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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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werde, daß für das ganze Kriegsgeschrei der letzten Monate, die dadurch hervor¬
gerufenen Besorgnisse, die Unsicherheit, die Verluste in Europa Deutschland ebenso
allgemein verantwortlich sei, wie von ihm die Gefahr des Krieges allein ausgehe.

In Deutschland wird diese kühne Behauptung nur ein spöttisches Lächeln
oder ein unwilliges Achselzucken hervorrufen. Anders in Frankreich. Das fran¬
zösische Volk in seiner Mehrheit will ohne Zweifel den Krieg so wenig wie das
unsrige; aber, wie der Reichskanzler hervorhob, nicht die träge Masse der
Nation, sondern die rührige Minderheit hat von jeher den Gang der französischen
Politik bestimmt, und denen, die das Volk am Gängelbande zu führen wissen,
paßt es vortrefflich in den Kram, die schon in diesem Sinne gründlich vorbe¬
reitete Bevölkerung in den Glauben zu versetzen, die bösen Deutschen seien noch
nicht zufrieden mit allem, was sie Frankreich seit 1870 auferlegt und geraubt
hätte", sie rüsteten zu neuem Kriege, um, ihre Übermacht mißbrauchend, das
unglückliche Land noch mehr zu schädigen, noch tiefer zu demütigen, wenn nicht
ganz zu vernichten. Deshalb müsse Frankreich -- natürlich nur zur Verteidigung
gegen den drohenden Überfall -- die größten Anstrengungen machen, dürfe die
größten Opfer nicht scheuen. Und nach allen bisherigen Erfahrungen darf man
nicht zweifeln, daß der mit jesuitischer Kunst in Bezug auf das flauis,r<z und
äissiinulÄro, das Verschweigen und Heucheln verfaßte und doch zugleich scheinbar
im Brustton der Überzeugung redende Aufsatz. obgleich er die Wahrheit geradezu
auf den Kopf stellt, nicht nur in Frankreich, sondern auch hie und da im Aus¬
lande, wo man uns unsre Machtstellung nicht gönnt und außerdem gewöhnt ist,
seine "Informationen" und "Inspirationen" von Paris zu beziehen, in Peters¬
burg und Moskau, auch in gewissen Kreisen von Pest und Rom, wenn nicht
überall vollen Glauben finden, so doch sehr beifällig aufgenommen werden
wird. Es ist deshalb vielleicht der Mühe wert, denselben etwas näher zu
zergliedern, um dem deutschen Leser zu zeigen, zu welchen Künsten der Lüge
und Verdrehung man in der angesehensten und im Auslande verbreitetsten Zeit¬
schrift Frankreichs seine Zuflucht nimmt, um Deutschland ins Unrecht zu setzen,
es als Unheilstifter, als stete Gefahr für den Weltfrieden und für die Unab¬
hängigkeit der europäischen Völker hinzustellen.

"Nach 1871 -- so beginnt der Aufsatz -- hegte Frankreich nur noch einen
Ehrgeiz: es wollte so viel Kraft wiedergewinnen, um sich gegen neue Augriffe (!)
zu verteidigen. Wegen der ihm entrissenen Provinzen hegte es wenigstens den
entfernten Trost, daß sie ihm hoffentlich nicht auf immer verloren seien --
welches Volk verzichtet auf seine Hoffnungen? Alle seine militärischen Ma߬
regeln waren nur auf die Verteidigung berechnet. Es führte die allgemeine
Wehrpflicht ein, aber auf eine minder lange Dauer, trotz der langsam zu¬
nehmenden Bevölkerung; es verzichtete damit auf die Gleichheit der Zahl Deutsch¬
land gegenüber. Es ergänzte seinen Waffenvorrat und befestigte die neue
Grenze -- eine unnütze Arbeit, wenn es einen Angriffskrieg beabsichtigt hätte." (!)


