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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Handel und Wandel sich mächtig zu entfalten begann. Überall war man be¬
schäftigt, die siegreiche Stadt würdig zu schmücken. Dem Dom kam dies natür¬
lich zuerst zu Gute. Die Aufträge der Bauhütte an Donatello dauern fast
ununterbrochen bis zum Jahre 1426 an. An den Portalen, der Nordfassade
und dem Ccunpanile von Sta. Maria del Fiore haben wir Donatellos erste be¬
deutende Arbeiten aufzusuchen. Das ist indes keineswegs so ganz leicht, da die
Angaben der Urkunden uus fast ganz im Stich lassen und mehrfache An¬
stellungen auch die Prüfung der spätern Zeugnisse erschweren. So hat z. B.
eine Verwechslung des sitzenden Evangelisten Johannes mit einer ähnlichen
Evangelistenfigur des Bernardo ti Piero Ciuffagni lange Zeit in der Dvnatello-
fvrschnng eine beschämende Rolle gespielt, und auch der neueste italienische Bio¬
graph Donatellos nimmt mit vollem Bewußtsein und einer fast komisch wirkenden
Polemik diesen Irrtum wieder auf. Es ist das immerhin ein Beweis, daß diese
frühesten Schöpfungen unsers Künstlers sich von denen seiner Zeitgenossen nicht
auf den ersten Blick unterscheiden lassen. Wenn wir nach einem Merkmal für
seinen Stil suchen, so finden wir es in der Porträtauffasfung seiner Gestalten.
Köpfe von Zeitgenossen setzt er feinem Jeremias, seinem Josua und dem soge¬
nannten König David auf, den übrigens niemand als solchen erkennen wird;
auch das Florentiner Volk nicht: it ^ovono heißt der angebliche David und
den Zügen Cherichinis. un vsoonio der Prophet mit der Maske des Poggio
Bracciolini*) (?). Das stört die Freude an diesen so fremdartig und doch bekannt
dreinschauenden Gestalten nicht im mindesten. Freilich bringt sie der Volkswitz
stets in Beziehung zu ihrem Schöpfer, und das kennzeichnet ihren durchaus
modernen Charakter, im Gegensatz zu den Sagen und Anekvoteu. die sich an
mittelalterliche Kunstwerke knüpfen. Von den vielen Geschichten, die sich Florenz
von diesen PseudoPropheten und ihrem Meister erzählte, ist wohl die von dem
David-Cherichini-Zuccone die bezeichnendste, daß Donatello, als er ihn im Atelier
nach seiner Vollendung in gerechter Schaffensfreude von allen Seiten betrachtete,
ihm zugerufen haben soll: So sprich doch, sprich, zum Henker!

Sprechen sollten seine Statuen, wie zu dem Auge und Sinn des Künstlers
die Natur sprach; da war keine Linie, kein Fältchen der Haut stumm, alles
diente der Wxr<Z88lone eines innerlich gewaltig erregten Lebens; es ist nicht
ohne Interesse, zu scheu, wie in der etwa vierzig Jahre nach Donatellos Tode
erschienenen Schrift des Pomponius Gauricus dieser namentlich unter Paduaner
Kunsteinflüssen stehende Gelehrte, ein förmliches System der Physiognomik auf¬
baut. "Sie ist -- sagt er -- eine gewisse Art der Beobachtung, mittels deren
wir aus den dem Körper anhaftenden Zeichen auf die Eigenschaften der Seele
schließen."**) Darum soll jede Schmeichelei dem Bildhauer fremd sem. "d. h.



Schmarsow. a. a. O. S. 10. Semper im Repertorwm für Kunstwissenschaft 1886,
S. 487. - "*) Übersetzung von Brockhaus (Leipzig, 1386), S. As.
Grenzboten II. 1887.

Handel und Wandel sich mächtig zu entfalten begann. Überall war man be¬
schäftigt, die siegreiche Stadt würdig zu schmücken. Dem Dom kam dies natür¬
lich zuerst zu Gute. Die Aufträge der Bauhütte an Donatello dauern fast
ununterbrochen bis zum Jahre 1426 an. An den Portalen, der Nordfassade
und dem Ccunpanile von Sta. Maria del Fiore haben wir Donatellos erste be¬
deutende Arbeiten aufzusuchen. Das ist indes keineswegs so ganz leicht, da die
Angaben der Urkunden uus fast ganz im Stich lassen und mehrfache An¬
stellungen auch die Prüfung der spätern Zeugnisse erschweren. So hat z. B.
eine Verwechslung des sitzenden Evangelisten Johannes mit einer ähnlichen
Evangelistenfigur des Bernardo ti Piero Ciuffagni lange Zeit in der Dvnatello-
fvrschnng eine beschämende Rolle gespielt, und auch der neueste italienische Bio¬
graph Donatellos nimmt mit vollem Bewußtsein und einer fast komisch wirkenden
Polemik diesen Irrtum wieder auf. Es ist das immerhin ein Beweis, daß diese
frühesten Schöpfungen unsers Künstlers sich von denen seiner Zeitgenossen nicht
auf den ersten Blick unterscheiden lassen. Wenn wir nach einem Merkmal für
seinen Stil suchen, so finden wir es in der Porträtauffasfung seiner Gestalten.
Köpfe von Zeitgenossen setzt er feinem Jeremias, seinem Josua und dem soge¬
nannten König David auf, den übrigens niemand als solchen erkennen wird;
auch das Florentiner Volk nicht: it ^ovono heißt der angebliche David und
den Zügen Cherichinis. un vsoonio der Prophet mit der Maske des Poggio
Bracciolini*) (?). Das stört die Freude an diesen so fremdartig und doch bekannt
dreinschauenden Gestalten nicht im mindesten. Freilich bringt sie der Volkswitz
stets in Beziehung zu ihrem Schöpfer, und das kennzeichnet ihren durchaus
modernen Charakter, im Gegensatz zu den Sagen und Anekvoteu. die sich an
mittelalterliche Kunstwerke knüpfen. Von den vielen Geschichten, die sich Florenz
von diesen PseudoPropheten und ihrem Meister erzählte, ist wohl die von dem
David-Cherichini-Zuccone die bezeichnendste, daß Donatello, als er ihn im Atelier
nach seiner Vollendung in gerechter Schaffensfreude von allen Seiten betrachtete,
ihm zugerufen haben soll: So sprich doch, sprich, zum Henker!

