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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

es ihm, als wenn er darin verschwinden müsse. Ein Schauer durchzitterte ihn
vom Scheitel bis zur Sohle, er hatte ein Gefühl, als wenn sich eine erstickende
Macht auf seinen Kopf und sein Herz lege und ihn zwinge, die Augen zu
schließen.

Wo war er, und wohin ging er? War das der Tod, der die Arme nach
ihm ausstreckte und ihm die Hand auf die Augen legte, um ihn zu fangen?
Gleich einer stillen, feierlichen Verwunderung ging dieser Gedanke durch seinen
Sinn, aber es mischte sich keine Angst hinein. Das große Geheimnis tauchte
in seiner Erinnerung auf, seine Augen öffneten sich von selber, und er starrte
vor sich hin. Die Wasser wichen zur Seite, durch die Finsternis dämmerte
ein schwacher Lichtschein, und nun erblickte Tippe die großen, schwarzen Augen,
die er so gut kannte, und die breiten Backenknochen und die schimmernd weißen
Zähne, und das alles kam langsam auf ihn zu, immer näher und näher.

Dn bist der Tod! sagte Tippe. Ich weiß es wohl, aber ich mache meine
Augen nicht zu!

Seine Lippen bewegten sich nicht dabei, die Worte kamen selber aus seinem
Innern, sie umtönten ihn, ohne daß er es selbst wußte, woher sie kamen, so
glockenrein, so silberhell, und ihm wurde ganz leicht ums Herz dabei. Und das
Antlitz des Todes nickte ihm zu, und wie er so dastand und es unverwandt
anstarrte, nahmen die hohlen Wangen Farbe und Fülle an, das spöttische Lächeln
mit all seinem heimlichen Grausen schmolz, und die großen, schrecklichen Augen
erhielten Glanz und Milde, und in goldigen Wogen umflutete ihn das immer
Heller werdende Licht.

Da stand ein Saal, hoch und weit, mit krhstcillnen Wänden. Perlen
tröpfelten mit klingendem Fall von der Decke herab auf den Boden, Melodien
strömten in schmelzenden Tönen aus allen Ecken und Winkeln, und mitten im
Saale stand der Gevatter Tod als herrlicher Engel und wandte Tippe sein
himmlisches Antlitz zu, sodaß diesem heiße Thränen aus den Angen stürzten und
tausendfarbige Strahlen davor flammten.

Ich bin der Tod! sagte der Engel so mild und liebreich. Ich habe dich
geliebt, Tippe, seit du ein winzig kleiner Knabe warst, und ich habe den Weg
für deinen Fuß geebnet und dir die Herzen der Menschen zugewandt. Ich
flüsterte dir das Geheimnis in deinen Kindessinn. Das war mein Paten¬
geschenk für dich! Das lehrte dich, die Augen offen zu halten, sodaß sich der
Zauber löste und dein Herz nicht bebte, als ich meine Hand auf dich legte.
Schau auf, mein kleiner Tippe, ich liebe dich auch noch jetzt, und ich schenke
dir die ewige Freude!

Der Gevatter Tod winkte mit seiner Hand, und die Wände des Saales
teilten sich, und bis weit hinaus in die Ferne breitete sich ein Land aus voller
Licht und Herrlichkeit, sodaß Tippes Augen den Glanz kaum ertragen konnten.
Aber er kannte das Land -- es war ja dasselbe Land, welches im Nebel da-


Grenzboten IV. 1887. 82
Gevatter Tod.

es ihm, als wenn er darin verschwinden müsse. Ein Schauer durchzitterte ihn
vom Scheitel bis zur Sohle, er hatte ein Gefühl, als wenn sich eine erstickende
Macht auf seinen Kopf und sein Herz lege und ihn zwinge, die Augen zu
schließen.

Wo war er, und wohin ging er? War das der Tod, der die Arme nach
ihm ausstreckte und ihm die Hand auf die Augen legte, um ihn zu fangen?
Gleich einer stillen, feierlichen Verwunderung ging dieser Gedanke durch seinen
Sinn, aber es mischte sich keine Angst hinein. Das große Geheimnis tauchte
in seiner Erinnerung auf, seine Augen öffneten sich von selber, und er starrte
vor sich hin. Die Wasser wichen zur Seite, durch die Finsternis dämmerte
ein schwacher Lichtschein, und nun erblickte Tippe die großen, schwarzen Augen,
die er so gut kannte, und die breiten Backenknochen und die schimmernd weißen
Zähne, und das alles kam langsam auf ihn zu, immer näher und näher.

Dn bist der Tod! sagte Tippe. Ich weiß es wohl, aber ich mache meine
Augen nicht zu!

Seine Lippen bewegten sich nicht dabei, die Worte kamen selber aus seinem
Innern, sie umtönten ihn, ohne daß er es selbst wußte, woher sie kamen, so
glockenrein, so silberhell, und ihm wurde ganz leicht ums Herz dabei. Und das
Antlitz des Todes nickte ihm zu, und wie er so dastand und es unverwandt
anstarrte, nahmen die hohlen Wangen Farbe und Fülle an, das spöttische Lächeln
mit all seinem heimlichen Grausen schmolz, und die großen, schrecklichen Augen
erhielten Glanz und Milde, und in goldigen Wogen umflutete ihn das immer
Heller werdende Licht.