Die Arieg5befürchtnngen und die R.cor>e <Zss <Zenx monäss.

werde, daß für das ganze Kriegsgeschrei der letzten Monate, die dadurch hervor¬
gerufenen Besorgnisse, die Unsicherheit, die Verluste in Europa Deutschland ebenso
allgemein verantwortlich sei, wie von ihm die Gefahr des Krieges allein ausgehe.

In Deutschland wird diese kühne Behauptung nur ein spöttisches Lächeln
oder ein unwilliges Achselzucken hervorrufen. Anders in Frankreich. Das fran¬
zösische Volk in seiner Mehrheit will ohne Zweifel den Krieg so wenig wie das
unsrige; aber, wie der Reichskanzler hervorhob, nicht die träge Masse der
Nation, sondern die rührige Minderheit hat von jeher den Gang der französischen
Politik bestimmt, und denen, die das Volk am Gängelbande zu führen wissen,
paßt es vortrefflich in den Kram, die schon in diesem Sinne gründlich vorbe¬
reitete Bevölkerung in den Glauben zu versetzen, die bösen Deutschen seien noch
nicht zufrieden mit allem, was sie Frankreich seit 1870 auferlegt und geraubt
hätte», sie rüsteten zu neuem Kriege, um, ihre Übermacht mißbrauchend, das
unglückliche Land noch mehr zu schädigen, noch tiefer zu demütigen, wenn nicht
ganz zu vernichten. Deshalb müsse Frankreich — natürlich nur zur Verteidigung
gegen den drohenden Überfall — die größten Anstrengungen machen, dürfe die
größten Opfer nicht scheuen. Und nach allen bisherigen Erfahrungen darf man
nicht zweifeln, daß der mit jesuitischer Kunst in Bezug auf das flauis,r<z und
äissiinulÄro, das Verschweigen und Heucheln verfaßte und doch zugleich scheinbar
im Brustton der Überzeugung redende Aufsatz. obgleich er die Wahrheit geradezu
auf den Kopf stellt, nicht nur in Frankreich, sondern auch hie und da im Aus¬
lande, wo man uns unsre Machtstellung nicht gönnt und außerdem gewöhnt ist,
seine „Informationen" und „Inspirationen" von Paris zu beziehen, in Peters¬
burg und Moskau, auch in gewissen Kreisen von Pest und Rom, wenn nicht
überall vollen Glauben finden, so doch sehr beifällig aufgenommen werden
wird. Es ist deshalb vielleicht der Mühe wert, denselben etwas näher zu
zergliedern, um dem deutschen Leser zu zeigen, zu welchen Künsten der Lüge
und Verdrehung man in der angesehensten und im Auslande verbreitetsten Zeit¬
schrift Frankreichs seine Zuflucht nimmt, um Deutschland ins Unrecht zu setzen,
es als Unheilstifter, als stete Gefahr für den Weltfrieden und für die Unab¬
hängigkeit der europäischen Völker hinzustellen.

„Nach 1871 — so beginnt der Aufsatz — hegte Frankreich nur noch einen
Ehrgeiz: es wollte so viel Kraft wiedergewinnen, um sich gegen neue Augriffe (!)
zu verteidigen. Wegen der ihm entrissenen Provinzen hegte es wenigstens den
entfernten Trost, daß sie ihm hoffentlich nicht auf immer verloren seien —
welches Volk verzichtet auf seine Hoffnungen? Alle seine militärischen Ma߬
regeln waren nur auf die Verteidigung berechnet. Es führte die allgemeine
Wehrpflicht ein, aber auf eine minder lange Dauer, trotz der langsam zu¬
nehmenden Bevölkerung; es verzichtete damit auf die Gleichheit der Zahl Deutsch¬
land gegenüber. Es ergänzte seinen Waffenvorrat und befestigte die neue
Grenze — eine unnütze Arbeit, wenn es einen Angriffskrieg beabsichtigt hätte." (!)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/10>, abgerufen am 17.09.2024.