Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ariegsbefiirchtungen und die Kevue 6es cieux monäss.

Im dritten Abschnitte seines Aufsatzes versteigt sich der Verfasser, der bisher
sein Vaterland so zahm und schwach geschildert hat, daß es dem gläubigen Leser
als ein unschuldiges Lamm erscheinen müßte, welches der Wolf Deutschland im
Begriffe stehe zu tierschlingen, zu einer drohenden Warnung. Man würde sich
gewaltig irren, wenn man das Frankreich von 1870 wiederzufinden meinte: es
fehle jetzt weder an Waffen noch an Menschen, noch an dem damals mangelnden
Hasse gegen den Feind.

"Frankreich ist das Land der plötzlichen Verwandlungen. Dies Volk, das
heutzutage noch ganz durch seine Interessen in Anspruch genommen ist und seine
Blicke nicht über den vaterländischen Boden hinausschmeifen läßt, so frei von
allem Hasse, daß es nicht glaubt, daß man es hassen könne, bietet keine Ähn¬
lichkeit dar mit dem Volke, das, wenn es diese Interessen zu Grunde gerichtet,
diesen Boden von Feinden überschwemmt sähe, wenn es endlich begriffe, daß
man ihm ans Leben wolle, in seinem Herzen zugleich den Abscheu vor der Un¬
gerechtigkeit und vor dem Tode empfinden würde."

Fürst Bismnrck hat leider mit nur allzugutem Grunde darauf hingewiesen,
daß ein neuer Krieg mit Frankreich in jeder Beziehung furchtbarer und folgen¬
schwerer sein würde als der letzte, daß der Sieger wie Napoleon I. im Jahre
1807 sÄs'nsiAit Ä dlemo, d. h. den Besiegten so entkräften würde, daß er auf
lange Zeit durchaus ohnmächtig bleiben müßte. "Der Krieg von 1870
-- schloß er -- würde ein Kinderspiel sein gegen den von 1890 -- ich weiß
nicht, wann -- in seinen Wirkungen für Frankreich. Also das wäre auf der
einen Seite wie auf der audern das gleiche Bestreben: jeder würde versuchen
as saiAnsr Z, dllmo.

Während der Reichskanzler diese Aussicht natürlich als Grund gegen
den Krieg verwendet, erblickt unser Verfasser darin nur eine Drohung. Daß
der Fürst vorher Deutschland im Falle der Niederlage das schlimmste Schicksal
verkündet, ignorirt er.

Ob er die berühmte Rede vom 11. Januar überhaupt gelesen hat? Wir
möchten zu seiner Ehre das Gegenteil annehmen, weil wir ihn sonst notwendig
der Lüge und der Verleumdung der deutschen Regierung dem französischen Volke
und dem Auslande gegenüber anklagen müßte". Freilich ist es verdächtig genug,
daß er das fortwährende Schüren des ihn s^ors as 1a rsv-unzlik, dessen sich die
französische Presse zum größten Teile, die Patrioteuvercine und hie und da
sogar hohe Staatsbeamte befleißigen, den wahrhaft fanatischen Haß, wie er sich
in der lächerlichen Spionenriecherei, in dem Verhalten gegen deutsche Arbeiter
und andre in Frankreich lebende Deutsche, gegen deutsche Kaufleute und deutsche
Waaren äußert, ebenso vollständig ignorirt wie die klaren Worte Bismarcks:
"Wir haben ja unserseits nicht nur keinen Grund, Frankreich anzugreifen, son¬
dern auch ganz sicher nicht die Absicht. Der Gedanke, einen Krieg zu führen,
weil er vielleicht späterhin unvermeidlich ist, und dann unter ungünstigern Ver-


Die Ariegsbefiirchtungen und die Kevue 6es cieux monäss.

Im dritten Abschnitte seines Aufsatzes versteigt sich der Verfasser, der bisher
sein Vaterland so zahm und schwach geschildert hat, daß es dem gläubigen Leser
als ein unschuldiges Lamm erscheinen müßte, welches der Wolf Deutschland im
Begriffe stehe zu tierschlingen, zu einer drohenden Warnung. Man würde sich
gewaltig irren, wenn man das Frankreich von 1870 wiederzufinden meinte: es
fehle jetzt weder an Waffen noch an Menschen, noch an dem damals mangelnden
Hasse gegen den Feind.

„Frankreich ist das Land der plötzlichen Verwandlungen. Dies Volk, das
heutzutage noch ganz durch seine Interessen in Anspruch genommen ist und seine
Blicke nicht über den vaterländischen Boden hinausschmeifen läßt, so frei von
allem Hasse, daß es nicht glaubt, daß man es hassen könne, bietet keine Ähn¬
lichkeit dar mit dem Volke, das, wenn es diese Interessen zu Grunde gerichtet,
diesen Boden von Feinden überschwemmt sähe, wenn es endlich begriffe, daß
man ihm ans Leben wolle, in seinem Herzen zugleich den Abscheu vor der Un¬
gerechtigkeit und vor dem Tode empfinden würde."

