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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Jahrzehnte später traten solche Anstalten in Haida, Gablonz, Rnmburg, Aussig,
Dux, Teplitz und anderwärts hinzu, auffallenderweise fast nur in deutschen
Städten. Und warum gerade hier? Erstens, weil das Kunstgewerbe und die
Großindustrie Böhmens, für welche die ersten dieser Institute geschaffen wurden,
sich meist in deutschen Händen befinden, und zweitens, weil das Handelsmini¬
sterium die von ihm an die Errichtung derselben geknüpfte Bedingung einer
Unterstützung durch die betreffenden Gemeinden mit Hergabe der Lokalitäten,
der Heizung, Beleuchtung und dergleichen nur in deutschen, niemals in tschechischen
Orten erfüllt sah. So giebt es jetzt in Böhmen einundachtzig gewerbliche Fort¬
bildungsschulen, und davon fallen 55 Prozent allein auf den Bezirk der Reichen-
berger Handels- und Gewerbekammer, welche bekanntlich weit überwiegend deutsch
ist. 1881 wurde das gewerbliche Unterrichtswesen dem Unterrichtsministerium
zugeteilt, 1882 wies ein Erlaß des damaligen Vorstandes desselben die Han¬
dels- und Gelverbekammern an, sich fortan in Betreff der Errichtung und Ver¬
waltung der Gewerbeschulen direkt mit ihm in Verbindung zu setzen. Dies
geschah, gefiel aber dem Statthalter durchaus nicht. Denn wenn auch von
den fünf Handels- und Gewerbekammern Böhmens dank einer neuen Wahl¬
ordnung drei bereits einer tschechischen Majorität preisgegeben worden sind,
so existiren immerhin noch zwei deutsche, und das ist zu viel, und so verlangte
im Februar der Statthalter, daß ihm ein "Beirat" für die Angelegenheiten des
gewerblichen Unterrichtswesens an die Seite gestellt werde. Das sieht harmlos
aus, die Deutschen wissen aber, was es bedeutet. Die deutschen Handels- und
Gewerbekammern sollen künftig in der Sache einfach umgangen und nicht
mehr gehört werden, der Statthalter soll mit seinem "Beirat" maßgebend sein,
er, der alles, was er anfaßt, vom tschechisch nationalen Standpunkte entscheidet
und behandelt. Räumt man ihm das ein, so wird hinfort schwerlich ein deutscher
Lehrer an eine böhmische Gewerbeschule berufen werden, und die Befürchtung
ist nicht ohne Grund, daß in andern Beziehungen Maßregeln erfolgen werden,
welche eine schwere Schädigung des mit großen Opfern ins Leben gerufenen
und hochentwickelten gewerblichen Fachschulwesens des Landes, namentlich Deutsch¬
böhmens, einschließen.

Noch ist man in diesen Dingen wie in vielen andern nicht soweit, daß das
Ideal der Tschechen und ihrer Patrone verwirklicht wäre. Die Deutschböhmen
wehren sich gegen den konzentrisch gegen ihre Nationalität gerichteten Angriff
der Slawen seit einigen Jahren ebenso mannhaft als geschickt, und alle Parteien
derselben sind jetzt darüber einig, daß es vor allem gilt, das Volkstum zu
schützen, was auch die "Deutschösterreicher" dabei noch für Hintergedanken haben
mögen. Jedenfalls thun auch die letzter" jetzt, was sich auf parlamentarischem
Wege thun läßt. Ich werde diesen Kampf der Deutschen mit den Tschechen
mit Ihrer Erlaubnis in ein paar weiteren Briefen nach seinen Waffen und
Wegen, seinen Erfolgen und Niederlagen schildern. Für heute sei schließlich nur


Deutsch-böhmische Briefe.

Jahrzehnte später traten solche Anstalten in Haida, Gablonz, Rnmburg, Aussig,
Dux, Teplitz und anderwärts hinzu, auffallenderweise fast nur in deutschen
Städten. Und warum gerade hier? Erstens, weil das Kunstgewerbe und die
Großindustrie Böhmens, für welche die ersten dieser Institute geschaffen wurden,
sich meist in deutschen Händen befinden, und zweitens, weil das Handelsmini¬
sterium die von ihm an die Errichtung derselben geknüpfte Bedingung einer
Unterstützung durch die betreffenden Gemeinden mit Hergabe der Lokalitäten,
der Heizung, Beleuchtung und dergleichen nur in deutschen, niemals in tschechischen
Orten erfüllt sah. So giebt es jetzt in Böhmen einundachtzig gewerbliche Fort¬
bildungsschulen, und davon fallen 55 Prozent allein auf den Bezirk der Reichen-
berger Handels- und Gewerbekammer, welche bekanntlich weit überwiegend deutsch
ist. 1881 wurde das gewerbliche Unterrichtswesen dem Unterrichtsministerium
zugeteilt, 1882 wies ein Erlaß des damaligen Vorstandes desselben die Han¬
dels- und Gelverbekammern an, sich fortan in Betreff der Errichtung und Ver¬
waltung der Gewerbeschulen direkt mit ihm in Verbindung zu setzen. Dies
geschah, gefiel aber dem Statthalter durchaus nicht. Denn wenn auch von
den fünf Handels- und Gewerbekammern Böhmens dank einer neuen Wahl¬
ordnung drei bereits einer tschechischen Majorität preisgegeben worden sind,
so existiren immerhin noch zwei deutsche, und das ist zu viel, und so verlangte
im Februar der Statthalter, daß ihm ein „Beirat" für die Angelegenheiten des
gewerblichen Unterrichtswesens an die Seite gestellt werde. Das sieht harmlos
aus, die Deutschen wissen aber, was es bedeutet. Die deutschen Handels- und
Gewerbekammern sollen künftig in der Sache einfach umgangen und nicht
mehr gehört werden, der Statthalter soll mit seinem „Beirat" maßgebend sein,
er, der alles, was er anfaßt, vom tschechisch nationalen Standpunkte entscheidet
und behandelt. Räumt man ihm das ein, so wird hinfort schwerlich ein deutscher
Lehrer an eine böhmische Gewerbeschule berufen werden, und die Befürchtung
ist nicht ohne Grund, daß in andern Beziehungen Maßregeln erfolgen werden,
welche eine schwere Schädigung des mit großen Opfern ins Leben gerufenen
und hochentwickelten gewerblichen Fachschulwesens des Landes, namentlich Deutsch¬
böhmens, einschließen.

Noch ist man in diesen Dingen wie in vielen andern nicht soweit, daß das
Ideal der Tschechen und ihrer Patrone verwirklicht wäre. Die Deutschböhmen
wehren sich gegen den konzentrisch gegen ihre Nationalität gerichteten Angriff
der Slawen seit einigen Jahren ebenso mannhaft als geschickt, und alle Parteien
derselben sind jetzt darüber einig, daß es vor allem gilt, das Volkstum zu
schützen, was auch die „Deutschösterreicher" dabei noch für Hintergedanken haben
mögen. Jedenfalls thun auch die letzter« jetzt, was sich auf parlamentarischem
Wege thun läßt. Ich werde diesen Kampf der Deutschen mit den Tschechen
mit Ihrer Erlaubnis in ein paar weiteren Briefen nach seinen Waffen und
Wegen, seinen Erfolgen und Niederlagen schildern. Für heute sei schließlich nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/116>, abgerufen am 17.09.2024.