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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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und könnten folglich nicht rückgängig gemacht werden. Als der Landtag im Jahre
1861 den Militäretat beriet, war die Heeresreform im wesentlichen vollendet. Das
Abgeordnetenhaus glaubte jedoch diese Thatsache nicht berücksichtigen zu dürfen.
Die Mehrheit desselben erkannte zwar an, daß die Negierung in der Angelegen¬
heit bisher innerhalb der Gesetze verfahren sei, hielt aber dafür, daß einer
dauernden Durchführung der Reform einer Abänderung des Gesetzes vom 3. Sep¬
tember 1814 über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vorangehen müsse. Das
Haus bewilligte daher die Mittel zur weitern Aufrechthaltung der Reorgani¬
sation auch diesmal nur im Extraordincirium. Ein Definitionen wurde von
der Vorlage eines neuen Militärgesetzes und dessen Gutheißung von seiten der
Kammer abhängig gemacht, deren Mehrheit aus Demokraten bestand, denen
die Landwehr als Volksheer oder Parlamentshcer vorschwebte, und die eine starke
stehende Armee als nicht ihrem Interesse entsprechend ansahen. Der Kriegs¬
minister hatte im Jahre vorher ein Militärgesetz vorgelegt, es war aber ge¬
scheitert, und wenn er jetzt ein neues einzubringen versprach, so hatte es der
Majorität der Kammer gegenüber von vornherein sehr wenig Aussicht auf An¬
nahme. In der Session von 1862 spielte die demokratische Mehrheit ihre
höchsten Trümpfe gegen die Heeresreform aus. Am 6. März wurde von der
Kammer der Hagensche Antrag auf Spezialisirung des Staatshaushaltsetats
angenommen, der von der Negierung als Eingriff in die Exekutive bezeichnet
wurde. Das Ministerium Auerswald löste darauf zunächst das Abgeordneten¬
haus auf und trat dann selbst zurück. Die Neuwahlen änderten den Charakter
der Volksvertretung nicht, und die Negierung, an deren Spitze jetzt interimistisch
v. d. Heste gestellt war, sah, als am 19. Mai der Landtag wieder einberufen
worden war, im Abgeordnetenhause dieselbe oppositionelle Mehrheit erscheinen.
Obgleich der Kriegsminister bestimmt zusagte, bis zum Jahre 1863 den Ent¬
wurf des neuen Militärgesctzes vorzulegen, obwohl er sich damit einverstanden
erklärte, daß die Kosten der Reorganisation statt im Ordinarium abermals nur
im Extraordinarium bewilligt würden, und obschon er anerkannte, daß die seit
Beginn des Jahres 1862 von der Negierung geleisteten Ausgaben der nach¬
träglichen Genehmigung des Landtages bedürften, sagte die fortschrittliche Mehr¬
heit der Kammer dem Ministerium doch sofort offene Fehde bis aufs äußerste
an, indem sie alle Ausgaben der Reorganisation auch für 1862 ablehnte, wo¬
gegen das Herrenhaus den von der Regierung vorgelegten Staatshaushalts-
etat ohne Veränderung annahm. Damit war der Konflikt auf die Spitze ge¬
trieben, und die Partei, welche die Parlamentsherrschaft erstrebte, glaubte jetzt
dicht vor ihrem Ziele angelangt zu sein. Unzweifelhaft hatte auch die Regierung
zu dieser Verwicklung beigetragen, indem sie bei der Forderung der Mittel für
die "Kriegsbereitschaft," d. h. die Verwandlung der 1859 mobil gemachten Land¬
wehrregimenter in Friedensregimenter der Linie, auf ein Provisorium eingegangen
war, statt mit vollkommener Deutlichkeit und Bestimmtheit auszusprechen, daß es


Gin Jubiläum.

und könnten folglich nicht rückgängig gemacht werden. Als der Landtag im Jahre
1861 den Militäretat beriet, war die Heeresreform im wesentlichen vollendet. Das
Abgeordnetenhaus glaubte jedoch diese Thatsache nicht berücksichtigen zu dürfen.
Die Mehrheit desselben erkannte zwar an, daß die Negierung in der Angelegen¬
heit bisher innerhalb der Gesetze verfahren sei, hielt aber dafür, daß einer
dauernden Durchführung der Reform einer Abänderung des Gesetzes vom 3. Sep¬
tember 1814 über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vorangehen müsse. Das
Haus bewilligte daher die Mittel zur weitern Aufrechthaltung der Reorgani¬
sation auch diesmal nur im Extraordincirium. Ein Definitionen wurde von
der Vorlage eines neuen Militärgesetzes und dessen Gutheißung von seiten der
Kammer abhängig gemacht, deren Mehrheit aus Demokraten bestand, denen
die Landwehr als Volksheer oder Parlamentshcer vorschwebte, und die eine starke
stehende Armee als nicht ihrem Interesse entsprechend ansahen. Der Kriegs¬
minister hatte im Jahre vorher ein Militärgesetz vorgelegt, es war aber ge¬
scheitert, und wenn er jetzt ein neues einzubringen versprach, so hatte es der
Majorität der Kammer gegenüber von vornherein sehr wenig Aussicht auf An¬
nahme. In der Session von 1862 spielte die demokratische Mehrheit ihre
höchsten Trümpfe gegen die Heeresreform aus. Am 6. März wurde von der
Kammer der Hagensche Antrag auf Spezialisirung des Staatshaushaltsetats
angenommen, der von der Negierung als Eingriff in die Exekutive bezeichnet
wurde. Das Ministerium Auerswald löste darauf zunächst das Abgeordneten¬
haus auf und trat dann selbst zurück. Die Neuwahlen änderten den Charakter
der Volksvertretung nicht, und die Negierung, an deren Spitze jetzt interimistisch
v. d. Heste gestellt war, sah, als am 19. Mai der Landtag wieder einberufen
worden war, im Abgeordnetenhause dieselbe oppositionelle Mehrheit erscheinen.
Obgleich der Kriegsminister bestimmt zusagte, bis zum Jahre 1863 den Ent¬
wurf des neuen Militärgesctzes vorzulegen, obwohl er sich damit einverstanden
erklärte, daß die Kosten der Reorganisation statt im Ordinarium abermals nur
im Extraordinarium bewilligt würden, und obschon er anerkannte, daß die seit
Beginn des Jahres 1862 von der Negierung geleisteten Ausgaben der nach¬
träglichen Genehmigung des Landtages bedürften, sagte die fortschrittliche Mehr¬
heit der Kammer dem Ministerium doch sofort offene Fehde bis aufs äußerste
an, indem sie alle Ausgaben der Reorganisation auch für 1862 ablehnte, wo¬
gegen das Herrenhaus den von der Regierung vorgelegten Staatshaushalts-
etat ohne Veränderung annahm. Damit war der Konflikt auf die Spitze ge¬
trieben, und die Partei, welche die Parlamentsherrschaft erstrebte, glaubte jetzt
dicht vor ihrem Ziele angelangt zu sein. Unzweifelhaft hatte auch die Regierung
zu dieser Verwicklung beigetragen, indem sie bei der Forderung der Mittel für
die „Kriegsbereitschaft," d. h. die Verwandlung der 1859 mobil gemachten Land¬
wehrregimenter in Friedensregimenter der Linie, auf ein Provisorium eingegangen
war, statt mit vollkommener Deutlichkeit und Bestimmtheit auszusprechen, daß es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/68>, abgerufen am 22.07.2024.