Sprechen sollten seine Statuen, wie zu dem Auge und Sinn des Künstlers
die Natur sprach; da war keine Linie, kein Fältchen der Haut stumm, alles
diente der Wxr<Z88lone eines innerlich gewaltig erregten Lebens; es ist nicht
ohne Interesse, zu scheu, wie in der etwa vierzig Jahre nach Donatellos Tode
erschienenen Schrift des Pomponius Gauricus dieser namentlich unter Paduaner
Kunsteinflüssen stehende Gelehrte, ein förmliches System der Physiognomik auf¬
baut. „Sie ist — sagt er — eine gewisse Art der Beobachtung, mittels deren
wir aus den dem Körper anhaftenden Zeichen auf die Eigenschaften der Seele
schließen."**) Darum soll jede Schmeichelei dem Bildhauer fremd sem. „d. h.



Schmarsow. a. a. O. S. 10. Semper im Repertorwm für Kunstwissenschaft 1886,
S. 487. - »*) Übersetzung von Brockhaus (Leipzig, 1386), S. As.
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[0129] Handel und Wandel sich mächtig zu entfalten begann. Überall war man be¬ schäftigt, die siegreiche Stadt würdig zu schmücken. Dem Dom kam dies natür¬ lich zuerst zu Gute. Die Aufträge der Bauhütte an Donatello dauern fast ununterbrochen bis zum Jahre 1426 an. An den Portalen, der Nordfassade und dem Ccunpanile von Sta. Maria del Fiore haben wir Donatellos erste be¬ deutende Arbeiten aufzusuchen. Das ist indes keineswegs so ganz leicht, da die Angaben der Urkunden uus fast ganz im Stich lassen und mehrfache An¬ stellungen auch die Prüfung der spätern Zeugnisse erschweren. So hat z. B. eine Verwechslung des sitzenden Evangelisten Johannes mit einer ähnlichen Evangelistenfigur des Bernardo ti Piero Ciuffagni lange Zeit in der Dvnatello- fvrschnng eine beschämende Rolle gespielt, und auch der neueste italienische Bio¬ graph Donatellos nimmt mit vollem Bewußtsein und einer fast komisch wirkenden Polemik diesen Irrtum wieder auf. Es ist das immerhin ein Beweis, daß diese frühesten Schöpfungen unsers Künstlers sich von denen seiner Zeitgenossen nicht auf den ersten Blick unterscheiden lassen. Wenn wir nach einem Merkmal für seinen Stil suchen, so finden wir es in der Porträtauffasfung seiner Gestalten. Köpfe von Zeitgenossen setzt er feinem Jeremias, seinem Josua und dem soge¬ nannten König David auf, den übrigens niemand als solchen erkennen wird; auch das Florentiner Volk nicht: it ^ovono heißt der angebliche David und den Zügen Cherichinis. un vsoonio der Prophet mit der Maske des Poggio Bracciolini*) (?). Das stört die Freude an diesen so fremdartig und doch bekannt dreinschauenden Gestalten nicht im mindesten. Freilich bringt sie der Volkswitz stets in Beziehung zu ihrem Schöpfer, und das kennzeichnet ihren durchaus modernen Charakter, im Gegensatz zu den Sagen und Anekvoteu. die sich an mittelalterliche Kunstwerke knüpfen. Von den vielen Geschichten, die sich Florenz von diesen PseudoPropheten und ihrem Meister erzählte, ist wohl die von dem David-Cherichini-Zuccone die bezeichnendste, daß Donatello, als er ihn im Atelier nach seiner Vollendung in gerechter Schaffensfreude von allen Seiten betrachtete, ihm zugerufen haben soll: So sprich doch, sprich, zum Henker! Sprechen sollten seine Statuen, wie zu dem Auge und Sinn des Künstlers die Natur sprach; da war keine Linie, kein Fältchen der Haut stumm, alles diente der Wxr<Z88lone eines innerlich gewaltig erregten Lebens; es ist nicht ohne Interesse, zu scheu, wie in der etwa vierzig Jahre nach Donatellos Tode erschienenen Schrift des Pomponius Gauricus dieser namentlich unter Paduaner Kunsteinflüssen stehende Gelehrte, ein förmliches System der Physiognomik auf¬ baut. „Sie ist — sagt er — eine gewisse Art der Beobachtung, mittels deren wir aus den dem Körper anhaftenden Zeichen auf die Eigenschaften der Seele schließen."**) Darum soll jede Schmeichelei dem Bildhauer fremd sem. „d. h. Schmarsow. a. a. O. S. 10. Semper im Repertorwm für Kunstwissenschaft 1886, S. 487. - »*) Übersetzung von Brockhaus (Leipzig, 1386), S. As. Grenzboten II. 1887.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/129>, abgerufen am 17.09.2024.