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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Überproduktion.

und mehr gleichstellt. Wie viele Beamte, Offiziere und im Privatdienste ange¬
stellte giebt es nicht, welche mit ihrem Anteil an Bedürfnisbefriedigung und
Genuß völlig zufrieden sein können, ohne Vermögen zu besitzen. Die sozial¬
politischen Maßregeln und Pläne im deutschen Reiche gehen ja auch nur darauf
hinaus, den Arbeitern Einkommen zu sichern, zunächst gegen Krankheit und
Unfälle, demnächst gegen Alter und Invalidität. Wird dieses Ziel erreicht sein,
so wird für deu Fall der Arbeitslosigkeit Fürsorge getroffen werde", und
schließlich wird auch wohl Bedacht genommen, abgesehen von allen Wider¬
wärtigkeiten des Lebens eine reichlichere Befriedigung berechtigter Ansprüche
herbeizuführen. Aber schwerlich wird man jemals darauf ausgehen, deu Ar¬
beitern Vermögen zuzuwenden. Was ihnen not thut, ist gesicherter Lebens¬
unterhalt für sich und die Ihrigen, und als Regel kaun man hinstellen, daß
alle auf Kapitalzahlung gerichtete Versicherung nicht das rechte Mittel ist,
dauernde Hilfe zu leisten. Wenn aber auch demnach die Ansammlung von Ver¬
mögen durchaus uicht unter allen Umständen erforderlich ist, so versteht es sich
doch ganz von selbst, daß auch größere und große Vermögen vorhanden sein
müssen, weil ja das Kapital bei aller Produktion unentbehrlich ist. Wenn die
Entwicklung der Industrie in vielen Staaten so sehr zurückgeblieben ist, so kann
Mangel an Kenntnissen, an Interesse der Bevölkerung, es können Vielfache
sonstige Hindernisse die Ursache sein. Wenn aber alle sonstigen Voraussetzungen
bei zwei Nationen in gleichem Maße vorhanden sind, so wird diejenige, welche
der andern an Kapitalbesitz überlegen ist, bei dem Wettbewerb den Sieg davon¬
tragen. Deutschland hat lange Zeit England gegenüber aus Mangel um Kapital
einen schweren Stand gehabt. Jetzt aber fehlt es in Deutschland durchaus nicht
an dem erforderlichen Kapital, und wenn man noch hin und wieder Klagen in
dieser Richtung hört, so kann man sie nicht mehr als berechtigt anerkennen.
Einesteils ist in den letzten Jahrzehnten viel Kapital in Deutschland erworben
und erspart worden, andernteils ist das Kapital, je mehr in der gebildeten Welt
die Rechtspflege sich gehoben und redliche Gcschäftsgewohnheiten sich festgesetzt
haben, immer beweglicher und internationaler geworden, und da die Besitzer des
Kapitals eine feine Witterung dafür haben, wo sich mit Vorteil arbeiten läßt,
auch die Geldinstitute, deren Aufgabe es ist, Kapital zu beschäftigen, über alle
Länder verbreitet sind, so kauu es nicht leicht irgendwo an Kapital fehlen, wenn
nicht eben besondre Hindernisse im Wege stehen. Nichts wäre unbegründeter,
als wenn man die angeblichen oder wirklichen Stockungen im Verkehr, das Dar-
niederlicgen des Erwerbes, auf Mangel an Kapital zurückführen wollte. Dennoch
ist und bleibt eine ausreichende Menge verfügbaren Kapitals eine unerläßliche
Vorbedingung einer blühenden Produktion, und wenn die Nation sich hinreißen
ließe, die angemessene Sparsamkeit aus den Augen zu setzen, in üppiger Weise
nicht nur den Erwerb, sondern anch das Mittel zum Erwerbe, das Kapital, zu
verzehren, so würden sich die verderblichen Folgen bald geltend machen.


Überproduktion.

und mehr gleichstellt. Wie viele Beamte, Offiziere und im Privatdienste ange¬
stellte giebt es nicht, welche mit ihrem Anteil an Bedürfnisbefriedigung und
Genuß völlig zufrieden sein können, ohne Vermögen zu besitzen. Die sozial¬
politischen Maßregeln und Pläne im deutschen Reiche gehen ja auch nur darauf
hinaus, den Arbeitern Einkommen zu sichern, zunächst gegen Krankheit und
Unfälle, demnächst gegen Alter und Invalidität. Wird dieses Ziel erreicht sein,
so wird für deu Fall der Arbeitslosigkeit Fürsorge getroffen werde», und
schließlich wird auch wohl Bedacht genommen, abgesehen von allen Wider¬
wärtigkeiten des Lebens eine reichlichere Befriedigung berechtigter Ansprüche
herbeizuführen. Aber schwerlich wird man jemals darauf ausgehen, deu Ar¬
beitern Vermögen zuzuwenden. Was ihnen not thut, ist gesicherter Lebens¬
unterhalt für sich und die Ihrigen, und als Regel kaun man hinstellen, daß
alle auf Kapitalzahlung gerichtete Versicherung nicht das rechte Mittel ist,
dauernde Hilfe zu leisten. Wenn aber auch demnach die Ansammlung von Ver¬
mögen durchaus uicht unter allen Umständen erforderlich ist, so versteht es sich
doch ganz von selbst, daß auch größere und große Vermögen vorhanden sein
müssen, weil ja das Kapital bei aller Produktion unentbehrlich ist. Wenn die
Entwicklung der Industrie in vielen Staaten so sehr zurückgeblieben ist, so kann
Mangel an Kenntnissen, an Interesse der Bevölkerung, es können Vielfache
sonstige Hindernisse die Ursache sein. Wenn aber alle sonstigen Voraussetzungen
bei zwei Nationen in gleichem Maße vorhanden sind, so wird diejenige, welche
der andern an Kapitalbesitz überlegen ist, bei dem Wettbewerb den Sieg davon¬
tragen. Deutschland hat lange Zeit England gegenüber aus Mangel um Kapital
einen schweren Stand gehabt. Jetzt aber fehlt es in Deutschland durchaus nicht
an dem erforderlichen Kapital, und wenn man noch hin und wieder Klagen in
dieser Richtung hört, so kann man sie nicht mehr als berechtigt anerkennen.
Einesteils ist in den letzten Jahrzehnten viel Kapital in Deutschland erworben
und erspart worden, andernteils ist das Kapital, je mehr in der gebildeten Welt
die Rechtspflege sich gehoben und redliche Gcschäftsgewohnheiten sich festgesetzt
haben, immer beweglicher und internationaler geworden, und da die Besitzer des
Kapitals eine feine Witterung dafür haben, wo sich mit Vorteil arbeiten läßt,
auch die Geldinstitute, deren Aufgabe es ist, Kapital zu beschäftigen, über alle
Länder verbreitet sind, so kauu es nicht leicht irgendwo an Kapital fehlen, wenn
nicht eben besondre Hindernisse im Wege stehen. Nichts wäre unbegründeter,
als wenn man die angeblichen oder wirklichen Stockungen im Verkehr, das Dar-
niederlicgen des Erwerbes, auf Mangel an Kapital zurückführen wollte. Dennoch
ist und bleibt eine ausreichende Menge verfügbaren Kapitals eine unerläßliche
Vorbedingung einer blühenden Produktion, und wenn die Nation sich hinreißen
ließe, die angemessene Sparsamkeit aus den Augen zu setzen, in üppiger Weise
nicht nur den Erwerb, sondern anch das Mittel zum Erwerbe, das Kapital, zu
verzehren, so würden sich die verderblichen Folgen bald geltend machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/78>, abgerufen am 22.07.2024.