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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Somitagsphilosophen.

so künstlich gestempelt oder bestochen haben, daß sie verschwiegen, was sie merken
mußten, und dafür die Mähr von dem Raube annahmen.

Und jener letzte Zweck der Fälschung, doch wohl der einzig denkbare (da
einem genialen Spaß die Sache mit ihrem hohen Ernst doch viel zu entfernt
steht), wie wunderlich verfehlt wäre er, wie unnütz und gedankenlos der Versuch
bei allem Geiste, der da spricht, da der dazu geschweißte echte Vers um vieles
mehr dem anzunehmenden Zwecke entspricht. Dieser Vers mit dein "Stirb und
werde!" war dafür gerade genug, wenn es darauf ankam, Goethen so heimlich
zu einem Christen zu machen, um damit das deutsche Christentum selbst auf¬
zubessern, d. h. wenn er selbst auch unecht wäre. Aber christlich gedacht im
engern Sinne ist das Ganze mich gar nicht, der erste Vers am wenigsten; der
kommt aus naturwissenschaftlichem oder naturphilosophischen Denken, oder wie
man Goethes Naturdenken sonst bezeichnen will, da man damit in Verlegenheit
kommt. Und wenn der Gedanke mit einem paulinischen in der Hauptsache zu¬
sammenfällt: "Ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche
von Tag zu Tag erneuert" (2. Kor. 4, 16), so nimmt das Goethes Äußerung
nichts vou ihrer Selbständigkeit, auch wenn er an die Bibelstelle oder ihre theo¬
logische Verwendung dabei gedacht haben sollte, worauf man das lange Sträuben,
zu dem er sich bekennt, wohl deuten kann. Für ihn ist es nun etwas Selbst¬
erfahrenes, Selbsterlebtes und damit erst als gewiß gegeben.

Jenen Möglichkeiten aber, die ans Nebel in nichtige Finsternis führen,
steht eine gegenüber, die wohl als Lichtschein gelten kaun. Die Inschrift auf
dem Gickelhahn ist einmal einem Nanbanfalle ausgesetzt gewesen. Davon zeugte
ein tiefer Messerschmied in das Bret, dicht über den Versen, den man noch auf
der Photographie sehen kann, die nun vou dem dem Feuer verfallenen kostbaren
Denkmal allein übrig ist. Der Thäter -- wird in der Gegend erzählt -- wäre
von einem Forstmanne ertappt und auch gleich mit Feinster gehörig ausgezahlt
worden. Da hat man denn einen solchen Sammler mit tigerartiger Sammel¬
wut in der Gegend, der den goethischen Lebenskreis dort doch wohl ordentlich
abgegrast hat und das Blatt in der Mühle ohne Schläge erworben haben kaun,
Wo ja von dem Raub erzählt wird.

Und auch für das Erscheinen des Verses bei den genannten Theologen
dämmert eine Möglichkeit der Erklärung. Wenn der alte Hofgärtner Sckell
auf Dornburg von Goethe erzählte, den er im Indra 1828 dort Wochen lang
bedient und gepflegt hatte, erwähnte er auch wiederholten Besuch von Studenten,
darunter auch ausdrücklich von mehreren Theologen, die einmal stundenlang bei
dem Dichter gewesen wären. Es war die Blütezeit der Stammbücher, die man
auch auf Reisen mitnahm, besonders auch Studenten. Hätte etwa Goethe, der
damals mit Stammbüchern genug heimgesucht wurde, bei solcher Gelegenheit
einem Theologen die Verse zum Denkmal eingeschrieben? Usteris Buch ist
Schleiermacher gewidmet, er hat also wohl in Berlin studirt und kann die Verse


Tagebuchblätter eines Somitagsphilosophen.

so künstlich gestempelt oder bestochen haben, daß sie verschwiegen, was sie merken
mußten, und dafür die Mähr von dem Raube annahmen.

Und jener letzte Zweck der Fälschung, doch wohl der einzig denkbare (da
einem genialen Spaß die Sache mit ihrem hohen Ernst doch viel zu entfernt
steht), wie wunderlich verfehlt wäre er, wie unnütz und gedankenlos der Versuch
bei allem Geiste, der da spricht, da der dazu geschweißte echte Vers um vieles
mehr dem anzunehmenden Zwecke entspricht. Dieser Vers mit dein „Stirb und
werde!" war dafür gerade genug, wenn es darauf ankam, Goethen so heimlich
zu einem Christen zu machen, um damit das deutsche Christentum selbst auf¬
zubessern, d. h. wenn er selbst auch unecht wäre. Aber christlich gedacht im
engern Sinne ist das Ganze mich gar nicht, der erste Vers am wenigsten; der
kommt aus naturwissenschaftlichem oder naturphilosophischen Denken, oder wie
man Goethes Naturdenken sonst bezeichnen will, da man damit in Verlegenheit
kommt. Und wenn der Gedanke mit einem paulinischen in der Hauptsache zu¬
sammenfällt: „Ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche
von Tag zu Tag erneuert" (2. Kor. 4, 16), so nimmt das Goethes Äußerung
nichts vou ihrer Selbständigkeit, auch wenn er an die Bibelstelle oder ihre theo¬
logische Verwendung dabei gedacht haben sollte, worauf man das lange Sträuben,
zu dem er sich bekennt, wohl deuten kann. Für ihn ist es nun etwas Selbst¬
erfahrenes, Selbsterlebtes und damit erst als gewiß gegeben.

Jenen Möglichkeiten aber, die ans Nebel in nichtige Finsternis führen,
steht eine gegenüber, die wohl als Lichtschein gelten kaun. Die Inschrift auf
dem Gickelhahn ist einmal einem Nanbanfalle ausgesetzt gewesen. Davon zeugte
ein tiefer Messerschmied in das Bret, dicht über den Versen, den man noch auf
der Photographie sehen kann, die nun vou dem dem Feuer verfallenen kostbaren
Denkmal allein übrig ist. Der Thäter — wird in der Gegend erzählt — wäre
von einem Forstmanne ertappt und auch gleich mit Feinster gehörig ausgezahlt
worden. Da hat man denn einen solchen Sammler mit tigerartiger Sammel¬
wut in der Gegend, der den goethischen Lebenskreis dort doch wohl ordentlich
abgegrast hat und das Blatt in der Mühle ohne Schläge erworben haben kaun,
Wo ja von dem Raub erzählt wird.

Und auch für das Erscheinen des Verses bei den genannten Theologen
dämmert eine Möglichkeit der Erklärung. Wenn der alte Hofgärtner Sckell
auf Dornburg von Goethe erzählte, den er im Indra 1828 dort Wochen lang
bedient und gepflegt hatte, erwähnte er auch wiederholten Besuch von Studenten,
darunter auch ausdrücklich von mehreren Theologen, die einmal stundenlang bei
dem Dichter gewesen wären. Es war die Blütezeit der Stammbücher, die man
auch auf Reisen mitnahm, besonders auch Studenten. Hätte etwa Goethe, der
damals mit Stammbüchern genug heimgesucht wurde, bei solcher Gelegenheit
einem Theologen die Verse zum Denkmal eingeschrieben? Usteris Buch ist
Schleiermacher gewidmet, er hat also wohl in Berlin studirt und kann die Verse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/91>, abgerufen am 04.07.2024.