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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Friedrich der Große starb schon ein Jahr nach Abschluß des Fürsten¬
bundes. Die Bedeutung, welche Preußen durch dieses sein letztes Werk für die
gemeindeutschen Angelegenheiten gewonnen hatte, schien durch die ersten Hand¬
lungen des Nachfolgers nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern verstärkt werden
zu sollen. Derselbe hatte sich schon als Prinz für den Fürstenbund interessirt,
er schlug als König in nicht wenigen Worten und Maßregeln den deutschen
Ton an, der zur politischen Lage stimmte, und lesen wir die Rede, in der ihn
der Akademiker Engel an seinem ersten Geburtstage nach seiner Thronbesteigung
feierte, so meinen wir wohl, in Berlin habe man damals nur noch einen Schritt
zu thun gehabt, um in die Rolle, die Preußen in unsern Tagen beschicken
war, einzutreten und die deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einem neuen
Reiche um sich zu sammeln. Und doch wäre, wie unsre Schrift zeigt, dieser
Schritt noch ein ungenügend vorbereiteter gewesen. Der Unterschied zwischen
dem damaligen preußisch-deutschen Aufschwünge und unsrer Art, in vater¬
ländischen Dingen zu denken und zu empfinden, ist ein gewaltiger. Dazu aber
kam, daß sich schon drei Jahre nach Begründung des Fürstenbundes von Frank¬
reich aus die ungeheure Springflut der Revolution ergoß, vor der Preußen
und die deutsche Nation notdürftig ihre Existenz retteten.




Deutsch-böhmische Briefe.
7.

u Ende des vorigen Briefes faßte ich die Tendenzen der in ihm
geschilderten Tschechisirung der böhmischen Gerichte in die Worte
zusammen, nicht mehr Richter, ja nicht mehr Gerichtsdiener solle
der Deutsche hier werden können; nur die Rolle des Verbrechers
scheine ihm noch gebühren zu sollen. Die Sache ist ungefähr
richtig, wenn dieser halsstarrige Deutsche nicht tschechisch lernen will, antwortet
man uns; aber so lerne ers doch; unsre Leute mußten früher ja Deutsch lernen
und versuchen das noch, so gut es gehen will. Das ist ein Rat, der sich viel¬
leicht einigermaßen hören ließe für die Zukunft, der aber nicht für die Gegen¬
wart paßt, wo die Sprachenverordnung vollständige Kenntnis der tschechischen
Sprache voraussetzt, während es bekannte Thatsache ist, daß im geschlossenen
deutschen Sprachgebiete Böhmens nicht zwei Prozent der Deutschen jene Sprache
auch nur oberflächlich kennen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erlernung


Deutsch-böhmische Briefe.

Friedrich der Große starb schon ein Jahr nach Abschluß des Fürsten¬
bundes. Die Bedeutung, welche Preußen durch dieses sein letztes Werk für die
gemeindeutschen Angelegenheiten gewonnen hatte, schien durch die ersten Hand¬
lungen des Nachfolgers nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern verstärkt werden
zu sollen. Derselbe hatte sich schon als Prinz für den Fürstenbund interessirt,
er schlug als König in nicht wenigen Worten und Maßregeln den deutschen
Ton an, der zur politischen Lage stimmte, und lesen wir die Rede, in der ihn
der Akademiker Engel an seinem ersten Geburtstage nach seiner Thronbesteigung
feierte, so meinen wir wohl, in Berlin habe man damals nur noch einen Schritt
zu thun gehabt, um in die Rolle, die Preußen in unsern Tagen beschicken
war, einzutreten und die deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einem neuen
Reiche um sich zu sammeln. Und doch wäre, wie unsre Schrift zeigt, dieser
Schritt noch ein ungenügend vorbereiteter gewesen. Der Unterschied zwischen
dem damaligen preußisch-deutschen Aufschwünge und unsrer Art, in vater¬
ländischen Dingen zu denken und zu empfinden, ist ein gewaltiger. Dazu aber
kam, daß sich schon drei Jahre nach Begründung des Fürstenbundes von Frank¬
reich aus die ungeheure Springflut der Revolution ergoß, vor der Preußen
und die deutsche Nation notdürftig ihre Existenz retteten.




