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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

recht beschämender Natur. Einerseits war in der dumpfen Luft, in der be¬
drückenden Enge und Einseitigkeit einer jammervollen Kleinstaaterei, die in vielen
Beziehungen geradezu verdünnend wirkte, dem damals darin lebenden Geschlechte,
mit einer fast verschwindend kleinen Zahl von Ausnahmen, jeglicher weitere
Blick, jegliches eingehende Verständnis sür die Vorgänge im Staats- und Völker¬
leben, jegliches politische Urteil fast ganz abhanden gekommen, obgleich oder
vielleicht auch weil man damals so stolz darauf war, der "Nation der Dichter
und Denker" anzugehören. Anderseits aber war ein überwiegend großer Teil
unsers Volkes durch mehr als hundertundfüiifzigjährige Mißregierung, durch
fortwährende Mißhandlung und Unterdrückung zu einer so bedientenhafter Unter-
thänigkeit, zu einer so ersterbenden Devotion erzogen und gewöhnt worden, daß
ein Gefühl für nationale Würde, Ehre und Größe, daß kräftige Selbstachtung und
unerschrockener Manncsmut daneben überhaupt nicht aufkommen konnten. Waren
sie es schon gewohnt, vor jedem Beamten, vor jedem Edelmanne, namentlich wenn
er recht grob auftrat, sich bis auf den Boden zu beugen, so lagen sie jetzt vor
den Souveränen von Napoleons Gnaden, erst recht vor dem großen Protektor
selbst, "platt auf dem Bauche." Bezeichnend für den Souveränitätsschwindel
der damaligen Zeit ist die folgende Anekdote, die Weber in seinem "Demokritos"
aufbewahrt hat. Der Schulze eines ritterschaftlichen Dorfes, dessen bisheriger
Landesherr zu den Mediatisirten gehörte, war für seinen neuen Fürsten in Eid
und Pflicht genommen worden und hatte dabei eine Rede im Tone jener Zeit
gehört. Bei seiner Heimkehr rief er stolz und triumphirend seiner Gattin zu:
"Weib, freue dich! Ich bin jetzt nicht mehr ritterschaftlicher Schulze, ich bin
souveräner Schulze geworden!"

Entsprechend dem einfachen Titel waren anch die verfassungsmäßigen Rechte
des Protektors möglichst einfach und geringfügig, wenigstens dem Anscheine
nach. Die Nheinbundsakte führt deren nur vier an, nämlich: 1. Das Recht,
den Bundestag zusammenzuberufen; 2. das Recht der Initiative beim Bundes¬
tage, d. h. das Recht, die Gegenstände der Beratung durch den Fürst-Primas
vorlegen zu lassen; 3. das Recht, diesen zu ernennen; 4. das Recht, Krieg und
Frieden zu beschließen. Und wie bescheiden war der angebliche Nachfolger Karls
des Großen in der Anwendung dieser Rechte! Von dem unter 1. genannten
Rechte hat er niemals Gebrauch gemacht, denn thatsächlich ist der Bundestag
des Rheinbundes niemals versammelt worden. Ur. 2 fiel damit von selbst weg.
Sein drittes Recht übte er nur ein einziges mal aus; denn der erste Fürst-
Primas, der sogenannte Kurfürst-Erzlcmzler, war zugleich auch der letzte, und
daß er mit den Arbeiten seines Berufes sehr belastet gewesen sei, findet sich
nirgends verzeichnet; "überbürdet" war er gewiß nicht. Wenn also Napoleon
in Bezug auf diese drei Punkte eine geradezu rührende Anspruchslosigkeit und
Mäßigung bewies, so dürfen wir uns füglich nicht wundern, wenn er von demi
Rechte unter 4. einen ziemlich ausgiebigen Gebrauch machte. Dieses Recht


Der Rheinbund.

recht beschämender Natur. Einerseits war in der dumpfen Luft, in der be¬
drückenden Enge und Einseitigkeit einer jammervollen Kleinstaaterei, die in vielen
Beziehungen geradezu verdünnend wirkte, dem damals darin lebenden Geschlechte,
mit einer fast verschwindend kleinen Zahl von Ausnahmen, jeglicher weitere
Blick, jegliches eingehende Verständnis sür die Vorgänge im Staats- und Völker¬
leben, jegliches politische Urteil fast ganz abhanden gekommen, obgleich oder
vielleicht auch weil man damals so stolz darauf war, der „Nation der Dichter
und Denker" anzugehören. Anderseits aber war ein überwiegend großer Teil
unsers Volkes durch mehr als hundertundfüiifzigjährige Mißregierung, durch
fortwährende Mißhandlung und Unterdrückung zu einer so bedientenhafter Unter-
thänigkeit, zu einer so ersterbenden Devotion erzogen und gewöhnt worden, daß
ein Gefühl für nationale Würde, Ehre und Größe, daß kräftige Selbstachtung und
unerschrockener Manncsmut daneben überhaupt nicht aufkommen konnten. Waren
sie es schon gewohnt, vor jedem Beamten, vor jedem Edelmanne, namentlich wenn
er recht grob auftrat, sich bis auf den Boden zu beugen, so lagen sie jetzt vor
den Souveränen von Napoleons Gnaden, erst recht vor dem großen Protektor
selbst, „platt auf dem Bauche." Bezeichnend für den Souveränitätsschwindel
der damaligen Zeit ist die folgende Anekdote, die Weber in seinem „Demokritos"
aufbewahrt hat. Der Schulze eines ritterschaftlichen Dorfes, dessen bisheriger
Landesherr zu den Mediatisirten gehörte, war für seinen neuen Fürsten in Eid
und Pflicht genommen worden und hatte dabei eine Rede im Tone jener Zeit
gehört. Bei seiner Heimkehr rief er stolz und triumphirend seiner Gattin zu:
„Weib, freue dich! Ich bin jetzt nicht mehr ritterschaftlicher Schulze, ich bin
souveräner Schulze geworden!"