Fürst Bismnrck hat leider mit nur allzugutem Grunde darauf hingewiesen,
daß ein neuer Krieg mit Frankreich in jeder Beziehung furchtbarer und folgen¬
schwerer sein würde als der letzte, daß der Sieger wie Napoleon I. im Jahre
1807 sÄs'nsiAit Ä dlemo, d. h. den Besiegten so entkräften würde, daß er auf
lange Zeit durchaus ohnmächtig bleiben müßte. „Der Krieg von 1870
— schloß er — würde ein Kinderspiel sein gegen den von 1890 — ich weiß
nicht, wann — in seinen Wirkungen für Frankreich. Also das wäre auf der
einen Seite wie auf der audern das gleiche Bestreben: jeder würde versuchen
as saiAnsr Z, dllmo.

Während der Reichskanzler diese Aussicht natürlich als Grund gegen
den Krieg verwendet, erblickt unser Verfasser darin nur eine Drohung. Daß
der Fürst vorher Deutschland im Falle der Niederlage das schlimmste Schicksal
verkündet, ignorirt er.

Ob er die berühmte Rede vom 11. Januar überhaupt gelesen hat? Wir
möchten zu seiner Ehre das Gegenteil annehmen, weil wir ihn sonst notwendig
der Lüge und der Verleumdung der deutschen Regierung dem französischen Volke
und dem Auslande gegenüber anklagen müßte». Freilich ist es verdächtig genug,
daß er das fortwährende Schüren des ihn s^ors as 1a rsv-unzlik, dessen sich die
französische Presse zum größten Teile, die Patrioteuvercine und hie und da
sogar hohe Staatsbeamte befleißigen, den wahrhaft fanatischen Haß, wie er sich
in der lächerlichen Spionenriecherei, in dem Verhalten gegen deutsche Arbeiter
und andre in Frankreich lebende Deutsche, gegen deutsche Kaufleute und deutsche
Waaren äußert, ebenso vollständig ignorirt wie die klaren Worte Bismarcks:
„Wir haben ja unserseits nicht nur keinen Grund, Frankreich anzugreifen, son¬
dern auch ganz sicher nicht die Absicht. Der Gedanke, einen Krieg zu führen,
weil er vielleicht späterhin unvermeidlich ist, und dann unter ungünstigern Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288467"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ariegsbefiirchtungen und die Kevue 6es cieux monäss.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_20"> Im dritten Abschnitte seines Aufsatzes versteigt sich der Verfasser, der bisher<lb/>
sein Vaterland so zahm und schwach geschildert hat, daß es dem gläubigen Leser<lb/>
als ein unschuldiges Lamm erscheinen müßte, welches der Wolf Deutschland im<lb/>
Begriffe stehe zu tierschlingen, zu einer drohenden Warnung. Man würde sich<lb/>
gewaltig irren, wenn man das Frankreich von 1870 wiederzufinden meinte: es<lb/>
fehle jetzt weder an Waffen noch an Menschen, noch an dem damals mangelnden<lb/>
Hasse gegen den Feind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> &#x201E;Frankreich ist das Land der plötzlichen Verwandlungen. Dies Volk, das<lb/>
heutzutage noch ganz durch seine Interessen in Anspruch genommen ist und seine<lb/>
Blicke nicht über den vaterländischen Boden hinausschmeifen läßt, so frei von<lb/>
allem Hasse, daß es nicht glaubt, daß man es hassen könne, bietet keine Ähn¬<lb/>
lichkeit dar mit dem Volke, das, wenn es diese Interessen zu Grunde gerichtet,<lb/>
diesen Boden von Feinden überschwemmt sähe, wenn es endlich begriffe, daß<lb/>
man ihm ans Leben wolle, in seinem Herzen zugleich den Abscheu vor der Un¬<lb/>
gerechtigkeit und vor dem Tode empfinden würde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> Fürst Bismnrck hat leider mit nur allzugutem Grunde darauf hingewiesen,<lb/>
daß ein neuer Krieg mit Frankreich in jeder Beziehung furchtbarer und folgen¬<lb/>
schwerer sein würde als der letzte, daß der Sieger wie Napoleon I. im Jahre<lb/>
1807 sÄs'nsiAit Ä dlemo, d. h. den Besiegten so entkräften würde, daß er auf<lb/>
lange Zeit durchaus ohnmächtig bleiben müßte. &#x201E;Der Krieg von 1870<lb/>
&#x2014; schloß er &#x2014; würde ein Kinderspiel sein gegen den von 1890 &#x2014; ich weiß<lb/>
nicht, wann &#x2014; in seinen Wirkungen für Frankreich. Also das wäre auf der<lb/>
einen Seite wie auf der audern das gleiche Bestreben: jeder würde versuchen<lb/>
as saiAnsr Z, dllmo.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> Während der Reichskanzler diese Aussicht natürlich als Grund gegen<lb/>
den Krieg verwendet, erblickt unser Verfasser darin nur eine Drohung. Daß<lb/>
der Fürst vorher Deutschland im Falle der Niederlage das schlimmste Schicksal<lb/>
