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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Aorfu.

sogar auch im vollen Wachen und freiwillig sich die süßesten Träume vorgaukeln,
wie man ruhend sich so herrliche Bilder vor die Seele zaubern kann, daß sie
trotz ihrer luftigen UnWirklichkeit doch dem, welcher sie erzeugt, ein köstlicheres
Glück gewähren als alle leibhaften Genüsse, die er mit seinen Handen greift!
Nur ein andres Glück noch ist jenem gleich oder ähnlich, ob es schon ebenfalls
nur halb etwas Wirkliches zu nennen ist, nämlich das sinnende Entzücken an
deu schönen Dingen der Welt um uns her, die uns zwar nach nnserm Vorteil
nichts angehen, aber doch unser Auge erfreuen, sei es nun der leuchtende Himmel
oder das Meer oder ein Berg oder ein Baum oder ein Gemälde, das dieses
alles nachahmt, oder auch ein lebendiges schönes Menschenbild."

Mau sieht, jene süße Trägheit, die Hoffmann hier (und so häufig auch
in den andern Novellen) mit anmutvoller Heiterkeit schildert, fällt ihm zusammen
mit dem Genuß der Schönheit überhaupt. Und was liegt näher, als anzu¬
nehmen, daß der Dichter bei diesem Motive von persönliche" Erlebnissen aus¬
gegangen sei? Ist er nicht schon seinem dichterischen Naturell gemäß dieser
nach außen hin träge scheinenden Kontemplation selbst am meisten zugeneigt?
Und hat er nicht selbst oft genug den Schein wider sich gehabt, mit den gemein
faulen Leuten vorwurfsvoll verwechselt zu werden? Hat ihn nicht dieser Hang
zur sich selbst genießenden Träumerei in Streit mit den Forderungen der pro¬
saischen Lebensnot gebracht? Und haben ihn nicht die Erfahrungen, welche er
so sammeln mußte, veranlaßt, so eindringlich als möglich über diese Dinge nach¬
zudenken? Dieses Nachdenken führte ihn zur klärenden Erkenntnis, zur ge¬
rechten Beurteilung sowohl seiner selbst, als auch des allgemeinen Treibens der
Menschen, und so ist ihm ans seinem ureigner Wesen der Stoff zu seinen Ge¬
schichten erwachsen. Darin liegt seine wahre Originalität, und begreift mau
diese, so findet man auch den wesentlichen Unterschied zwischen dem Seldwyla
Gottfried Kellers und dem Phciakenlande Hans Hoffmanns bald heraus. Die
Phüccken sind durchaus nicht satirische Bilder. Hoffmanns Schilderungen von
Land und Leuten sind von überraschender Treue. Sein dichterisches Gemüt
hat sich von der korfiotischen Wirklichkeit so ganz befriedigt gefühlt, es lag eine
solche Wahlverwandtschaft zwischen dem Dichter, dessen Wiege an der Ostsee
stand, und dem lustigen griechisch-italienisch-slawischen Völklein ans Korfu, daß
seine Phantasie mit Naturnotwendigkeit sich auf dem schönen Eilande einnisten
mußte. Darum auch der tiefpoetische Charakter dieser Novellen, die gleich fest
auf dein wirklichen Boden verharren, wie sie, von gesunder Sittlichkeit getragen,
ins Reich der Ideen hineinragen.

Die Schönheit nun, welche für Hoffmann von ihrer subjektiv-psychologischen
und sittlichen Seite ein so fruchtbares Motiv wurde, verfolgt er auch in ihrer
objektiven Erscheinung und deren Wirkungen. Die tragische Geschichte des "blinden
Mönches" von Paläostakrizza ist offenbar auf diesem Gedankengange erstanden.
Es ist die Tragödie des übertriebenen und krankhaften Schönheitskultus, so


Geschichten aus Aorfu.

sogar auch im vollen Wachen und freiwillig sich die süßesten Träume vorgaukeln,
wie man ruhend sich so herrliche Bilder vor die Seele zaubern kann, daß sie
trotz ihrer luftigen UnWirklichkeit doch dem, welcher sie erzeugt, ein köstlicheres
Glück gewähren als alle leibhaften Genüsse, die er mit seinen Handen greift!
Nur ein andres Glück noch ist jenem gleich oder ähnlich, ob es schon ebenfalls
nur halb etwas Wirkliches zu nennen ist, nämlich das sinnende Entzücken an
deu schönen Dingen der Welt um uns her, die uns zwar nach nnserm Vorteil
nichts angehen, aber doch unser Auge erfreuen, sei es nun der leuchtende Himmel
oder das Meer oder ein Berg oder ein Baum oder ein Gemälde, das dieses
alles nachahmt, oder auch ein lebendiges schönes Menschenbild."

Mau sieht, jene süße Trägheit, die Hoffmann hier (und so häufig auch
in den andern Novellen) mit anmutvoller Heiterkeit schildert, fällt ihm zusammen
mit dem Genuß der Schönheit überhaupt. Und was liegt näher, als anzu¬
nehmen, daß der Dichter bei diesem Motive von persönliche» Erlebnissen aus¬
gegangen sei? Ist er nicht schon seinem dichterischen Naturell gemäß dieser
nach außen hin träge scheinenden Kontemplation selbst am meisten zugeneigt?
Und hat er nicht selbst oft genug den Schein wider sich gehabt, mit den gemein
faulen Leuten vorwurfsvoll verwechselt zu werden? Hat ihn nicht dieser Hang
zur sich selbst genießenden Träumerei in Streit mit den Forderungen der pro¬
saischen Lebensnot gebracht? Und haben ihn nicht die Erfahrungen, welche er
so sammeln mußte, veranlaßt, so eindringlich als möglich über diese Dinge nach¬
zudenken? Dieses Nachdenken führte ihn zur klärenden Erkenntnis, zur ge¬
rechten Beurteilung sowohl seiner selbst, als auch des allgemeinen Treibens der
Menschen, und so ist ihm ans seinem ureigner Wesen der Stoff zu seinen Ge¬
schichten erwachsen. Darin liegt seine wahre Originalität, und begreift mau
diese, so findet man auch den wesentlichen Unterschied zwischen dem Seldwyla
Gottfried Kellers und dem Phciakenlande Hans Hoffmanns bald heraus. Die
Phüccken sind durchaus nicht satirische Bilder. Hoffmanns Schilderungen von
Land und Leuten sind von überraschender Treue. Sein dichterisches Gemüt
hat sich von der korfiotischen Wirklichkeit so ganz befriedigt gefühlt, es lag eine
solche Wahlverwandtschaft zwischen dem Dichter, dessen Wiege an der Ostsee
stand, und dem lustigen griechisch-italienisch-slawischen Völklein ans Korfu, daß
seine Phantasie mit Naturnotwendigkeit sich auf dem schönen Eilande einnisten
mußte. Darum auch der tiefpoetische Charakter dieser Novellen, die gleich fest
auf dein wirklichen Boden verharren, wie sie, von gesunder Sittlichkeit getragen,
ins Reich der Ideen hineinragen.

Die Schönheit nun, welche für Hoffmann von ihrer subjektiv-psychologischen
und sittlichen Seite ein so fruchtbares Motiv wurde, verfolgt er auch in ihrer
objektiven Erscheinung und deren Wirkungen. Die tragische Geschichte des „blinden
Mönches" von Paläostakrizza ist offenbar auf diesem Gedankengange erstanden.
Es ist die Tragödie des übertriebenen und krankhaften Schönheitskultus, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/639>, abgerufen am 25.08.2024.