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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Überproduktion.

Wie notwendig es ist, daß die Konsumtion mit der Produktion gleichen
Schritt halte, kaun man sich am anschaulichsten vergegenwärtigen, wenn man
sich vorstellt, daß einmal eine ganze Bevölkerung von einem heftigen Drange,
Ersparnisse zu machen, (mithin die unproduktive Konsumtion eiuzuschrüulen) er¬
griffen würde. Es wird wohl nicht nötig sein, uns dagegen zu verwcihreu,
daß wir die Sparsamkeit nicht für eine sehr löbliche Eigenschaft hielten. Wer in
der Lage ist, Ersparnisse zu machen und dadurch für seine noch nicht gesicherte
Zukunft zu sorgen, und es doch versäumt, handelt gewiß thöricht und tadelns¬
wert. Es liegt uns hier nur daran, die Wirkung des Sparens für die Volks¬
wirtschaft zu zeigen. Wenn sich also in einer Stadt oder einem Lande alle
Bewohner einmal bemühten, ihren Verbrauch aufs äußerste einzuschränken, so
würde ja an der Kleidung, namentlich der Frauen, auch an Nahrungsmitteln
viel gespart werden. Seidenstoffe würden nicht mehr verlangt werden, Wild
und feinere Fische nähme niemand den Verkäufern ab; sehr viele würden Zimmer
zu vermieten haben, die sie jetzt selbst bewohnen. Zigarrcnhäudler und Photo¬
graphen wären unbeschäftigt, die Theater stünden leer, ans Wein und Bier
würde zu Gunsten des Wassers verzichtet werden.

Würde ein solches Verhalten auch nur einige Wochen durchgesetzt, so
würde die Hälfte der Bevölkerung verarmt sein, und auch diejenigen, welche
noch in der Lage wären, von vorhandenen Vorräten zu leben, würden ihren
Zweck, Ersparnisse zu machen, nicht erreichen. Denn alle die Tabakshändler
und Photographen, die Weinhändler, Wirte nud Bierbrauer, Musiker, Schau¬
spieler und unzählige andre Mitbürger würden in Ermangelung des Verdienstes
weder Miete noch Zinsen bezahlen können, die Eisenbahnen würden keine Divi¬
dende geben, und bei der allgemeinen Verarmung würde selbst der Staat nicht
mehr in der Lage sein, seine Schulden zu verzinsen. Das allgemeinste Elend
wäre eine unausbleibliche Folge! Wir sind einmal darauf angewiesen, einer
vom andern zu leben. Auch hier heißt es: Leben und leben lassen. Nur wer
in seinem Gewerbe produzirt, kann das zum Gebrauche Erforderliche erwerben,
und wenn niemand das Prvdnzirte haben, eintauschen will, so hört der Er¬
werb auf.

Selbstverständlich ist es unzulässig, die Sache uach der andern Seite auf
die Spitze zu treiben, als wenn es besonders verdienstlich wäre, möglichst viel
unproduktiv zu verzehren und vom Kapitalisiren abzusehen. Noch ist das Be¬
streben, Vermögen zu erwerben, der Bevölkerung tief eingepflanzt. Alle Welt
trachtet darnach, sowohl um mehr Genüsse zu erlangen und den Zwang der
Arbeit zu vermeiden, als auch um sich gegen die Unfälle und Entbehrungen,
die die Zukunft bringen kaun, zu sichern. Und doch könnte man sich wohl ein
Gemeinwesen denken, in welchem das Bestreben, Vermögen zu erwerben, in den
Hintergrund träte. Scheinen wir doch auf dem Wege zu sein, daß die auf dem
Einkommen beruhende Wohlhabenheit sich der auf Reichtum begründeten mehr


Überproduktion.

Wie notwendig es ist, daß die Konsumtion mit der Produktion gleichen
Schritt halte, kaun man sich am anschaulichsten vergegenwärtigen, wenn man
sich vorstellt, daß einmal eine ganze Bevölkerung von einem heftigen Drange,
Ersparnisse zu machen, (mithin die unproduktive Konsumtion eiuzuschrüulen) er¬
griffen würde. Es wird wohl nicht nötig sein, uns dagegen zu verwcihreu,
daß wir die Sparsamkeit nicht für eine sehr löbliche Eigenschaft hielten. Wer in
der Lage ist, Ersparnisse zu machen und dadurch für seine noch nicht gesicherte
Zukunft zu sorgen, und es doch versäumt, handelt gewiß thöricht und tadelns¬
wert. Es liegt uns hier nur daran, die Wirkung des Sparens für die Volks¬
wirtschaft zu zeigen. Wenn sich also in einer Stadt oder einem Lande alle
Bewohner einmal bemühten, ihren Verbrauch aufs äußerste einzuschränken, so
würde ja an der Kleidung, namentlich der Frauen, auch an Nahrungsmitteln
viel gespart werden. Seidenstoffe würden nicht mehr verlangt werden, Wild
und feinere Fische nähme niemand den Verkäufern ab; sehr viele würden Zimmer
zu vermieten haben, die sie jetzt selbst bewohnen. Zigarrcnhäudler und Photo¬
graphen wären unbeschäftigt, die Theater stünden leer, ans Wein und Bier
würde zu Gunsten des Wassers verzichtet werden.