verkündet, ignorirt er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24" next="#ID_25"> Ob er die berühmte Rede vom 11. Januar überhaupt gelesen hat? Wir<lb/>
möchten zu seiner Ehre das Gegenteil annehmen, weil wir ihn sonst notwendig<lb/>
der Lüge und der Verleumdung der deutschen Regierung dem französischen Volke<lb/>
und dem Auslande gegenüber anklagen müßte». Freilich ist es verdächtig genug,<lb/>
daß er das fortwährende Schüren des ihn s^ors as 1a rsv-unzlik, dessen sich die<lb/>
französische Presse zum größten Teile, die Patrioteuvercine und hie und da<lb/>
sogar hohe Staatsbeamte befleißigen, den wahrhaft fanatischen Haß, wie er sich<lb/>
in der lächerlichen Spionenriecherei, in dem Verhalten gegen deutsche Arbeiter<lb/>
und andre in Frankreich lebende Deutsche, gegen deutsche Kaufleute und deutsche<lb/>
Waaren äußert, ebenso vollständig ignorirt wie die klaren Worte Bismarcks:<lb/>
&#x201E;Wir haben ja unserseits nicht nur keinen Grund, Frankreich anzugreifen, son¬<lb/>
dern auch ganz sicher nicht die Absicht. Der Gedanke, einen Krieg zu führen,<lb/>
weil er vielleicht späterhin unvermeidlich ist, und dann unter ungünstigern Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Die Ariegsbefiirchtungen und die Kevue 6es cieux monäss. Im dritten Abschnitte seines Aufsatzes versteigt sich der Verfasser, der bisher sein Vaterland so zahm und schwach geschildert hat, daß es dem gläubigen Leser als ein unschuldiges Lamm erscheinen müßte, welches der Wolf Deutschland im Begriffe stehe zu tierschlingen, zu einer drohenden Warnung. Man würde sich gewaltig irren, wenn man das Frankreich von 1870 wiederzufinden meinte: es fehle jetzt weder an Waffen noch an Menschen, noch an dem damals mangelnden Hasse gegen den Feind. „Frankreich ist das Land der plötzlichen Verwandlungen. Dies Volk, das heutzutage noch ganz durch seine Interessen in Anspruch genommen ist und seine Blicke nicht über den vaterländischen Boden hinausschmeifen läßt, so frei von allem Hasse, daß es nicht glaubt, daß man es hassen könne, bietet keine Ähn¬ lichkeit dar mit dem Volke, das, wenn es diese Interessen zu Grunde gerichtet, diesen Boden von Feinden überschwemmt sähe, wenn es endlich begriffe, daß man ihm ans Leben wolle, in seinem Herzen zugleich den Abscheu vor der Un¬ gerechtigkeit und vor dem Tode empfinden würde." Fürst Bismnrck hat leider mit nur allzugutem Grunde darauf hingewiesen, daß ein neuer Krieg mit Frankreich in jeder Beziehung furchtbarer und folgen¬ schwerer sein würde als der letzte, daß der Sieger wie Napoleon I. im Jahre 1807 sÄs'nsiAit Ä dlemo, d. h. den Besiegten so entkräften würde, daß er auf lange Zeit durchaus ohnmächtig bleiben müßte. „Der Krieg von 1870 — schloß er — würde ein Kinderspiel sein gegen den von 1890 — ich weiß nicht, wann — in seinen Wirkungen für Frankreich. Also das wäre auf der einen Seite wie auf der audern das gleiche Bestreben: jeder würde versuchen as saiAnsr Z, dllmo. Während der Reichskanzler diese Aussicht natürlich als Grund gegen den Krieg verwendet, erblickt unser Verfasser darin nur eine Drohung. Daß der Fürst vorher Deutschland im Falle der Niederlage das schlimmste Schicksal verkündet, ignorirt er. Ob er die berühmte Rede vom 11. Januar überhaupt gelesen hat? Wir möchten zu seiner Ehre das Gegenteil annehmen, weil wir ihn sonst notwendig der Lüge und der Verleumdung der deutschen Regierung dem französischen Volke und dem Auslande gegenüber anklagen müßte». Freilich ist es verdächtig genug, daß er das fortwährende Schüren des ihn s^ors as 1a rsv-unzlik, dessen sich die französische Presse zum größten Teile, die Patrioteuvercine und hie und da sogar hohe Staatsbeamte befleißigen, den wahrhaft fanatischen Haß, wie er sich in der lächerlichen Spionenriecherei, in dem Verhalten gegen deutsche Arbeiter und andre in Frankreich lebende Deutsche, gegen deutsche Kaufleute und deutsche Waaren äußert, ebenso vollständig ignorirt wie die klaren Worte Bismarcks: „Wir haben ja unserseits nicht nur keinen Grund, Frankreich anzugreifen, son¬ dern auch ganz sicher nicht die Absicht. Der Gedanke, einen Krieg zu führen, weil er vielleicht späterhin unvermeidlich ist, und dann unter ungünstigern Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/14>, abgerufen am 17.09.2024.