Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch - böhmische Briefe.

weiß das. Er hat Nationalgefühl wie seine Worthalter in der tschechischen
Presse und Volksvertretung, aber er teilt deren Größenwahn und deren na¬
tionale Empfindlichkeit, die immer von Zurücksetzung des Tschechischen gegen
das Deutsche perorirte, in keiner Weise, wenigstens da, wo Phrasen ihm nicht
den Verstand ausgeredet haben, der seinen Nutzen erkennt. Der tschechische
Fabrikarbeiter, der Handwerksgesell, der Bauer weiß den Wert der deutschen
Sprache sehr wohl zu schätzen. Er freut sich, wenn er zum Soldaten ausge¬
hoben wird, etwas von ihr zu lernen, welche die Sprache des Heeres, seiner
Befehlshaber und seines Kaisers ist. Er geht als Dienstbote, als Lehrbursch,
als Handarbeiter nach Wien, in eine andre deutsche Stadt, auch über die Grenze
nach Schlesien, Sachsen oder Baiern, und er weiß von Vorgängern und Ka¬
meraden, was er dort, abgesehen von seinem Mangel an Baarschaft und seiner
sozialen Niedrigkeit, zu erwarten hat, sobald er den letzten Ort hinter sich sieht,
wo tschechisch gesprochen wird, was bei der geringen Ausdehnung des tschechischen
Gebietes sehr bald eintritt. Der deutsche Arbeiter geht nur sehr selten nach
tschechischen Gebieten, um Beschäftigung und Verdienst zu suchen, der tschechische sehr
häufig nach deutschen, er wandert durch das ganze Reich, und wer dabei von Haus
aus eine gewisse Kenntnis der deutschen Sprache im Kopfe mit sich fuhrt, für den
ist dies ein besseres Viatikum als die paar Gulden im Beutel, welche ihm Vater
oder Mutter als Zehrpfennig mitgegeben haben. Damit aber vergleiche man
den Antrag, der im böhmischen Landtage vom Abgeordneten Kwicala gestellt
wurde und der nicht nur ein Muster nationaler Gehässigkeit und Unduldsam¬
keit ist, sondern nach dem soeben Gesagten als eine schwere Beeinträchtigung
der Interessen des tschechischen kleinen Mannes erscheinen muß. Mit dieser
Forderung der tschechischen Partei im Prager Landtage soll das natürliche
Bedürfnis des Volkes, welches diese Herren zu seinen Vertretern gewählt hat,
das Bedürfnis, welches sich dadurch äußert, daß arme Leute von tschechischer
Nationalität in rein deutschen oder gemischen Gegenden ihre Kinder in die deutsche
Schule schicken, um sich hier die deutsche Sprache anzueignen und damit ein
Mittel zu besserem Fortkommen zu gewinnen, einfach kassirt werden, man will
die Eltern außer Stand setzen, ihre Kinder in eine Schule zu senden, wo jener
Zweck absolut nicht zu erreichen ist -- alles zur größern Ehre des in Böhmen
allein Seligmacher sollenden Tschechentums, was auch durch den zweiten Zweck
des Antrags gemeint ist, der darin besteht, einen Zustand vorzubereiten, bei
welchem die gegenwärtig noch widerstrebenden deutschen Gemeinden gezwungen
werden, tschechische Schulen zu errichten.

Dies bringt mich auf ein Thema, das nicht weniger ernst ist als das im
vorigen Briefe erörterte. Hand in Hand mit der "Utraquisirung," d. h. der
Tschechisirung der politischen Behörden, des Richterstandes, der Staatsanwalt¬
schaften, der Handels- und Gcwerbekammern, der Post- und Telegraphen¬
ämter u. s. w., geht die Errichtung tschechischer Volksschulen in den deutschen


Deutsch - böhmische Briefe.