Da stand ein Saal, hoch und weit, mit krhstcillnen Wänden. Perlen
tröpfelten mit klingendem Fall von der Decke herab auf den Boden, Melodien
strömten in schmelzenden Tönen aus allen Ecken und Winkeln, und mitten im
Saale stand der Gevatter Tod als herrlicher Engel und wandte Tippe sein
himmlisches Antlitz zu, sodaß diesem heiße Thränen aus den Angen stürzten und
tausendfarbige Strahlen davor flammten.

Ich bin der Tod! sagte der Engel so mild und liebreich. Ich habe dich
geliebt, Tippe, seit du ein winzig kleiner Knabe warst, und ich habe den Weg
für deinen Fuß geebnet und dir die Herzen der Menschen zugewandt. Ich
flüsterte dir das Geheimnis in deinen Kindessinn. Das war mein Paten¬
geschenk für dich! Das lehrte dich, die Augen offen zu halten, sodaß sich der
Zauber löste und dein Herz nicht bebte, als ich meine Hand auf dich legte.
Schau auf, mein kleiner Tippe, ich liebe dich auch noch jetzt, und ich schenke
dir die ewige Freude!

Der Gevatter Tod winkte mit seiner Hand, und die Wände des Saales
teilten sich, und bis weit hinaus in die Ferne breitete sich ein Land aus voller
Licht und Herrlichkeit, sodaß Tippes Augen den Glanz kaum ertragen konnten.
Aber er kannte das Land — es war ja dasselbe Land, welches im Nebel da-


Grenzboten IV. 1887. 82
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[0657] Gevatter Tod. es ihm, als wenn er darin verschwinden müsse. Ein Schauer durchzitterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, er hatte ein Gefühl, als wenn sich eine erstickende Macht auf seinen Kopf und sein Herz lege und ihn zwinge, die Augen zu schließen. Wo war er, und wohin ging er? War das der Tod, der die Arme nach ihm ausstreckte und ihm die Hand auf die Augen legte, um ihn zu fangen? Gleich einer stillen, feierlichen Verwunderung ging dieser Gedanke durch seinen Sinn, aber es mischte sich keine Angst hinein. Das große Geheimnis tauchte in seiner Erinnerung auf, seine Augen öffneten sich von selber, und er starrte vor sich hin. Die Wasser wichen zur Seite, durch die Finsternis dämmerte ein schwacher Lichtschein, und nun erblickte Tippe die großen, schwarzen Augen, die er so gut kannte, und die breiten Backenknochen und die schimmernd weißen Zähne, und das alles kam langsam auf ihn zu, immer näher und näher. Dn bist der Tod! sagte Tippe. Ich weiß es wohl, aber ich mache meine Augen nicht zu! Seine Lippen bewegten sich nicht dabei, die Worte kamen selber aus seinem Innern, sie umtönten ihn, ohne daß er es selbst wußte, woher sie kamen, so glockenrein, so silberhell, und ihm wurde ganz leicht ums Herz dabei. Und das Antlitz des Todes nickte ihm zu, und wie er so dastand und es unverwandt anstarrte, nahmen die hohlen Wangen Farbe und Fülle an, das spöttische Lächeln mit all seinem heimlichen Grausen schmolz, und die großen, schrecklichen Augen erhielten Glanz und Milde, und in goldigen Wogen umflutete ihn das immer Heller werdende Licht. Da stand ein Saal, hoch und weit, mit krhstcillnen Wänden. Perlen tröpfelten mit klingendem Fall von der Decke herab auf den Boden, Melodien strömten in schmelzenden Tönen aus allen Ecken und Winkeln, und mitten im Saale stand der Gevatter Tod als herrlicher Engel und wandte Tippe sein himmlisches Antlitz zu, sodaß diesem heiße Thränen aus den Angen stürzten und tausendfarbige Strahlen davor flammten. Ich bin der Tod! sagte der Engel so mild und liebreich. Ich habe dich geliebt, Tippe, seit du ein winzig kleiner Knabe warst, und ich habe den Weg für deinen Fuß geebnet und dir die Herzen der Menschen zugewandt. Ich flüsterte dir das Geheimnis in deinen Kindessinn. Das war mein Paten¬ geschenk für dich! Das lehrte dich, die Augen offen zu halten, sodaß sich der Zauber löste und dein Herz nicht bebte, als ich meine Hand auf dich legte. Schau auf, mein kleiner Tippe, ich liebe dich auch noch jetzt, und ich schenke dir die ewige Freude! Der Gevatter Tod winkte mit seiner Hand, und die Wände des Saales teilten sich, und bis weit hinaus in die Ferne breitete sich ein Land aus voller Licht und Herrlichkeit, sodaß Tippes Augen den Glanz kaum ertragen konnten. Aber er kannte das Land — es war ja dasselbe Land, welches im Nebel da- Grenzboten IV. 1887. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/657>, abgerufen am 22.07.2024.