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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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' Überproduktion.

Trotzdem bleiben wir dabei, daß jetzt zu viel kapitalisirt, zu viel Kapital
zu produktiven Zwecken zurückgelegt wird, und daß es besser wäre, wenn ein
erheblicher Teil desselben in unproduktiver Weise verbraucht würde. Die An¬
legung großer Kapitalien im Auslande beweist schon, daß die inländische Pro¬
duktion derselben uicht bedarf. Zwar wird das Einkommen der Nation durch
Verwendung der Kapitalien im Auslande vergrößert, aber dieser Zuwachs fällt
zum größten Teile denen zu, welche ohnehin mehr Einkommen haben, als zur
Befriedigung selbst weitgehender Bedürfnisse erforderlich ist. Diejenigen, welche
von großem Grundbesitz oder von beweglichem Kapital erhebliche Überschüsse
gewinnen, sind in gegenwärtiger Zeit in Verlegenheit, sie unterzubringen, weil
deutsche Industrie und Landwirtschaft nicht in der Lage sind, sie nutzbar zu
verwenden. Werden nun die Überschüsse im Auslande für Grundbesitz oder
Anleihen verwandt, so steigt abermals das Einkommen derer, die schon den
Überschuß hatten, die nationale Wirtschaft hat aber von diesem Vorgange nicht
den geringsten Nutzen. Flossen dagegen die Überschüsse in kleineren Beträgen
denen zu, welche ihre Bedürfnisse in Ermangelung des nötigen Einkommens
nur ungenügend befriedigen können, so würde die Konsumtion vermehrt werden
und dadurch erweiterte Nachfrage entstehen. Die halbe Million, welche der
Bankier von seinen Überschüssen in russischen Papieren anlegt, nützt keinem
Menschen etwas. Die halbe Million aber, um welche das Einkommen von
10 000 Arbeitern sich erhöht, sodaß jedem 50 Mark zufalle", wirkt befruchtend auf
Landwirtschaft und Industrie, Handel und Verkehr. Denn diejenigen, welche mit
den Ihrigen nur dürftig wohnen, sich dürftig kleiden und ernähren, werden, sobald
ihr Einkommen sich vermehrt, in Wohnung, Kleidung und Nahrung ihren Aufwand
ausdehnen, und die vermehrte Nachfrage nach Wohnuugsraum, Milch und Butter,
Bier und Branntwein, Kleiderstoffen und Bettzeug kommt alleu Gewerbtreibenden
zu Gute. Es ist deshalb für das Gemeinwohl in hohem Grade nachteilig, daß
in unserm wirtschaftlichen Leben immer mehr die Neigung hervortritt, daß eine
kleine Zahl von Menschen von der nationalen Produktion einen Löwenanteil
vorwegnimmt, unbekümmert darum, was für alle andern übrig bleiben mag.
Die Anhäufung großer Vermögen ist ein Schade für die Gesamtheit und alle
Einzelnen. Niemand soll sagen: "Was kümmert es mich, wenn dieser oder
jener Millionen besitzt oder erwirbt oder jährlich einnimmt? leide ich doch nicht
darunter"; es muß sich die Überzeugung verbreiten, daß wir alle darunter leiden;
nicht uur die Arbeiter, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen,
sondern anch die Gewerbe- und Handeltreibenden, die Beamten und Offiziere,
die Ärzte und die Künstler, sie alle würden von dem Ergebnis der Produktion
einen bessern Anteil haben, wenn die kolossalen Vermögen nicht da wären. Denn
gerade sie verursachen es, daß zu viel kapitalisirt, zu viel auf neue Produktion
verwandt und zu wenig in unproduktiver Weise verbraucht wird; sie verursachen
mithin vor allen andern die Überproduktion-


' Überproduktion.