Deutsch-böhmische Briefe.
7.

u Ende des vorigen Briefes faßte ich die Tendenzen der in ihm
geschilderten Tschechisirung der böhmischen Gerichte in die Worte
zusammen, nicht mehr Richter, ja nicht mehr Gerichtsdiener solle
der Deutsche hier werden können; nur die Rolle des Verbrechers
scheine ihm noch gebühren zu sollen. Die Sache ist ungefähr
richtig, wenn dieser halsstarrige Deutsche nicht tschechisch lernen will, antwortet
man uns; aber so lerne ers doch; unsre Leute mußten früher ja Deutsch lernen
und versuchen das noch, so gut es gehen will. Das ist ein Rat, der sich viel¬
leicht einigermaßen hören ließe für die Zukunft, der aber nicht für die Gegen¬
wart paßt, wo die Sprachenverordnung vollständige Kenntnis der tschechischen
Sprache voraussetzt, während es bekannte Thatsache ist, daß im geschlossenen
deutschen Sprachgebiete Böhmens nicht zwei Prozent der Deutschen jene Sprache
auch nur oberflächlich kennen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erlernung


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[0110] Deutsch-böhmische Briefe. Friedrich der Große starb schon ein Jahr nach Abschluß des Fürsten¬ bundes. Die Bedeutung, welche Preußen durch dieses sein letztes Werk für die gemeindeutschen Angelegenheiten gewonnen hatte, schien durch die ersten Hand¬ lungen des Nachfolgers nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern verstärkt werden zu sollen. Derselbe hatte sich schon als Prinz für den Fürstenbund interessirt, er schlug als König in nicht wenigen Worten und Maßregeln den deutschen Ton an, der zur politischen Lage stimmte, und lesen wir die Rede, in der ihn der Akademiker Engel an seinem ersten Geburtstage nach seiner Thronbesteigung feierte, so meinen wir wohl, in Berlin habe man damals nur noch einen Schritt zu thun gehabt, um in die Rolle, die Preußen in unsern Tagen beschicken war, einzutreten und die deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu einem neuen Reiche um sich zu sammeln. Und doch wäre, wie unsre Schrift zeigt, dieser Schritt noch ein ungenügend vorbereiteter gewesen. Der Unterschied zwischen dem damaligen preußisch-deutschen Aufschwünge und unsrer Art, in vater¬ ländischen Dingen zu denken und zu empfinden, ist ein gewaltiger. Dazu aber kam, daß sich schon drei Jahre nach Begründung des Fürstenbundes von Frank¬ reich aus die ungeheure Springflut der Revolution ergoß, vor der Preußen und die deutsche Nation notdürftig ihre Existenz retteten. Deutsch-böhmische Briefe. 7. u Ende des vorigen Briefes faßte ich die Tendenzen der in ihm geschilderten Tschechisirung der böhmischen Gerichte in die Worte zusammen, nicht mehr Richter, ja nicht mehr Gerichtsdiener solle der Deutsche hier werden können; nur die Rolle des Verbrechers scheine ihm noch gebühren zu sollen. Die Sache ist ungefähr richtig, wenn dieser halsstarrige Deutsche nicht tschechisch lernen will, antwortet man uns; aber so lerne ers doch; unsre Leute mußten früher ja Deutsch lernen und versuchen das noch, so gut es gehen will. Das ist ein Rat, der sich viel¬ leicht einigermaßen hören ließe für die Zukunft, der aber nicht für die Gegen¬ wart paßt, wo die Sprachenverordnung vollständige Kenntnis der tschechischen Sprache voraussetzt, während es bekannte Thatsache ist, daß im geschlossenen deutschen Sprachgebiete Böhmens nicht zwei Prozent der Deutschen jene Sprache auch nur oberflächlich kennen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erlernung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/110>, abgerufen am 17.09.2024.