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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Lin Jubiläum.

Professor, nicht imstande sei, es als sein Verdienst anzuerkennen, sondern es
für einen Zufall halte." Wieder ein prophetischer Volksvertreter, Herr Duncker,
perorirte damals: "Die heutige Periode wird ungefähr so in der Geschichte
verzeichnet stehen: Ja es war eine Zeit der Zersetzung, die Mission des Minister¬
präsidenten war wohl vorzugsweise, die Unhaltbarst der deutscheu Verhältnisse
in dem glänzendsten und schneidendsten Lichte zu zeigen. Aber ich glaube nicht,
daß die Geschichte ihn unter die wahrhaften Förderer des preußischen Staates
in der fortschreitenden Entwicklung seiner wirklichen historischen Mission ein¬
zeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich mir vorhin
zu schildern erlaubt habe," und welche der Redner in die Worte: "Macht der
Begeisterung, welche die Gemüter leitet und selbst eine widerwillige Volks¬
vertretung sich unterthänig macht," zusammenfaßte.

Wir könnten diese Blumenlese noch mit mancher verwunderlichen Phrcisen-
bliite vervollständigen. Aber das Mitgeteilte wird hinreichen, zu zeigen, daß
man den Politiker, der am 8. Oktober 1862 definitiv zum Leiter der Stnats-
geschäfte Preußens ernannt wurde, von feiten der liberalen Parteien sowohl
nach seiner Begabung als nach seiner Denkweise und seinen Zielen lange Zeit
verkannt hat. Das erleidet indes eine Einschränkung. Hesckiel hatte damals
noch nicht die Briefe Vismarcks ans seiner Frankfurter und Petersburger Pe¬
riode veröffentlicht, und ebensowenig lagen die durch Poschinger Heransgegebenen
Depeschen und Privatschrciben schon vor. Dennoch war in der Konfliktszeit
bereits in parlamentarischen Kreisen mancherlei über die Anschauungen und Ab¬
sichten Vismarcks in Betreff der deutschen Politik bekannt geworden, und nur
Parteimänner konnten sich dagegen verblenden. Die Enthüllungen des Herrn
von Unruh lassen darüber keinen Zweifel. Bis zu deren Erscheinen hatte die
Fortschrittspartei ihre unpatriotische Opposition gegen die Militärreform mit
der Ausrede entschuldigt, sie habe nicht wissen können, daß der Ministerpräsident
das verstärkte Heer so energisch zum Ruhme Preußens und zur Herstellung der
deutschen Einheit zu verwenden vorhabe, sonst hätte sie alle Forderungen der
Negierung mit Freuden bewilligt. Selbst Bismarck hat diese Entschuldigung
einmal großmütig gelten lassen. Es ist ihm aber von der Partei kein Dank
dafür zu Teil geworden. 1876 im April äußerte er in einer Auseinander¬
setzung mit dem Abgeordneten Virchow: "Ich glaube, daß ich Objektivität
genug besitze, um mich in den Ideengang des Abgeordnetenhauses von 1862
bis 1866 vollständig einleben zu können. Ich habe volle Achtung vor der
Entschlossenheit, mit der die damalige" preußischen Volksvertreter das, was
sie für Recht hielten, vertreten haben. Daraus mache ich niemand einen
Vorwurf. Sie konnten nicht wissen, und ich konnte Ihnen anch nicht sagen,
worauf meiner Ansicht nach die Politik schließlich Hinausgehen würde, und Sie
hätten auch das Recht gehabt, falls ich es Ihnen hätte sagen können, mir
immer noch zu antworten: Uns steht das Verfassungsrecht des Landes höher


Grenzboten IV. 1887. L
Lin Jubiläum.

Professor, nicht imstande sei, es als sein Verdienst anzuerkennen, sondern es
für einen Zufall halte." Wieder ein prophetischer Volksvertreter, Herr Duncker,
perorirte damals: „Die heutige Periode wird ungefähr so in der Geschichte
verzeichnet stehen: Ja es war eine Zeit der Zersetzung, die Mission des Minister¬
präsidenten war wohl vorzugsweise, die Unhaltbarst der deutscheu Verhältnisse
in dem glänzendsten und schneidendsten Lichte zu zeigen. Aber ich glaube nicht,
daß die Geschichte ihn unter die wahrhaften Förderer des preußischen Staates
in der fortschreitenden Entwicklung seiner wirklichen historischen Mission ein¬
zeichnen wird. Dazu gehen ihm jene Eigenschaften ab, welche ich mir vorhin
zu schildern erlaubt habe," und welche der Redner in die Worte: „Macht der
Begeisterung, welche die Gemüter leitet und selbst eine widerwillige Volks¬
vertretung sich unterthänig macht," zusammenfaßte.

Wir könnten diese Blumenlese noch mit mancher verwunderlichen Phrcisen-
bliite vervollständigen. Aber das Mitgeteilte wird hinreichen, zu zeigen, daß
man den Politiker, der am 8. Oktober 1862 definitiv zum Leiter der Stnats-
geschäfte Preußens ernannt wurde, von feiten der liberalen Parteien sowohl
nach seiner Begabung als nach seiner Denkweise und seinen Zielen lange Zeit
verkannt hat. Das erleidet indes eine Einschränkung. Hesckiel hatte damals
noch nicht die Briefe Vismarcks ans seiner Frankfurter und Petersburger Pe¬
riode veröffentlicht, und ebensowenig lagen die durch Poschinger Heransgegebenen
Depeschen und Privatschrciben schon vor. Dennoch war in der Konfliktszeit
bereits in parlamentarischen Kreisen mancherlei über die Anschauungen und Ab¬
sichten Vismarcks in Betreff der deutschen Politik bekannt geworden, und nur
Parteimänner konnten sich dagegen verblenden. Die Enthüllungen des Herrn
von Unruh lassen darüber keinen Zweifel. Bis zu deren Erscheinen hatte die
Fortschrittspartei ihre unpatriotische Opposition gegen die Militärreform mit
der Ausrede entschuldigt, sie habe nicht wissen können, daß der Ministerpräsident
das verstärkte Heer so energisch zum Ruhme Preußens und zur Herstellung der
deutschen Einheit zu verwenden vorhabe, sonst hätte sie alle Forderungen der
Negierung mit Freuden bewilligt. Selbst Bismarck hat diese Entschuldigung
einmal großmütig gelten lassen. Es ist ihm aber von der Partei kein Dank
dafür zu Teil geworden. 1876 im April äußerte er in einer Auseinander¬
setzung mit dem Abgeordneten Virchow: „Ich glaube, daß ich Objektivität
genug besitze, um mich in den Ideengang des Abgeordnetenhauses von 1862
bis 1866 vollständig einleben zu können. Ich habe volle Achtung vor der
Entschlossenheit, mit der die damalige» preußischen Volksvertreter das, was
sie für Recht hielten, vertreten haben. Daraus mache ich niemand einen
Vorwurf. Sie konnten nicht wissen, und ich konnte Ihnen anch nicht sagen,
worauf meiner Ansicht nach die Politik schließlich Hinausgehen würde, und Sie
hätten auch das Recht gehabt, falls ich es Ihnen hätte sagen können, mir
immer noch zu antworten: Uns steht das Verfassungsrecht des Landes höher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/73>, abgerufen am 22.07.2024.