weiß das. Er hat Nationalgefühl wie seine Worthalter in der tschechischen
Presse und Volksvertretung, aber er teilt deren Größenwahn und deren na¬
tionale Empfindlichkeit, die immer von Zurücksetzung des Tschechischen gegen
das Deutsche perorirte, in keiner Weise, wenigstens da, wo Phrasen ihm nicht
den Verstand ausgeredet haben, der seinen Nutzen erkennt. Der tschechische
Fabrikarbeiter, der Handwerksgesell, der Bauer weiß den Wert der deutschen
Sprache sehr wohl zu schätzen. Er freut sich, wenn er zum Soldaten ausge¬
hoben wird, etwas von ihr zu lernen, welche die Sprache des Heeres, seiner
Befehlshaber und seines Kaisers ist. Er geht als Dienstbote, als Lehrbursch,
als Handarbeiter nach Wien, in eine andre deutsche Stadt, auch über die Grenze
nach Schlesien, Sachsen oder Baiern, und er weiß von Vorgängern und Ka¬
meraden, was er dort, abgesehen von seinem Mangel an Baarschaft und seiner
sozialen Niedrigkeit, zu erwarten hat, sobald er den letzten Ort hinter sich sieht,
wo tschechisch gesprochen wird, was bei der geringen Ausdehnung des tschechischen
Gebietes sehr bald eintritt. Der deutsche Arbeiter geht nur sehr selten nach
tschechischen Gebieten, um Beschäftigung und Verdienst zu suchen, der tschechische sehr
häufig nach deutschen, er wandert durch das ganze Reich, und wer dabei von Haus
aus eine gewisse Kenntnis der deutschen Sprache im Kopfe mit sich fuhrt, für den
ist dies ein besseres Viatikum als die paar Gulden im Beutel, welche ihm Vater
oder Mutter als Zehrpfennig mitgegeben haben. Damit aber vergleiche man
den Antrag, der im böhmischen Landtage vom Abgeordneten Kwicala gestellt
wurde und der nicht nur ein Muster nationaler Gehässigkeit und Unduldsam¬
keit ist, sondern nach dem soeben Gesagten als eine schwere Beeinträchtigung
der Interessen des tschechischen kleinen Mannes erscheinen muß. Mit dieser
Forderung der tschechischen Partei im Prager Landtage soll das natürliche
Bedürfnis des Volkes, welches diese Herren zu seinen Vertretern gewählt hat,
das Bedürfnis, welches sich dadurch äußert, daß arme Leute von tschechischer
Nationalität in rein deutschen oder gemischen Gegenden ihre Kinder in die deutsche
Schule schicken, um sich hier die deutsche Sprache anzueignen und damit ein
Mittel zu besserem Fortkommen zu gewinnen, einfach kassirt werden, man will
die Eltern außer Stand setzen, ihre Kinder in eine Schule zu senden, wo jener
Zweck absolut nicht zu erreichen ist — alles zur größern Ehre des in Böhmen
allein Seligmacher sollenden Tschechentums, was auch durch den zweiten Zweck
des Antrags gemeint ist, der darin besteht, einen Zustand vorzubereiten, bei
welchem die gegenwärtig noch widerstrebenden deutschen Gemeinden gezwungen
werden, tschechische Schulen zu errichten.