Entsprechend dem einfachen Titel waren anch die verfassungsmäßigen Rechte
des Protektors möglichst einfach und geringfügig, wenigstens dem Anscheine
nach. Die Nheinbundsakte führt deren nur vier an, nämlich: 1. Das Recht,
den Bundestag zusammenzuberufen; 2. das Recht der Initiative beim Bundes¬
tage, d. h. das Recht, die Gegenstände der Beratung durch den Fürst-Primas
vorlegen zu lassen; 3. das Recht, diesen zu ernennen; 4. das Recht, Krieg und
Frieden zu beschließen. Und wie bescheiden war der angebliche Nachfolger Karls
des Großen in der Anwendung dieser Rechte! Von dem unter 1. genannten
Rechte hat er niemals Gebrauch gemacht, denn thatsächlich ist der Bundestag
des Rheinbundes niemals versammelt worden. Ur. 2 fiel damit von selbst weg.
Sein drittes Recht übte er nur ein einziges mal aus; denn der erste Fürst-
Primas, der sogenannte Kurfürst-Erzlcmzler, war zugleich auch der letzte, und
daß er mit den Arbeiten seines Berufes sehr belastet gewesen sei, findet sich
nirgends verzeichnet; „überbürdet" war er gewiß nicht. Wenn also Napoleon
in Bezug auf diese drei Punkte eine geradezu rührende Anspruchslosigkeit und
Mäßigung bewies, so dürfen wir uns füglich nicht wundern, wenn er von demi
Rechte unter 4. einen ziemlich ausgiebigen Gebrauch machte. Dieses Recht


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[0629] Der Rheinbund. recht beschämender Natur. Einerseits war in der dumpfen Luft, in der be¬ drückenden Enge und Einseitigkeit einer jammervollen Kleinstaaterei, die in vielen Beziehungen geradezu verdünnend wirkte, dem damals darin lebenden Geschlechte, mit einer fast verschwindend kleinen Zahl von Ausnahmen, jeglicher weitere Blick, jegliches eingehende Verständnis sür die Vorgänge im Staats- und Völker¬ leben, jegliches politische Urteil fast ganz abhanden gekommen, obgleich oder vielleicht auch weil man damals so stolz darauf war, der „Nation der Dichter und Denker" anzugehören. Anderseits aber war ein überwiegend großer Teil unsers Volkes durch mehr als hundertundfüiifzigjährige Mißregierung, durch fortwährende Mißhandlung und Unterdrückung zu einer so bedientenhafter Unter- thänigkeit, zu einer so ersterbenden Devotion erzogen und gewöhnt worden, daß ein Gefühl für nationale Würde, Ehre und Größe, daß kräftige Selbstachtung und unerschrockener Manncsmut daneben überhaupt nicht aufkommen konnten. Waren sie es schon gewohnt, vor jedem Beamten, vor jedem Edelmanne, namentlich wenn er recht grob auftrat, sich bis auf den Boden zu beugen, so lagen sie jetzt vor den Souveränen von Napoleons Gnaden, erst recht vor dem großen Protektor selbst, „platt auf dem Bauche." Bezeichnend für den Souveränitätsschwindel der damaligen Zeit ist die folgende Anekdote, die Weber in seinem „Demokritos" aufbewahrt hat. Der Schulze eines ritterschaftlichen Dorfes, dessen bisheriger Landesherr zu den Mediatisirten gehörte, war für seinen neuen Fürsten in Eid und Pflicht genommen worden und hatte dabei eine Rede im Tone jener Zeit gehört. Bei seiner Heimkehr rief er stolz und triumphirend seiner Gattin zu: „Weib, freue dich! Ich bin jetzt nicht mehr ritterschaftlicher Schulze, ich bin souveräner Schulze geworden!" Entsprechend dem einfachen Titel waren anch die verfassungsmäßigen Rechte des Protektors möglichst einfach und geringfügig, wenigstens dem Anscheine nach. Die Nheinbundsakte führt deren nur vier an, nämlich: 1. Das Recht, den Bundestag zusammenzuberufen; 2. das Recht der Initiative beim Bundes¬ tage, d. h. das Recht, die Gegenstände der Beratung durch den Fürst-Primas vorlegen zu lassen; 3. das Recht, diesen zu ernennen; 4. das Recht, Krieg und Frieden zu beschließen. Und wie bescheiden war der angebliche Nachfolger Karls des Großen in der Anwendung dieser Rechte! Von dem unter 1. genannten Rechte hat er niemals Gebrauch gemacht, denn thatsächlich ist der Bundestag des Rheinbundes niemals versammelt worden. Ur. 2 fiel damit von selbst weg. Sein drittes Recht übte er nur ein einziges mal aus; denn der erste Fürst- Primas, der sogenannte Kurfürst-Erzlcmzler, war zugleich auch der letzte, und daß er mit den Arbeiten seines Berufes sehr belastet gewesen sei, findet sich nirgends verzeichnet; „überbürdet" war er gewiß nicht. Wenn also Napoleon in Bezug auf diese drei Punkte eine geradezu rührende Anspruchslosigkeit und Mäßigung bewies, so dürfen wir uns füglich nicht wundern, wenn er von demi Rechte unter 4. einen ziemlich ausgiebigen Gebrauch machte. Dieses Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/629>, abgerufen am 23.07.2024.