Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ariegsbefürchtungen und die Kevull ass äenx morales.

Die Kammer bewilligte Kredite und Mannschaften für drei Jahre; die
Negierung wies das Geschenk zurück und vernichtete (brih-Ä) die Kammer. Sie
ergriff Maßregeln, um die neuen Kontingente ohne parlamentarische Bewilli¬
gung dem Heere einzuverleiben; die Pferdeansfuhr wurde verboten; 73 000 auf
unbestimmte Zeit einberufene Reservisten stießen zum Heere und sind jetzt den
Grenzregimentern einverleibt. (!) Ganze Armeekorps sind auf die Kriegsstärke
gebracht (I), und eine Mobiliscition, welche diesen Truppen im Augenblicke der
Eröffnung der Feindseligkeiten einen Vorzug von mehreren Tagen gewähren
würde, ist schon vollendet.

Welches von beiden Völkern kann die größte Zahl von Menschen be¬
waffnen ? Welches hat die Maßregeln ergriffen, die gewöhnlich den Krieg ver¬
künden? Wenn der Haß gegen den Erbfeind und die kriegerischen Instinkte
durch den Charakter des Landes und durch die Art der Regierung begünstigt
werden, ist dies in Frankreich oder in Deutschland der Fall? Wenn die innern
Schwierigkeiten eine Negierung nötigen können, eine Ablenkung nach außen zu
suchen, ist in Deutschland oder in Frankreich ein schwerer Kampf zwischen der
Regierung und der Landesvertretung ausgebrochen?'"). . . Und wenn endlich
das Übergewicht eines beherrschenden und des Ehrgeizes verdächtigen Willens
der Armee eine Drohung für den Frieden ist, tritt dieser gebieterische Wille in
Deutschland oder in Frankreich zu Tage? Würde in Deutschland ein ohne Zu¬
stimmung des Landes von einem Minister erklärter Krieg das Verbrechen eines
Aufrührers <Misux) sein? Ist in Frankreich derselbe Akt die Ausübung
eines einem Kaiser durch die Verfassung zuerkannten Rechtes?

Auch fragt sich in Europa, obwohl der Reichskanzler versprochen hat,
Frankreich nicht anzugreifen, und obgleich Frankreich geschwiegen hat, niemand,
ob Frankreich den Krieg wolle; jedermann fragt sich dagegen, ob Deutschland
den Frieden wolle. Und an dem Tage, wo der Friede gestört würde, würde
das Verdikt der ganzen Welt einstimmig sein. Sie würde aussprechen, auf
wen die volle Verantwortlichkeit des entfesselten Elends zurückfiele. Das Deutsch¬
land von 1887 würde sie an das Preußen von 1866 erinnern; es würde ihr
einfallen, daß damals Preußen, nachdem es sein Heer reorganistrt, die Be¬
waffnung verändert hatte und allein im Besitze des Zündnadelgewehres war,
plötzlich durch die Intriguen Österreichs gegen den Frieden in Aufregung ver¬
setzt wurde, daß es die Vorbereitungen dieser Macht öffentlich denunzirte, so
lange es Zeit bedürfte, um die seinigen zu vollenden; daß es endlich, um einer
unerträglich gewordenen Gefahr zu entgehen, sich auf einen Feind stürzte, der
noch beschäftigt war, seine Truppen zu sammeln, und daß es, gezwungen, den
Sieg, den die gerechte Sache verdient, davonzutragen, sich vor allem darüber
freute, daß es nicht die Verantwortlichkeit des Angriffes zu tragen hatte."



*) Der Artikel ist natürlich vor den Reichstagswahlen vom 21. Februar geschrieben.
Die Ariegsbefürchtungen und die Kevull ass äenx morales.

Die Kammer bewilligte Kredite und Mannschaften für drei Jahre; die
Negierung wies das Geschenk zurück und vernichtete (brih-Ä) die Kammer. Sie
ergriff Maßregeln, um die neuen Kontingente ohne parlamentarische Bewilli¬
gung dem Heere einzuverleiben; die Pferdeansfuhr wurde verboten; 73 000 auf
unbestimmte Zeit einberufene Reservisten stießen zum Heere und sind jetzt den
Grenzregimentern einverleibt. (!) Ganze Armeekorps sind auf die Kriegsstärke
gebracht (I), und eine Mobiliscition, welche diesen Truppen im Augenblicke der
Eröffnung der Feindseligkeiten einen Vorzug von mehreren Tagen gewähren
würde, ist schon vollendet.