Würde ein solches Verhalten auch nur einige Wochen durchgesetzt, so
würde die Hälfte der Bevölkerung verarmt sein, und auch diejenigen, welche
noch in der Lage wären, von vorhandenen Vorräten zu leben, würden ihren
Zweck, Ersparnisse zu machen, nicht erreichen. Denn alle die Tabakshändler
und Photographen, die Weinhändler, Wirte nud Bierbrauer, Musiker, Schau¬
spieler und unzählige andre Mitbürger würden in Ermangelung des Verdienstes
weder Miete noch Zinsen bezahlen können, die Eisenbahnen würden keine Divi¬
dende geben, und bei der allgemeinen Verarmung würde selbst der Staat nicht
mehr in der Lage sein, seine Schulden zu verzinsen. Das allgemeinste Elend
wäre eine unausbleibliche Folge! Wir sind einmal darauf angewiesen, einer
vom andern zu leben. Auch hier heißt es: Leben und leben lassen. Nur wer
in seinem Gewerbe produzirt, kann das zum Gebrauche Erforderliche erwerben,
und wenn niemand das Prvdnzirte haben, eintauschen will, so hört der Er¬
werb auf.

Selbstverständlich ist es unzulässig, die Sache uach der andern Seite auf
die Spitze zu treiben, als wenn es besonders verdienstlich wäre, möglichst viel
unproduktiv zu verzehren und vom Kapitalisiren abzusehen. Noch ist das Be¬
streben, Vermögen zu erwerben, der Bevölkerung tief eingepflanzt. Alle Welt
trachtet darnach, sowohl um mehr Genüsse zu erlangen und den Zwang der
Arbeit zu vermeiden, als auch um sich gegen die Unfälle und Entbehrungen,
die die Zukunft bringen kaun, zu sichern. Und doch könnte man sich wohl ein
Gemeinwesen denken, in welchem das Bestreben, Vermögen zu erwerben, in den
Hintergrund träte. Scheinen wir doch auf dem Wege zu sein, daß die auf dem
Einkommen beruhende Wohlhabenheit sich der auf Reichtum begründeten mehr


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[0077] Überproduktion. Wie notwendig es ist, daß die Konsumtion mit der Produktion gleichen Schritt halte, kaun man sich am anschaulichsten vergegenwärtigen, wenn man sich vorstellt, daß einmal eine ganze Bevölkerung von einem heftigen Drange, Ersparnisse zu machen, (mithin die unproduktive Konsumtion eiuzuschrüulen) er¬ griffen würde. Es wird wohl nicht nötig sein, uns dagegen zu verwcihreu, daß wir die Sparsamkeit nicht für eine sehr löbliche Eigenschaft hielten. Wer in der Lage ist, Ersparnisse zu machen und dadurch für seine noch nicht gesicherte Zukunft zu sorgen, und es doch versäumt, handelt gewiß thöricht und tadelns¬ wert. Es liegt uns hier nur daran, die Wirkung des Sparens für die Volks¬ wirtschaft zu zeigen. Wenn sich also in einer Stadt oder einem Lande alle Bewohner einmal bemühten, ihren Verbrauch aufs äußerste einzuschränken, so würde ja an der Kleidung, namentlich der Frauen, auch an Nahrungsmitteln viel gespart werden. Seidenstoffe würden nicht mehr verlangt werden, Wild und feinere Fische nähme niemand den Verkäufern ab; sehr viele würden Zimmer zu vermieten haben, die sie jetzt selbst bewohnen. Zigarrcnhäudler und Photo¬ graphen wären unbeschäftigt, die Theater stünden leer, ans Wein und Bier würde zu Gunsten des Wassers verzichtet werden. Würde ein solches Verhalten auch nur einige Wochen durchgesetzt, so würde die Hälfte der Bevölkerung verarmt sein, und auch diejenigen, welche noch in der Lage wären, von vorhandenen Vorräten zu leben, würden ihren Zweck, Ersparnisse zu machen, nicht erreichen. Denn alle die Tabakshändler und Photographen, die Weinhändler, Wirte nud Bierbrauer, Musiker, Schau¬ spieler und unzählige andre Mitbürger würden in Ermangelung des Verdienstes weder Miete noch Zinsen bezahlen können, die Eisenbahnen würden keine Divi¬ dende geben, und bei der allgemeinen Verarmung würde selbst der Staat nicht mehr in der Lage sein, seine Schulden zu verzinsen. Das allgemeinste Elend wäre eine unausbleibliche Folge! Wir sind einmal darauf angewiesen, einer vom andern zu leben. Auch hier heißt es: Leben und leben lassen. Nur wer in seinem Gewerbe produzirt, kann das zum Gebrauche Erforderliche erwerben, und wenn niemand das Prvdnzirte haben, eintauschen will, so hört der Er¬ werb auf. Selbstverständlich ist es unzulässig, die Sache uach der andern Seite auf die Spitze zu treiben, als wenn es besonders verdienstlich wäre, möglichst viel unproduktiv zu verzehren und vom Kapitalisiren abzusehen. Noch ist das Be¬ streben, Vermögen zu erwerben, der Bevölkerung tief eingepflanzt. Alle Welt trachtet darnach, sowohl um mehr Genüsse zu erlangen und den Zwang der Arbeit zu vermeiden, als auch um sich gegen die Unfälle und Entbehrungen, die die Zukunft bringen kaun, zu sichern. Und doch könnte man sich wohl ein Gemeinwesen denken, in welchem das Bestreben, Vermögen zu erwerben, in den Hintergrund träte. Scheinen wir doch auf dem Wege zu sein, daß die auf dem Einkommen beruhende Wohlhabenheit sich der auf Reichtum begründeten mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/77>, abgerufen am 22.07.2024.