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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte.

Damit begnügen sich nun die Meisten. Wem es aber um noch höhere
Auszeichnung zu thun ist, der muß sich im folgenden Jahre der in Peking
stattfindenden Hauptstaatsprüfung unterziehen und sich um dem Rang eines
Tsin-ezc bewerben. Bei dieser Prüfung sind die ersten Gelehrten des Reiches,
darunter der Premierminister und ein Prinz des kaiserlichen Hauses, als Exami¬
natoren thätig; wer sie besteht, wird dem Kaiser in Person vorgestellt, wird mit
Ehrenbezeigungen überschüttet, und sein Name wird, auf eine vergoldete Tafel
geschrieben, den Eltern mit vielen Geschenken und sonstigen Zeichen der Be-
glttckwünschung feierlich zugestellt.

Die Formen und das Wesen einer solchen Hauptstaatsprüfung näher an¬
zusehen -- und wir folgen darin den Darstellungen von Blackwoods Bericht¬
erstatter ---, ist nicht ohne Interesse. Was die Baulichkeit betrifft, wo die
Prüfung stattfindet -- erzählt er --, so kann man sich kaum etwas Traurigeres
und Nuinenhafteres vorstellen. Bei dieser Anstalt ist, selbst in der günstigsten
Zeit, jeder Gedanke an Komfort ausgeschlossen. Da die Prüfungen nur aller
drei Jahre abgehalten werden, und innerhalb dieser Zeiträume für die Instand¬
haltung schlechterdings nichts geschieht, so befindet sich die ganze Anstalt in
fortschreitendem Verfall; allerorten wimmelt es von Spinnweben, widerlichem
Unkraut und einer großen Menge von Scherben zerbrochener Wasserkrüge.

Die ganze Anstalt besteht aus einem sehr großen, von einer Mauer um¬
gebenen Hofraum, in dessen Mitte ein dreistöckiges Haus steht, in welchem die
zehn Examinatoren wohnen. Der ganze übrige Hofraum ist bebaut mit einer
großen Zahl langer Zellenreihen; nur in der Mitte führt eine gerade hindurch¬
gehende Straße zu dem in der Ummauerung des ganzen Hofes befindlichen
einzigen Thore. Die Zellenreihen bestehen aus langen Mauern mit koulissen-
artigen Ansätzen an der nach innen sehenden Seite. Da jede Zelle nicht mehr
Raum in Ansprach nimmt, als drei Fuß im Geviert, so kann die Zahl der¬
selben natürlich sehr groß sein, und in der That giebt es hier die bedeu¬
tende Zahl von zehntausend Zellen für fast ebensoviele Examinanden bei jeder
Prüfung.

Jede Zcllenreihe hat einen besondern Namen und jede Zelle eine Nummer,
sodaß bestimmte Personen leicht zu finden sind. Was die Einrichtung der
Zellen betrifft, so sind sie, wie schon aus der Erwähnung der koulissenartigcn
Ansätze ersichtlich ist, vorn offen. An jedem Ende der Zellenreihe befindet sich
auf der Mauer ein turmartiger Aufsatz, und in diesem ein Aufseher, der darauf
zu achten hat, daß nicht unerlaubte Hilfsmittel eingeschmuggelt werdeu. In
den Seitenwänden der Zellen befinden sich je zwei Einschnitte für Bretter, von
welchen das eine als Sitz, das andre als Tisch zu dienen hat; außerdem in
jeder Zelle ein irdener Wasserkrug; darauf beschränkt sich die ganze Ausstattung.

Eine solche Zelle erhält der Examinand für die Dauer der Prüfung, die
in drei Abschnitten zu je zwei Tagen stattfindet. Während der beiden Tage,.


Grenzboten IV. 1887. 12
Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte.

Damit begnügen sich nun die Meisten. Wem es aber um noch höhere
Auszeichnung zu thun ist, der muß sich im folgenden Jahre der in Peking
stattfindenden Hauptstaatsprüfung unterziehen und sich um dem Rang eines
Tsin-ezc bewerben. Bei dieser Prüfung sind die ersten Gelehrten des Reiches,
darunter der Premierminister und ein Prinz des kaiserlichen Hauses, als Exami¬
natoren thätig; wer sie besteht, wird dem Kaiser in Person vorgestellt, wird mit
Ehrenbezeigungen überschüttet, und sein Name wird, auf eine vergoldete Tafel
geschrieben, den Eltern mit vielen Geschenken und sonstigen Zeichen der Be-
glttckwünschung feierlich zugestellt.

Die Formen und das Wesen einer solchen Hauptstaatsprüfung näher an¬
zusehen — und wir folgen darin den Darstellungen von Blackwoods Bericht¬
erstatter —-, ist nicht ohne Interesse. Was die Baulichkeit betrifft, wo die
Prüfung stattfindet — erzählt er —, so kann man sich kaum etwas Traurigeres
und Nuinenhafteres vorstellen. Bei dieser Anstalt ist, selbst in der günstigsten
Zeit, jeder Gedanke an Komfort ausgeschlossen. Da die Prüfungen nur aller
drei Jahre abgehalten werden, und innerhalb dieser Zeiträume für die Instand¬
haltung schlechterdings nichts geschieht, so befindet sich die ganze Anstalt in
fortschreitendem Verfall; allerorten wimmelt es von Spinnweben, widerlichem
Unkraut und einer großen Menge von Scherben zerbrochener Wasserkrüge.