Welches von beiden Völkern kann die größte Zahl von Menschen be¬
waffnen ? Welches hat die Maßregeln ergriffen, die gewöhnlich den Krieg ver¬
künden? Wenn der Haß gegen den Erbfeind und die kriegerischen Instinkte
durch den Charakter des Landes und durch die Art der Regierung begünstigt
werden, ist dies in Frankreich oder in Deutschland der Fall? Wenn die innern
Schwierigkeiten eine Negierung nötigen können, eine Ablenkung nach außen zu
suchen, ist in Deutschland oder in Frankreich ein schwerer Kampf zwischen der
Regierung und der Landesvertretung ausgebrochen?'"). . . Und wenn endlich
das Übergewicht eines beherrschenden und des Ehrgeizes verdächtigen Willens
der Armee eine Drohung für den Frieden ist, tritt dieser gebieterische Wille in
Deutschland oder in Frankreich zu Tage? Würde in Deutschland ein ohne Zu¬
stimmung des Landes von einem Minister erklärter Krieg das Verbrechen eines
Aufrührers <Misux) sein? Ist in Frankreich derselbe Akt die Ausübung
eines einem Kaiser durch die Verfassung zuerkannten Rechtes?

Auch fragt sich in Europa, obwohl der Reichskanzler versprochen hat,
Frankreich nicht anzugreifen, und obgleich Frankreich geschwiegen hat, niemand,
ob Frankreich den Krieg wolle; jedermann fragt sich dagegen, ob Deutschland
den Frieden wolle. Und an dem Tage, wo der Friede gestört würde, würde
das Verdikt der ganzen Welt einstimmig sein. Sie würde aussprechen, auf
wen die volle Verantwortlichkeit des entfesselten Elends zurückfiele. Das Deutsch¬
land von 1887 würde sie an das Preußen von 1866 erinnern; es würde ihr
einfallen, daß damals Preußen, nachdem es sein Heer reorganistrt, die Be¬
waffnung verändert hatte und allein im Besitze des Zündnadelgewehres war,
plötzlich durch die Intriguen Österreichs gegen den Frieden in Aufregung ver¬
setzt wurde, daß es die Vorbereitungen dieser Macht öffentlich denunzirte, so
lange es Zeit bedürfte, um die seinigen zu vollenden; daß es endlich, um einer
unerträglich gewordenen Gefahr zu entgehen, sich auf einen Feind stürzte, der
noch beschäftigt war, seine Truppen zu sammeln, und daß es, gezwungen, den
Sieg, den die gerechte Sache verdient, davonzutragen, sich vor allem darüber
freute, daß es nicht die Verantwortlichkeit des Angriffes zu tragen hatte."