Trotzdem bleiben wir dabei, daß jetzt zu viel kapitalisirt, zu viel Kapital
zu produktiven Zwecken zurückgelegt wird, und daß es besser wäre, wenn ein
erheblicher Teil desselben in unproduktiver Weise verbraucht würde. Die An¬
legung großer Kapitalien im Auslande beweist schon, daß die inländische Pro¬
duktion derselben uicht bedarf. Zwar wird das Einkommen der Nation durch
Verwendung der Kapitalien im Auslande vergrößert, aber dieser Zuwachs fällt
zum größten Teile denen zu, welche ohnehin mehr Einkommen haben, als zur
Befriedigung selbst weitgehender Bedürfnisse erforderlich ist. Diejenigen, welche
von großem Grundbesitz oder von beweglichem Kapital erhebliche Überschüsse
gewinnen, sind in gegenwärtiger Zeit in Verlegenheit, sie unterzubringen, weil
deutsche Industrie und Landwirtschaft nicht in der Lage sind, sie nutzbar zu
verwenden. Werden nun die Überschüsse im Auslande für Grundbesitz oder
Anleihen verwandt, so steigt abermals das Einkommen derer, die schon den
Überschuß hatten, die nationale Wirtschaft hat aber von diesem Vorgange nicht
den geringsten Nutzen. Flossen dagegen die Überschüsse in kleineren Beträgen
denen zu, welche ihre Bedürfnisse in Ermangelung des nötigen Einkommens
nur ungenügend befriedigen können, so würde die Konsumtion vermehrt werden
und dadurch erweiterte Nachfrage entstehen. Die halbe Million, welche der
Bankier von seinen Überschüssen in russischen Papieren anlegt, nützt keinem
Menschen etwas. Die halbe Million aber, um welche das Einkommen von
10 000 Arbeitern sich erhöht, sodaß jedem 50 Mark zufalle», wirkt befruchtend auf
Landwirtschaft und Industrie, Handel und Verkehr. Denn diejenigen, welche mit
den Ihrigen nur dürftig wohnen, sich dürftig kleiden und ernähren, werden, sobald
ihr Einkommen sich vermehrt, in Wohnung, Kleidung und Nahrung ihren Aufwand
ausdehnen, und die vermehrte Nachfrage nach Wohnuugsraum, Milch und Butter,
Bier und Branntwein, Kleiderstoffen und Bettzeug kommt alleu Gewerbtreibenden
zu Gute. Es ist deshalb für das Gemeinwohl in hohem Grade nachteilig, daß
in unserm wirtschaftlichen Leben immer mehr die Neigung hervortritt, daß eine
kleine Zahl von Menschen von der nationalen Produktion einen Löwenanteil
vorwegnimmt, unbekümmert darum, was für alle andern übrig bleiben mag.
Die Anhäufung großer Vermögen ist ein Schade für die Gesamtheit und alle
Einzelnen. Niemand soll sagen: „Was kümmert es mich, wenn dieser oder
jener Millionen besitzt oder erwirbt oder jährlich einnimmt? leide ich doch nicht
darunter"; es muß sich die Überzeugung verbreiten, daß wir alle darunter leiden;
nicht uur die Arbeiter, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen,
sondern anch die Gewerbe- und Handeltreibenden, die Beamten und Offiziere,
die Ärzte und die Künstler, sie alle würden von dem Ergebnis der Produktion
einen bessern Anteil haben, wenn die kolossalen Vermögen nicht da wären. Denn
gerade sie verursachen es, daß zu viel kapitalisirt, zu viel auf neue Produktion
verwandt und zu wenig in unproduktiver Weise verbraucht wird; sie verursachen
mithin vor allen andern die Überproduktion-


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[0079] ' Überproduktion. Trotzdem bleiben wir dabei, daß jetzt zu viel kapitalisirt, zu viel Kapital zu produktiven Zwecken zurückgelegt wird, und daß es besser wäre, wenn ein erheblicher Teil desselben in unproduktiver Weise verbraucht würde. Die An¬ legung großer Kapitalien im Auslande beweist schon, daß die inländische Pro¬ duktion derselben uicht bedarf. Zwar wird das Einkommen der Nation durch Verwendung der Kapitalien im Auslande vergrößert, aber dieser Zuwachs fällt zum größten Teile denen zu, welche ohnehin mehr Einkommen haben, als zur Befriedigung selbst weitgehender Bedürfnisse erforderlich ist. Diejenigen, welche von großem Grundbesitz oder von beweglichem Kapital erhebliche Überschüsse gewinnen, sind in gegenwärtiger Zeit in Verlegenheit, sie unterzubringen, weil deutsche Industrie und Landwirtschaft nicht in der Lage sind, sie nutzbar zu verwenden. Werden nun die Überschüsse im Auslande für Grundbesitz oder Anleihen verwandt, so steigt abermals das Einkommen derer, die schon den Überschuß hatten, die nationale Wirtschaft hat aber von diesem Vorgange nicht den geringsten Nutzen. Flossen dagegen die Überschüsse in kleineren Beträgen denen zu, welche ihre Bedürfnisse in Ermangelung des nötigen Einkommens nur ungenügend befriedigen können, so würde die Konsumtion vermehrt werden und dadurch erweiterte Nachfrage entstehen. Die halbe Million, welche der Bankier von seinen Überschüssen in russischen Papieren anlegt, nützt keinem Menschen etwas. Die halbe Million aber, um welche das Einkommen von 10 000 Arbeitern sich erhöht, sodaß jedem 50 Mark zufalle», wirkt befruchtend auf Landwirtschaft und Industrie, Handel und Verkehr. Denn diejenigen, welche mit den Ihrigen nur dürftig wohnen, sich dürftig kleiden und ernähren, werden, sobald ihr Einkommen sich vermehrt, in Wohnung, Kleidung und Nahrung ihren Aufwand ausdehnen, und die vermehrte Nachfrage nach Wohnuugsraum, Milch und Butter, Bier und Branntwein, Kleiderstoffen und Bettzeug kommt alleu Gewerbtreibenden zu Gute. Es ist deshalb für das Gemeinwohl in hohem Grade nachteilig, daß in unserm wirtschaftlichen Leben immer mehr die Neigung hervortritt, daß eine kleine Zahl von Menschen von der nationalen Produktion einen Löwenanteil vorwegnimmt, unbekümmert darum, was für alle andern übrig bleiben mag. Die Anhäufung großer Vermögen ist ein Schade für die Gesamtheit und alle Einzelnen. Niemand soll sagen: „Was kümmert es mich, wenn dieser oder jener Millionen besitzt oder erwirbt oder jährlich einnimmt? leide ich doch nicht darunter"; es muß sich die Überzeugung verbreiten, daß wir alle darunter leiden; nicht uur die Arbeiter, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen, sondern anch die Gewerbe- und Handeltreibenden, die Beamten und Offiziere, die Ärzte und die Künstler, sie alle würden von dem Ergebnis der Produktion einen bessern Anteil haben, wenn die kolossalen Vermögen nicht da wären. Denn gerade sie verursachen es, daß zu viel kapitalisirt, zu viel auf neue Produktion verwandt und zu wenig in unproduktiver Weise verbraucht wird; sie verursachen mithin vor allen andern die Überproduktion-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/79>, abgerufen am 22.07.2024.