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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Lin Jubiläum.

sich um eine vollständige Umgestaltung des Heerwesens für die Dauer handelte.
Unstreitig auch war mau formell nicht berechtigt, die nach dem Gesetze von
1814 ans zwei Jahre begrenzte Dienstpflicht in der Reserve thatsächlich auf
vier Jahre zu erweitern. Aber alles das entschuldigt die ungeheuerliche For¬
derung der Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht, alle neuen Formationen
der Armee einfach aufzulösen und den Militäretat auf diejenige Summe zu
beschränken, welche er vor 1859 beansprucht hatte. Der größte Teil der be¬
treffenden Gelder war bereits ausgegeben, und so war eine Erfüllung jener
Forderung buchstäblich unmöglich. Das Budget kam uicht zu stände, und
was sollte nun geschehen? Nach der Ansicht des Abgeordnetenhauses war die
Regierung infolge dessen zu keinerlei Ausgaben mehr befugt, und entweder sollte
die Staatsmaschine still gestellt werden oder die Krone sich bequemen, Minister
zu ernennen, welche bereit waren, der Majorität ihren Willen zu thun.

In diesen kritischen Tagen übernahm Bismarck die oberste Leitung der
Regierungsgeschäfte und damit zunächst die Aufgabe, den Knoten, welchen die
Unfähigkeit und Charakterschwäche der halbliberalen Minister und der doktrinäre
Starrsinn der radikalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses während der "neuen
Ära" geschürzt hatte, zu lösen. Der König kannte seine Begabung, seine Energie
und seine Ausfassung der Lage. Der damalige preußische Gesandte bei Napoleon
war schon als Vertreter Preußens am Bundestage häufig bei wichtigen Fragen
zu Rate gezogen worden (in dem einen Jahre hatte man ihn zu diesem
Zwecke nicht weniger als dreizehnmal von Frankreich nach Berlin gerufen),
und was unter Manteuffel ans dem Gebiete auswärtiger Politik zu loben
gewesen war, hatte man größtenteils diesem Rate zu danken gehabt. 1852
hatte ihn Friedrich Wilhelm IV. mit einem wichtigen Auftrage nach Wien
geschickt. In zahlreichen Berichten und Denkschriften hatte er während seiner
Frankfurter Zeit seine Meinung über die Politik ausgesprochen Mehrmals
war es schon damals sehr nahe daran gewesen, daß er Minister wurde.
Dem neuen Könige war das ohne Zweifel bekannt, und wenn er thu 1858
von Schleinitz "an der Newa kaltstellen ließ," so mußte er, je mehr es mit
der "neuen Ära" bergab ging, je weniger sie im Inneren und Äußeren Er¬
folge zu verzeichnen hatte, erkennen, daß hier eine Kraft vorhanden war, die
nach beiden Richtungen hin auf den rechten Weg zu verhelfen befähigt erschien.
Nach einer Unterredung, die Bismarck im Sommer 1861 zu Baden-Baden
mit König Wilhelm gehabt hatte, wurde er von diesem beauftragt, den Inhalt
seiner Auseinandersetzungen über die preußische Politik zu Papier zu bringen,
und bald nachher überreichte er eine Denkschrift über den Gegenstand. Noch
scheinen eine Zeit lang Bedenken gegen seine Ernennung obgewaltet zu haben,
und noch hatte er selbst keine rechte Neigung, die Leitung der Geschäfte zu über¬
nehmen. "Vor dem Ministerium -- schreibt er im Januar 1862 aus Peters¬
burg an seine Schwester -- habe ich Furcht wie vor einem kalten Bade," und


Lin Jubiläum.

sich um eine vollständige Umgestaltung des Heerwesens für die Dauer handelte.
Unstreitig auch war mau formell nicht berechtigt, die nach dem Gesetze von
1814 ans zwei Jahre begrenzte Dienstpflicht in der Reserve thatsächlich auf
vier Jahre zu erweitern. Aber alles das entschuldigt die ungeheuerliche For¬
derung der Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht, alle neuen Formationen
der Armee einfach aufzulösen und den Militäretat auf diejenige Summe zu
beschränken, welche er vor 1859 beansprucht hatte. Der größte Teil der be¬
treffenden Gelder war bereits ausgegeben, und so war eine Erfüllung jener
Forderung buchstäblich unmöglich. Das Budget kam uicht zu stände, und
was sollte nun geschehen? Nach der Ansicht des Abgeordnetenhauses war die
Regierung infolge dessen zu keinerlei Ausgaben mehr befugt, und entweder sollte
die Staatsmaschine still gestellt werden oder die Krone sich bequemen, Minister
zu ernennen, welche bereit waren, der Majorität ihren Willen zu thun.

In diesen kritischen Tagen übernahm Bismarck die oberste Leitung der
Regierungsgeschäfte und damit zunächst die Aufgabe, den Knoten, welchen die
Unfähigkeit und Charakterschwäche der halbliberalen Minister und der doktrinäre
Starrsinn der radikalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses während der „neuen
Ära" geschürzt hatte, zu lösen. Der König kannte seine Begabung, seine Energie
und seine Ausfassung der Lage. Der damalige preußische Gesandte bei Napoleon
war schon als Vertreter Preußens am Bundestage häufig bei wichtigen Fragen
zu Rate gezogen worden (in dem einen Jahre hatte man ihn zu diesem
Zwecke nicht weniger als dreizehnmal von Frankreich nach Berlin gerufen),
und was unter Manteuffel ans dem Gebiete auswärtiger Politik zu loben
gewesen war, hatte man größtenteils diesem Rate zu danken gehabt. 1852
hatte ihn Friedrich Wilhelm IV. mit einem wichtigen Auftrage nach Wien
geschickt. In zahlreichen Berichten und Denkschriften hatte er während seiner
Frankfurter Zeit seine Meinung über die Politik ausgesprochen Mehrmals
war es schon damals sehr nahe daran gewesen, daß er Minister wurde.
Dem neuen Könige war das ohne Zweifel bekannt, und wenn er thu 1858
von Schleinitz „an der Newa kaltstellen ließ," so mußte er, je mehr es mit
der „neuen Ära" bergab ging, je weniger sie im Inneren und Äußeren Er¬
folge zu verzeichnen hatte, erkennen, daß hier eine Kraft vorhanden war, die
nach beiden Richtungen hin auf den rechten Weg zu verhelfen befähigt erschien.
Nach einer Unterredung, die Bismarck im Sommer 1861 zu Baden-Baden
mit König Wilhelm gehabt hatte, wurde er von diesem beauftragt, den Inhalt
seiner Auseinandersetzungen über die preußische Politik zu Papier zu bringen,
und bald nachher überreichte er eine Denkschrift über den Gegenstand. Noch
scheinen eine Zeit lang Bedenken gegen seine Ernennung obgewaltet zu haben,
und noch hatte er selbst keine rechte Neigung, die Leitung der Geschäfte zu über¬
nehmen. „Vor dem Ministerium — schreibt er im Januar 1862 aus Peters¬
burg an seine Schwester — habe ich Furcht wie vor einem kalten Bade," und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/69>, abgerufen am 22.07.2024.