*) Der Artikel ist natürlich vor den Reichstagswahlen vom 21. Februar geschrieben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288465"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ariegsbefürchtungen und die Kevull ass äenx morales.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_17"> Die Kammer bewilligte Kredite und Mannschaften für drei Jahre; die<lb/>
Negierung wies das Geschenk zurück und vernichtete (brih-Ä) die Kammer. Sie<lb/>
ergriff Maßregeln, um die neuen Kontingente ohne parlamentarische Bewilli¬<lb/>
gung dem Heere einzuverleiben; die Pferdeansfuhr wurde verboten; 73 000 auf<lb/>
unbestimmte Zeit einberufene Reservisten stießen zum Heere und sind jetzt den<lb/>
Grenzregimentern einverleibt. (!) Ganze Armeekorps sind auf die Kriegsstärke<lb/>
gebracht (I), und eine Mobiliscition, welche diesen Truppen im Augenblicke der<lb/>
Eröffnung der Feindseligkeiten einen Vorzug von mehreren Tagen gewähren<lb/>
würde, ist schon vollendet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18"> Welches von beiden Völkern kann die größte Zahl von Menschen be¬<lb/>
waffnen ? Welches hat die Maßregeln ergriffen, die gewöhnlich den Krieg ver¬<lb/>
künden? Wenn der Haß gegen den Erbfeind und die kriegerischen Instinkte<lb/>
durch den Charakter des Landes und durch die Art der Regierung begünstigt<lb/>
werden, ist dies in Frankreich oder in Deutschland der Fall? Wenn die innern<lb/>
Schwierigkeiten eine Negierung nötigen können, eine Ablenkung nach außen zu<lb/>
suchen, ist in Deutschland oder in Frankreich ein schwerer Kampf zwischen der<lb/>
Regierung und der Landesvertretung ausgebrochen?'"). . . Und wenn endlich<lb/>
das Übergewicht eines beherrschenden und des Ehrgeizes verdächtigen Willens<lb/>
der Armee eine Drohung für den Frieden ist, tritt dieser gebieterische Wille in<lb/>
Deutschland oder in Frankreich zu Tage? Würde in Deutschland ein ohne Zu¬<lb/>
stimmung des Landes von einem Minister erklärter Krieg das Verbrechen eines<lb/>
Aufrührers &lt;Misux) sein? Ist in Frankreich derselbe Akt die Ausübung<lb/>
eines einem Kaiser durch die Verfassung zuerkannten Rechtes?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_19"> Auch fragt sich in Europa, obwohl der Reichskanzler versprochen hat,<lb/>
Frankreich nicht anzugreifen, und obgleich Frankreich geschwiegen hat, niemand,<lb/>
ob Frankreich den Krieg wolle; jedermann fragt sich dagegen, ob Deutschland<lb/>
den Frieden wolle. Und an dem Tage, wo der Friede gestört würde, würde<lb/>
das Verdikt der ganzen Welt einstimmig sein. Sie würde aussprechen, auf<lb/>
wen die volle Verantwortlichkeit des entfesselten Elends zurückfiele. Das Deutsch¬<lb/>
land von 1887 würde sie an das Preußen von 1866 erinnern; es würde ihr<lb/>
einfallen, daß damals Preußen, nachdem es sein Heer reorganistrt, die Be¬<lb/>
waffnung verändert hatte und allein im Besitze des Zündnadelgewehres war,<lb/>
plötzlich durch die Intriguen Österreichs gegen den Frieden in Aufregung ver¬<lb/>
setzt wurde, daß es die Vorbereitungen dieser Macht öffentlich denunzirte, so<lb/>
lange es Zeit bedürfte, um die seinigen zu vollenden; daß es endlich, um einer<lb/>
unerträglich gewordenen Gefahr zu entgehen, sich auf einen Feind stürzte, der<lb/>
noch beschäftigt war, seine Truppen zu sammeln, und daß es, gezwungen, den<lb/>
Sieg, den die gerechte Sache verdient, davonzutragen, sich vor allem darüber<lb/>
freute, daß es nicht die Verantwortlichkeit des Angriffes zu tragen hatte."</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) Der Artikel ist natürlich vor den Reichstagswahlen vom 21. Februar geschrieben.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Die Ariegsbefürchtungen und die Kevull ass äenx morales. Die Kammer bewilligte Kredite und Mannschaften für drei Jahre; die Negierung wies das Geschenk zurück und vernichtete (brih-Ä) die Kammer. Sie ergriff Maßregeln, um die neuen Kontingente ohne parlamentarische Bewilli¬ gung dem Heere einzuverleiben; die Pferdeansfuhr wurde verboten; 73 000 auf unbestimmte Zeit einberufene Reservisten stießen zum Heere und sind jetzt den Grenzregimentern einverleibt. (!) Ganze Armeekorps sind auf die Kriegsstärke gebracht (I), und eine Mobiliscition, welche diesen Truppen im Augenblicke der Eröffnung der Feindseligkeiten einen Vorzug von mehreren Tagen gewähren würde, ist schon vollendet. Welches von beiden Völkern kann die größte Zahl von Menschen be¬ waffnen ? Welches hat die Maßregeln ergriffen, die gewöhnlich den Krieg ver¬ künden? Wenn der Haß gegen den Erbfeind und die kriegerischen Instinkte durch den Charakter des Landes und durch die Art der Regierung begünstigt werden, ist dies in Frankreich oder in Deutschland der Fall? Wenn die innern Schwierigkeiten eine Negierung nötigen können, eine Ablenkung nach außen zu suchen, ist in Deutschland oder in Frankreich ein schwerer Kampf zwischen der Regierung und der Landesvertretung ausgebrochen?'"). . . Und wenn endlich das Übergewicht eines beherrschenden und des Ehrgeizes verdächtigen Willens der Armee eine Drohung für den Frieden ist, tritt dieser gebieterische Wille in Deutschland oder in Frankreich zu Tage? Würde in Deutschland ein ohne Zu¬ stimmung des Landes von einem Minister erklärter Krieg das Verbrechen eines Aufrührers <Misux) sein? Ist in Frankreich derselbe Akt die Ausübung eines einem Kaiser durch die Verfassung zuerkannten Rechtes? Auch fragt sich in Europa, obwohl der Reichskanzler versprochen hat, Frankreich nicht anzugreifen, und obgleich Frankreich geschwiegen hat, niemand, ob Frankreich den Krieg wolle; jedermann fragt sich dagegen, ob Deutschland den Frieden wolle. Und an dem Tage, wo der Friede gestört würde, würde das Verdikt der ganzen Welt einstimmig sein. Sie würde aussprechen, auf wen die volle Verantwortlichkeit des entfesselten Elends zurückfiele. Das Deutsch¬ land von 1887 würde sie an das Preußen von 1866 erinnern; es würde ihr einfallen, daß damals Preußen, nachdem es sein Heer reorganistrt, die Be¬ waffnung verändert hatte und allein im Besitze des Zündnadelgewehres war, plötzlich durch die Intriguen Österreichs gegen den Frieden in Aufregung ver¬ setzt wurde, daß es die Vorbereitungen dieser Macht öffentlich denunzirte, so lange es Zeit bedürfte, um die seinigen zu vollenden; daß es endlich, um einer unerträglich gewordenen Gefahr zu entgehen, sich auf einen Feind stürzte, der noch beschäftigt war, seine Truppen zu sammeln, und daß es, gezwungen, den Sieg, den die gerechte Sache verdient, davonzutragen, sich vor allem darüber freute, daß es nicht die Verantwortlichkeit des Angriffes zu tragen hatte." *) Der Artikel ist natürlich vor den Reichstagswahlen vom 21. Februar geschrieben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/13>, abgerufen am 17.09.2024.