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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

Bedeutung der deutschen Publizistik in dieser Zeit schildern, während der siebente
Blicke auf die Eindrücke wirft, welche die französische Revolution auf die Geister
in Deutschland machte, was alles mit zahlreichen und wohlgewählten Beispielen
belegt wird. Von besonderm Interesse aber sind die Kapitel drei bis sechs, welche
sich mit den verschiednen Gestalten beschäftigen, in denen sich in den Jahrzehnten
zwischen dem siebenjährigen Kriege und der Revolution der Patriotismus der
Deutschen kundgab, und so wollen wir hiervon ein Bild geben, so gut es sich
in einer Zeichnung, die nur Umrisse liefern kann und viele charakteristische Züge
weglassen muß, herstellen läßt. Es soll nur hinweisen auf das Buch; die Fülle
der Einzelheiten, die Farben wolle man in diesem selbst suchen; es wird sich
lohnen.

Kurz vor der Zeit, wo Deutschland, von der französischen Revolution er¬
schüttert, derart zusammenbrach, daß eine nationale Fortdauer desselben beinahe
als Unmöglichkeit erschien, regte sich in unserm Volle ein neues geistiges Leben
und damit verbunden ein hoffnungsreiches Selbstgefühl. Man hatte sich auf
dem Gebiete der schönen Literatur von den französischen Mustern befreit und
besaß eigne Schöpfungen von höherem Werte. In der großen Bewegung der
Aufklärung sah man sich jedem andern Volke gewachsen. Auch die Bereitwillig¬
keit deutscher Fürsten und Minister zu Reformen der Verwaltung nach Fried¬
richs des Großen Beispiel stand in vorteilhaften Gegensatze gegen das, was
man uuter Ludwig XV. und XVI. in Frankreich bemerkte. Der siebenjährige
Krieg endlich hatte nicht bloß in Preußen die Stimmung des Volkes gehoben
und das Gefühl erzeugt, daß der Deutsche größeres leisten könne als seine
Nachbarn. In dieser Empfindung seiner Kraft und seines Wertes erhoben
manche schon Ansprüche, zumal da es nicht an deutlichen Zeichen mangelte, daß
auch das Ausland die Deutschen höher zu achten begonnen hatte als bisher.
Man fing in weitern Kreisen an, undeutsche Worte aus Sprache und Schrift zu
verbannen, die germanische Mythologie statt der griechisch-römischen poetisch zu
verwenden und sich aus der deutschen Vergangenheit Stoffe zu schriftstellerischen
Arbeiten zu wählen. Auf den Fürstcnstühlcn sah man jetzt Männer, "die sich
nicht zu groß dünkten, um deutsch zu sein." Erst in Wien, dann unter Friedrich
Wilhelm II. auch in Berlin zeigte sich Interesse für deutsche Sprache und Lite¬
ratur. Mit einstimmigem Beifall wurde es begrüßt, als mau hier deutsche lite¬
rarische Größen offiziell anerkannte, sich bemühte, der Akademie ein deutsches
Gepräge zu geben, und eine deutsche Nationalbühue herzustellen versuchte. Sehr
kräftig schlug Schlözer da, wo es sich um Weckung und Wahrung des natio¬
nalen Selbstgefühls handelte, den Ton an, den die Zeit verlangte -- er, der
in seiner Selbstbiographie von sich aus dem Jahre 1764 berichtet: "Deutsch¬
land! Zum ersten- und vielleicht auch zum letztenmale dachte ich mir unter
diesem Namen eine Einheit -- gar ein Vaterland." Oft geschah im Ausdrucke
dieses jungen Selbstgefühls zuviel des Guten, in der That aber, von unserm


Deutscher Patriotismus vor hundert Jahren.

Bedeutung der deutschen Publizistik in dieser Zeit schildern, während der siebente
Blicke auf die Eindrücke wirft, welche die französische Revolution auf die Geister
in Deutschland machte, was alles mit zahlreichen und wohlgewählten Beispielen
belegt wird. Von besonderm Interesse aber sind die Kapitel drei bis sechs, welche
sich mit den verschiednen Gestalten beschäftigen, in denen sich in den Jahrzehnten
zwischen dem siebenjährigen Kriege und der Revolution der Patriotismus der
Deutschen kundgab, und so wollen wir hiervon ein Bild geben, so gut es sich
in einer Zeichnung, die nur Umrisse liefern kann und viele charakteristische Züge
weglassen muß, herstellen läßt. Es soll nur hinweisen auf das Buch; die Fülle
der Einzelheiten, die Farben wolle man in diesem selbst suchen; es wird sich
lohnen.

Kurz vor der Zeit, wo Deutschland, von der französischen Revolution er¬
schüttert, derart zusammenbrach, daß eine nationale Fortdauer desselben beinahe
als Unmöglichkeit erschien, regte sich in unserm Volle ein neues geistiges Leben
und damit verbunden ein hoffnungsreiches Selbstgefühl. Man hatte sich auf
dem Gebiete der schönen Literatur von den französischen Mustern befreit und
besaß eigne Schöpfungen von höherem Werte. In der großen Bewegung der
Aufklärung sah man sich jedem andern Volke gewachsen. Auch die Bereitwillig¬
keit deutscher Fürsten und Minister zu Reformen der Verwaltung nach Fried¬
richs des Großen Beispiel stand in vorteilhaften Gegensatze gegen das, was
man uuter Ludwig XV. und XVI. in Frankreich bemerkte. Der siebenjährige
Krieg endlich hatte nicht bloß in Preußen die Stimmung des Volkes gehoben
und das Gefühl erzeugt, daß der Deutsche größeres leisten könne als seine
Nachbarn. In dieser Empfindung seiner Kraft und seines Wertes erhoben
manche schon Ansprüche, zumal da es nicht an deutlichen Zeichen mangelte, daß
auch das Ausland die Deutschen höher zu achten begonnen hatte als bisher.
Man fing in weitern Kreisen an, undeutsche Worte aus Sprache und Schrift zu
verbannen, die germanische Mythologie statt der griechisch-römischen poetisch zu
verwenden und sich aus der deutschen Vergangenheit Stoffe zu schriftstellerischen
Arbeiten zu wählen. Auf den Fürstcnstühlcn sah man jetzt Männer, „die sich
nicht zu groß dünkten, um deutsch zu sein." Erst in Wien, dann unter Friedrich
Wilhelm II. auch in Berlin zeigte sich Interesse für deutsche Sprache und Lite¬
ratur. Mit einstimmigem Beifall wurde es begrüßt, als mau hier deutsche lite¬
rarische Größen offiziell anerkannte, sich bemühte, der Akademie ein deutsches
Gepräge zu geben, und eine deutsche Nationalbühue herzustellen versuchte. Sehr
kräftig schlug Schlözer da, wo es sich um Weckung und Wahrung des natio¬
nalen Selbstgefühls handelte, den Ton an, den die Zeit verlangte — er, der
in seiner Selbstbiographie von sich aus dem Jahre 1764 berichtet: „Deutsch¬
land! Zum ersten- und vielleicht auch zum letztenmale dachte ich mir unter
diesem Namen eine Einheit — gar ein Vaterland." Oft geschah im Ausdrucke
dieses jungen Selbstgefühls zuviel des Guten, in der That aber, von unserm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/106>, abgerufen am 17.09.2024.