Die ganze Anstalt besteht aus einem sehr großen, von einer Mauer um¬
gebenen Hofraum, in dessen Mitte ein dreistöckiges Haus steht, in welchem die
zehn Examinatoren wohnen. Der ganze übrige Hofraum ist bebaut mit einer
großen Zahl langer Zellenreihen; nur in der Mitte führt eine gerade hindurch¬
gehende Straße zu dem in der Ummauerung des ganzen Hofes befindlichen
einzigen Thore. Die Zellenreihen bestehen aus langen Mauern mit koulissen-
artigen Ansätzen an der nach innen sehenden Seite. Da jede Zelle nicht mehr
Raum in Ansprach nimmt, als drei Fuß im Geviert, so kann die Zahl der¬
selben natürlich sehr groß sein, und in der That giebt es hier die bedeu¬
tende Zahl von zehntausend Zellen für fast ebensoviele Examinanden bei jeder
Prüfung.

Jede Zcllenreihe hat einen besondern Namen und jede Zelle eine Nummer,
sodaß bestimmte Personen leicht zu finden sind. Was die Einrichtung der
Zellen betrifft, so sind sie, wie schon aus der Erwähnung der koulissenartigcn
Ansätze ersichtlich ist, vorn offen. An jedem Ende der Zellenreihe befindet sich
auf der Mauer ein turmartiger Aufsatz, und in diesem ein Aufseher, der darauf
zu achten hat, daß nicht unerlaubte Hilfsmittel eingeschmuggelt werdeu. In
den Seitenwänden der Zellen befinden sich je zwei Einschnitte für Bretter, von
welchen das eine als Sitz, das andre als Tisch zu dienen hat; außerdem in
jeder Zelle ein irdener Wasserkrug; darauf beschränkt sich die ganze Ausstattung.

Eine solche Zelle erhält der Examinand für die Dauer der Prüfung, die
in drei Abschnitten zu je zwei Tagen stattfindet. Während der beiden Tage,.


Grenzboten IV. 1887. 12
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[0097] Line Staatsprüfung im Reiche der Mitte. Damit begnügen sich nun die Meisten. Wem es aber um noch höhere Auszeichnung zu thun ist, der muß sich im folgenden Jahre der in Peking stattfindenden Hauptstaatsprüfung unterziehen und sich um dem Rang eines Tsin-ezc bewerben. Bei dieser Prüfung sind die ersten Gelehrten des Reiches, darunter der Premierminister und ein Prinz des kaiserlichen Hauses, als Exami¬ natoren thätig; wer sie besteht, wird dem Kaiser in Person vorgestellt, wird mit Ehrenbezeigungen überschüttet, und sein Name wird, auf eine vergoldete Tafel geschrieben, den Eltern mit vielen Geschenken und sonstigen Zeichen der Be- glttckwünschung feierlich zugestellt. Die Formen und das Wesen einer solchen Hauptstaatsprüfung näher an¬ zusehen — und wir folgen darin den Darstellungen von Blackwoods Bericht¬ erstatter —-, ist nicht ohne Interesse. Was die Baulichkeit betrifft, wo die Prüfung stattfindet — erzählt er —, so kann man sich kaum etwas Traurigeres und Nuinenhafteres vorstellen. Bei dieser Anstalt ist, selbst in der günstigsten Zeit, jeder Gedanke an Komfort ausgeschlossen. Da die Prüfungen nur aller drei Jahre abgehalten werden, und innerhalb dieser Zeiträume für die Instand¬ haltung schlechterdings nichts geschieht, so befindet sich die ganze Anstalt in fortschreitendem Verfall; allerorten wimmelt es von Spinnweben, widerlichem Unkraut und einer großen Menge von Scherben zerbrochener Wasserkrüge. Die ganze Anstalt besteht aus einem sehr großen, von einer Mauer um¬ gebenen Hofraum, in dessen Mitte ein dreistöckiges Haus steht, in welchem die zehn Examinatoren wohnen. Der ganze übrige Hofraum ist bebaut mit einer großen Zahl langer Zellenreihen; nur in der Mitte führt eine gerade hindurch¬ gehende Straße zu dem in der Ummauerung des ganzen Hofes befindlichen einzigen Thore. Die Zellenreihen bestehen aus langen Mauern mit koulissen- artigen Ansätzen an der nach innen sehenden Seite. Da jede Zelle nicht mehr Raum in Ansprach nimmt, als drei Fuß im Geviert, so kann die Zahl der¬ selben natürlich sehr groß sein, und in der That giebt es hier die bedeu¬ tende Zahl von zehntausend Zellen für fast ebensoviele Examinanden bei jeder Prüfung. Jede Zcllenreihe hat einen besondern Namen und jede Zelle eine Nummer, sodaß bestimmte Personen leicht zu finden sind. Was die Einrichtung der Zellen betrifft, so sind sie, wie schon aus der Erwähnung der koulissenartigcn Ansätze ersichtlich ist, vorn offen. An jedem Ende der Zellenreihe befindet sich auf der Mauer ein turmartiger Aufsatz, und in diesem ein Aufseher, der darauf zu achten hat, daß nicht unerlaubte Hilfsmittel eingeschmuggelt werdeu. In den Seitenwänden der Zellen befinden sich je zwei Einschnitte für Bretter, von welchen das eine als Sitz, das andre als Tisch zu dienen hat; außerdem in jeder Zelle ein irdener Wasserkrug; darauf beschränkt sich die ganze Ausstattung. Eine solche Zelle erhält der Examinand für die Dauer der Prüfung, die in drei Abschnitten zu je zwei Tagen stattfindet. Während der beiden Tage,. Grenzboten IV. 1887. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/97>, abgerufen am 22.07.2024.