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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Donatello.

gearbeitet wurden, jene bekannte jugendliche Statue des heiligen Georg, die
schon den Zeitgenossen als ein Hauptwerk unsers Künstlers galt und im sech¬
zehnten Jahrhundert Francesco Bocchi zu einer weitschweifigen Lobschrift
veranlaßte. Bocchi rühmt in dieser vor rhetorischen Schwulst schier un¬
genießbaren Abhandlung über die Loosllsn^g. ästig, statua, 61 Sö-u Siorssio
al DongMIo*) von ihr vor allem dreierlei: Wahrheit der Charakteristik. Un¬
mittelbarkeit des Lebens und Schönheit. In der That ist diese letztere
Eigenschaft mit den beide" ersten, die vorzüglich jene "grimmig stolze Leiden¬
schaftlichkeit" des jugendlichen Glaubenshelden zum Ausdruck bringen, in über¬
raschender Weise verschmolzen. Trotzig, fast breitspurig steht der in Jugend¬
schönheit prangende Streiter für das Christentum da, ohne Helm und Schwert,
"ur deu Schild des Glaubens vor sich haltend, ein treffendes Bild selbstbe¬
wußter Kraft und Sicherheit, gleich seinem Geistesbrüder David, dem Goliath¬
bezwinger im Nationalmuseum zu Florenz, den Donatello ungefähr um die¬
selbe Zeit schuf (1408 bis 1416).

Wenn man neben diesen blühenden jugendlichen Gestalten die abgezehrten
und vernachlässigten Leiber des Zuccone oder des Jeremias am Campanile
betrachtet, wird es schwer, das Gemeinsame, welches diesen zu gleicher Zeit von
demselben Künstler geschaffenen Bildwerken zu Grunde liegt, herauszufühlen.
Und doch: sie atmen einen Geist, sprühen dasselbe warme Leben; die gestellten
Probleme sind verschieden, ihre Lösung aber die gleiche. Die Häßlichkeit war
auch Wahrheit. Wenn wir die Porträtköpfe der bedeutendsten und gebildetsten
Zeitgenossen uns vergegenwärtigen, stoßen wir selten auf ein schönes Gesicht.
War doch in diesen durch äußere und innere Kämpfe wildbewegten Zeitläuften
so mancher Held halb Heros, halb Bestie. Und dennoch blieb das Individuum
groß und sein Wille -- oft auch seine Leidenschaft -- einheitlich, und der
Respekt der Zeit vor allem, was Persönlichkeit hieß, war viel zu groß, als daß
man ihr durch formenglatte Darstellung auch nur ein Charakterfältchen zu
nehmen gewagt hätte. Im Gegenteil, man steigerte wohl eher noch den Aus¬
druck jeuer uns wider Willen packenden Physiognomien durch schärfere Be¬
tonung eigentümlicher Züge. So gehen z. B. die abstoßenden Formen der
Büste des Niccolo da Uzzano (f 1432) geradezu über das Wahrscheinliche
hinaus, wenigstens sträubt sich unsre zahmere Phantasie, diesen brutalen Ple-
bejer als Diplomaten am Hofe zu Neapel zu denken, ihn als gemäßigten An¬
hänger der Albizzipartei eine politisch sehr wohlthätige Rolle spielen und in seinem
Testament der Republik bedeutende Summen für Stndienzwccke vermachen zu
sehen. Daß Donatello als Günstling und Anhänger der gegnerischen Partei
die schroffen Züge etwa in böswilliger Absicht betont habe, ist nicht anzunehmen.



*) Florenz, 1584. Übersetzung in Eitelbergcrs Quellenschriften zur Kunstqeschichte
IX S. 175 ff.
Donatello.

gearbeitet wurden, jene bekannte jugendliche Statue des heiligen Georg, die
schon den Zeitgenossen als ein Hauptwerk unsers Künstlers galt und im sech¬
zehnten Jahrhundert Francesco Bocchi zu einer weitschweifigen Lobschrift
veranlaßte. Bocchi rühmt in dieser vor rhetorischen Schwulst schier un¬
genießbaren Abhandlung über die Loosllsn^g. ästig, statua, 61 Sö-u Siorssio
al DongMIo*) von ihr vor allem dreierlei: Wahrheit der Charakteristik. Un¬
mittelbarkeit des Lebens und Schönheit. In der That ist diese letztere
Eigenschaft mit den beide» ersten, die vorzüglich jene „grimmig stolze Leiden¬
schaftlichkeit" des jugendlichen Glaubenshelden zum Ausdruck bringen, in über¬
raschender Weise verschmolzen. Trotzig, fast breitspurig steht der in Jugend¬
schönheit prangende Streiter für das Christentum da, ohne Helm und Schwert,
»ur deu Schild des Glaubens vor sich haltend, ein treffendes Bild selbstbe¬
wußter Kraft und Sicherheit, gleich seinem Geistesbrüder David, dem Goliath¬
bezwinger im Nationalmuseum zu Florenz, den Donatello ungefähr um die¬
selbe Zeit schuf (1408 bis 1416).

Wenn man neben diesen blühenden jugendlichen Gestalten die abgezehrten
und vernachlässigten Leiber des Zuccone oder des Jeremias am Campanile
betrachtet, wird es schwer, das Gemeinsame, welches diesen zu gleicher Zeit von
demselben Künstler geschaffenen Bildwerken zu Grunde liegt, herauszufühlen.
Und doch: sie atmen einen Geist, sprühen dasselbe warme Leben; die gestellten
Probleme sind verschieden, ihre Lösung aber die gleiche. Die Häßlichkeit war
auch Wahrheit. Wenn wir die Porträtköpfe der bedeutendsten und gebildetsten
Zeitgenossen uns vergegenwärtigen, stoßen wir selten auf ein schönes Gesicht.
War doch in diesen durch äußere und innere Kämpfe wildbewegten Zeitläuften
so mancher Held halb Heros, halb Bestie. Und dennoch blieb das Individuum
groß und sein Wille — oft auch seine Leidenschaft — einheitlich, und der
Respekt der Zeit vor allem, was Persönlichkeit hieß, war viel zu groß, als daß
man ihr durch formenglatte Darstellung auch nur ein Charakterfältchen zu
nehmen gewagt hätte. Im Gegenteil, man steigerte wohl eher noch den Aus¬
druck jeuer uns wider Willen packenden Physiognomien durch schärfere Be¬
tonung eigentümlicher Züge. So gehen z. B. die abstoßenden Formen der
Büste des Niccolo da Uzzano (f 1432) geradezu über das Wahrscheinliche
hinaus, wenigstens sträubt sich unsre zahmere Phantasie, diesen brutalen Ple-
bejer als Diplomaten am Hofe zu Neapel zu denken, ihn als gemäßigten An¬
hänger der Albizzipartei eine politisch sehr wohlthätige Rolle spielen und in seinem
Testament der Republik bedeutende Summen für Stndienzwccke vermachen zu
sehen. Daß Donatello als Günstling und Anhänger der gegnerischen Partei
die schroffen Züge etwa in böswilliger Absicht betont habe, ist nicht anzunehmen.



*) Florenz, 1584. Übersetzung in Eitelbergcrs Quellenschriften zur Kunstqeschichte
IX S. 175 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/131>, abgerufen am 17.09.2024.