sich des guten Vaters Stimmung dabei gehoben hätte, eher schon kam es vor, daß er mit be¬ denklichen Handbewegungen drohte, die uns gemeinsame Stoßseufzer um gutes Wetter zum Himmel und sogar zu der wunderthätigen Maria in Mariaschein emporschicken ließ. Ich hatte nämlich gar keine Lust, dermaleinst im Fegefeuer zu braten, von dem uns der dicke Pater in jenem Kloster eine sehr realistisch gehaltene naturgetreue Abbildung nzit breitem Lächeln gezeigt hatte. Unter den vielen dariy schmorenden Seelen nannte uns der weise Wann auch einige Knabenscelen, die beim Lernen nicht fleißig und ausdauernd genug gewesen waren. Nur bei gutem Wetter glättete sich des Vaters Stirn gleich früh am Morgen, es ward sofort beschlossen, den Tag soviel wie möglich im Freien zuzubringen, und Bröder wie Märker blieben im Schnappsacke. Unser Aufenthalt in Teplitz dauerte ungefähr drei Wochen. Vielleicht wäre er noch etwas verlängert worden, da gegep das Ende hin freundlicheres Wetter eintrat, HAtte den Vater nicht die Pflicht gebieterisch nach Hause gerufen. Auf mich, den damals neunjährigen, hatte Teplitz einen Eindrnck gemacht, der sich nie wieder ganz verwischen ließ. Es war aber nicht der Ort als solcher, nicht die romantische Umgebung, die sich kaum mit den landschaftlichen Schönheiten meiner Heimat messen konnte, noch weniger das gesellige Leben, von dem wir keinen Nutzen hatten, sondern ein Bestandteil in der ständigen Bevölkerung des berühmten Badeortes, der mir schon am ersten Tage auffiel und ebenso sehr meine Neugierde weckte, wie er mich mit unheimlichem Schauer erfüllte. Teplitz wimmelte von Juden, und zwar von einer Sorte von Juden, wie man sie jetzt in Deutschland wohl nur vorübergehend auf den Leipziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/143>, abgerufen am 17.09.2024.