Dies bringt mich auf ein Thema, das nicht weniger ernst ist als das im
vorigen Briefe erörterte. Hand in Hand mit der „Utraquisirung," d. h. der
Tschechisirung der politischen Behörden, des Richterstandes, der Staatsanwalt¬
schaften, der Handels- und Gcwerbekammern, der Post- und Telegraphen¬
ämter u. s. w., geht die Errichtung tschechischer Volksschulen in den deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288565"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch - böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321"> weiß das. Er hat Nationalgefühl wie seine Worthalter in der tschechischen<lb/>
Presse und Volksvertretung, aber er teilt deren Größenwahn und deren na¬<lb/>
tionale Empfindlichkeit, die immer von Zurücksetzung des Tschechischen gegen<lb/>
das Deutsche perorirte, in keiner Weise, wenigstens da, wo Phrasen ihm nicht<lb/>
den Verstand ausgeredet haben, der seinen Nutzen erkennt. Der tschechische<lb/>
Fabrikarbeiter, der Handwerksgesell, der Bauer weiß den Wert der deutschen<lb/>
Sprache sehr wohl zu schätzen. Er freut sich, wenn er zum Soldaten ausge¬<lb/>
hoben wird, etwas von ihr zu lernen, welche die Sprache des Heeres, seiner<lb/>
Befehlshaber und seines Kaisers ist. Er geht als Dienstbote, als Lehrbursch,<lb/>
als Handarbeiter nach Wien, in eine andre deutsche Stadt, auch über die Grenze<lb/>
nach Schlesien, Sachsen oder Baiern, und er weiß von Vorgängern und Ka¬<lb/>
meraden, was er dort, abgesehen von seinem Mangel an Baarschaft und seiner<lb/>
sozialen Niedrigkeit, zu erwarten hat, sobald er den letzten Ort hinter sich sieht,<lb/>
wo tschechisch gesprochen wird, was bei der geringen Ausdehnung des tschechischen<lb/>
Gebietes sehr bald eintritt. Der deutsche Arbeiter geht nur sehr selten nach<lb/>
tschechischen Gebieten, um Beschäftigung und Verdienst zu suchen, der tschechische sehr<lb/>
häufig nach deutschen, er wandert durch das ganze Reich, und wer dabei von Haus<lb/>
aus eine gewisse Kenntnis der deutschen Sprache im Kopfe mit sich fuhrt, für den<lb/>
ist dies ein besseres Viatikum als die paar Gulden im Beutel, welche ihm Vater<lb/>
oder Mutter als Zehrpfennig mitgegeben haben. Damit aber vergleiche man<lb/>
den Antrag, der im böhmischen Landtage vom Abgeordneten Kwicala gestellt<lb/>
wurde und der nicht nur ein Muster nationaler Gehässigkeit und Unduldsam¬<lb/>
keit ist, sondern nach dem soeben Gesagten als eine schwere Beeinträchtigung<lb/>
der Interessen des tschechischen kleinen Mannes erscheinen muß. Mit dieser<lb/>
Forderung der tschechischen Partei im Prager Landtage soll das natürliche<lb/>
Bedürfnis des Volkes, welches diese Herren zu seinen Vertretern gewählt hat,<lb/>
das Bedürfnis, welches sich dadurch äußert, daß arme Leute von tschechischer<lb/>
Nationalität in rein deutschen oder gemischen Gegenden ihre Kinder in die deutsche<lb/>
Schule schicken, um sich hier die deutsche Sprache anzueignen und damit ein<lb/>
Mittel zu besserem Fortkommen zu gewinnen, einfach kassirt werden, man will<lb/>
die Eltern außer Stand setzen, ihre Kinder in eine Schule zu senden, wo jener<lb/>
Zweck absolut nicht zu erreichen ist &#x2014; alles zur größern Ehre des in Böhmen<lb/>
allein Seligmacher sollenden Tschechentums, was auch durch den zweiten Zweck<lb/>
des Antrags gemeint ist, der darin besteht, einen Zustand vorzubereiten, bei<lb/>
welchem die gegenwärtig noch widerstrebenden deutschen Gemeinden gezwungen<lb/>
werden, tschechische Schulen zu errichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Dies bringt mich auf ein Thema, das nicht weniger ernst ist als das im<lb/>
vorigen Briefe erörterte. Hand in Hand mit der &#x201E;Utraquisirung," d. h. der<lb/>
Tschechisirung der politischen Behörden, des Richterstandes, der Staatsanwalt¬<lb/>
schaften, der Handels- und Gcwerbekammern, der Post- und Telegraphen¬<lb/>
ämter u. s. w., geht die Errichtung tschechischer Volksschulen in den deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Deutsch - böhmische Briefe. weiß das. Er hat Nationalgefühl wie seine Worthalter in der tschechischen Presse und Volksvertretung, aber er teilt deren Größenwahn und deren na¬ tionale Empfindlichkeit, die immer von Zurücksetzung des Tschechischen gegen das Deutsche perorirte, in keiner Weise, wenigstens da, wo Phrasen ihm nicht den Verstand ausgeredet haben, der seinen Nutzen erkennt. Der tschechische Fabrikarbeiter, der Handwerksgesell, der Bauer weiß den Wert der deutschen Sprache sehr wohl zu schätzen. Er freut sich, wenn er zum Soldaten ausge¬ hoben wird, etwas von ihr zu lernen, welche die Sprache des Heeres, seiner Befehlshaber und seines Kaisers ist. Er geht als Dienstbote, als Lehrbursch, als Handarbeiter nach Wien, in eine andre deutsche Stadt, auch über die Grenze nach Schlesien, Sachsen oder Baiern, und er weiß von Vorgängern und Ka¬ meraden, was er dort, abgesehen von seinem Mangel an Baarschaft und seiner sozialen Niedrigkeit, zu erwarten hat, sobald er den letzten Ort hinter sich sieht, wo tschechisch gesprochen wird, was bei der geringen Ausdehnung des tschechischen Gebietes sehr bald eintritt. Der deutsche Arbeiter geht nur sehr selten nach tschechischen Gebieten, um Beschäftigung und Verdienst zu suchen, der tschechische sehr häufig nach deutschen, er wandert durch das ganze Reich, und wer dabei von Haus aus eine gewisse Kenntnis der deutschen Sprache im Kopfe mit sich fuhrt, für den ist dies ein besseres Viatikum als die paar Gulden im Beutel, welche ihm Vater oder Mutter als Zehrpfennig mitgegeben haben. Damit aber vergleiche man den Antrag, der im böhmischen Landtage vom Abgeordneten Kwicala gestellt wurde und der nicht nur ein Muster nationaler Gehässigkeit und Unduldsam¬ keit ist, sondern nach dem soeben Gesagten als eine schwere Beeinträchtigung der Interessen des tschechischen kleinen Mannes erscheinen muß. Mit dieser Forderung der tschechischen Partei im Prager Landtage soll das natürliche Bedürfnis des Volkes, welches diese Herren zu seinen Vertretern gewählt hat, das Bedürfnis, welches sich dadurch äußert, daß arme Leute von tschechischer Nationalität in rein deutschen oder gemischen Gegenden ihre Kinder in die deutsche Schule schicken, um sich hier die deutsche Sprache anzueignen und damit ein Mittel zu besserem Fortkommen zu gewinnen, einfach kassirt werden, man will die Eltern außer Stand setzen, ihre Kinder in eine Schule zu senden, wo jener Zweck absolut nicht zu erreichen ist — alles zur größern Ehre des in Böhmen allein Seligmacher sollenden Tschechentums, was auch durch den zweiten Zweck des Antrags gemeint ist, der darin besteht, einen Zustand vorzubereiten, bei welchem die gegenwärtig noch widerstrebenden deutschen Gemeinden gezwungen werden, tschechische Schulen zu errichten. Dies bringt mich auf ein Thema, das nicht weniger ernst ist als das im vorigen Briefe erörterte. Hand in Hand mit der „Utraquisirung," d. h. der Tschechisirung der politischen Behörden, des Richterstandes, der Staatsanwalt¬ schaften, der Handels- und Gcwerbekammern, der Post- und Telegraphen¬ ämter u. s. w., geht die Errichtung tschechischer Volksschulen in den deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/112>, abgerufen am 17.09.2024.