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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

der eignen Nationalität die französischen Gewalthaber nur in dem Glauben be¬
stärken, daß ihr Raubsystem Deutschland gegenüber völlig gerechtfertigt sei, da
ja die Deutschen selbst sich darnach sehnten, an Frankreich zu kommen, ein
Glaube, der ja bekanntlich noch heute in den meisten französischen Köpfen spukt.
Das schlimmste Beispiel von allen deutschen Fürstengeschlechtern gab freilich das
Haus Wittelsbach. Wenn im spanischen Erbfolgekriege z. B. zwei Mitglieder
dieses Hauses, zwei Kurfürsten des Reiches, die von Baiern und von Köln, offen
auf feiten Frankreichs gegen Kaiser und Reich kämpften, so wird dieses Vor¬
gehen nur noch überboten durch die Staatskunst, welche die meisten Fürsten
Süd- und Westdeutschlands unmittelbar vor und bei der Stiftung des Rhein¬
bundes befolgten.

Man sieht aus diesem geschichtlichen Rückblicke, daß Napoleon bei seiner
politischen Neuschöpfung nicht ganz originell war, sondern daß er einigermaßen
nach Mustern arbeitete, wenn auch nicht nach berühmten. Hätte er als durch¬
dringender Menschenkenner auch nicht die damaligen deutschen Fürsten und ihre
Berater so gründlich gekannt, so konnte es ihm als gründlichen und scharf¬
sinnigen Kenner der Geschichte nicht schwer werden, aus den oben berührten
frühern Vorgängen zu schließen, was er von dem "Entgegenkommen" gewisser
deutscher Fürsten und ihrer Beamten und Soldaten zu erwarten hatte.

Wir wenden uns nun dazu, den Rheinbund, seine Entstehung, seine Weiter¬
entwicklung und Ausbildung und seine Verfassung etwas eingehender zu betrachten.
Wir können uns dem nicht etwa mit der Bemerkung entziehen, daß dieser Bund
ja doch nur ein kurzes, vorübergehendes Dasein geführt habe, daß er ebenso
rasch, wie er entstanden, auch wieder verschwunden sei, daß es daher nicht der
Mühe wert sei, sich genauer mit seinen Einrichtungen und seinem Wesen be¬
kannt zu machen. Denn abgesehen von dem geschichtlichen Interesse, welches
jede politische Erscheinung jenes für unser Volk und Laud so trüben, aber auch
so wichtigen Zeitraumes beanspruchen darf, ist die Kenntnis der Rheinbunds¬
verfassung durchaus notwendig, um die gesamte politische Entwicklung und Ge¬
staltung Deutschlands zu verstehen. Wer sich darüber ein selbständiges, rich¬
tiges, auf Thatsachen begründetes Urteil bilden will, muß durchaus diese
politische Schöpfung kennen, welche das Bindeglied zwischen der alten Reichs-
verfassung und dem deutschen Bunde darstellt. Der bekannte Spruch: Uf-tura,
non ks-eit 8g.1our läßt sich, richtig verstanden, auch auf die Geschichte anwenden.
Und ein solcher geradezu unbegreiflicher Sprung läge vor, wenn zwischen der
Verfassung des alten Reiches und der des deutschen Bundes der verbindende
Übergang des Rheinbundes fehlte.

Die Vorgeschichte des Rheinbundes, soweit deren Kenntnis nach dem Plane
dieser Aufsätze notwendig ist, ist bereits in einem frühern Abschnitte*) erzählt



*) S. Ur. SO und 61 dieses Jahrganges der Grenzboten.
Der Rheinbund.

der eignen Nationalität die französischen Gewalthaber nur in dem Glauben be¬
stärken, daß ihr Raubsystem Deutschland gegenüber völlig gerechtfertigt sei, da
ja die Deutschen selbst sich darnach sehnten, an Frankreich zu kommen, ein
Glaube, der ja bekanntlich noch heute in den meisten französischen Köpfen spukt.
Das schlimmste Beispiel von allen deutschen Fürstengeschlechtern gab freilich das
Haus Wittelsbach. Wenn im spanischen Erbfolgekriege z. B. zwei Mitglieder
dieses Hauses, zwei Kurfürsten des Reiches, die von Baiern und von Köln, offen
auf feiten Frankreichs gegen Kaiser und Reich kämpften, so wird dieses Vor¬
gehen nur noch überboten durch die Staatskunst, welche die meisten Fürsten
Süd- und Westdeutschlands unmittelbar vor und bei der Stiftung des Rhein¬
bundes befolgten.

Man sieht aus diesem geschichtlichen Rückblicke, daß Napoleon bei seiner
politischen Neuschöpfung nicht ganz originell war, sondern daß er einigermaßen
nach Mustern arbeitete, wenn auch nicht nach berühmten. Hätte er als durch¬
dringender Menschenkenner auch nicht die damaligen deutschen Fürsten und ihre
Berater so gründlich gekannt, so konnte es ihm als gründlichen und scharf¬
sinnigen Kenner der Geschichte nicht schwer werden, aus den oben berührten
frühern Vorgängen zu schließen, was er von dem „Entgegenkommen" gewisser
deutscher Fürsten und ihrer Beamten und Soldaten zu erwarten hatte.

Wir wenden uns nun dazu, den Rheinbund, seine Entstehung, seine Weiter¬
entwicklung und Ausbildung und seine Verfassung etwas eingehender zu betrachten.
Wir können uns dem nicht etwa mit der Bemerkung entziehen, daß dieser Bund
ja doch nur ein kurzes, vorübergehendes Dasein geführt habe, daß er ebenso
rasch, wie er entstanden, auch wieder verschwunden sei, daß es daher nicht der
Mühe wert sei, sich genauer mit seinen Einrichtungen und seinem Wesen be¬
kannt zu machen. Denn abgesehen von dem geschichtlichen Interesse, welches
jede politische Erscheinung jenes für unser Volk und Laud so trüben, aber auch
so wichtigen Zeitraumes beanspruchen darf, ist die Kenntnis der Rheinbunds¬
verfassung durchaus notwendig, um die gesamte politische Entwicklung und Ge¬
staltung Deutschlands zu verstehen. Wer sich darüber ein selbständiges, rich¬
tiges, auf Thatsachen begründetes Urteil bilden will, muß durchaus diese
politische Schöpfung kennen, welche das Bindeglied zwischen der alten Reichs-
verfassung und dem deutschen Bunde darstellt. Der bekannte Spruch: Uf-tura,
non ks-eit 8g.1our läßt sich, richtig verstanden, auch auf die Geschichte anwenden.
Und ein solcher geradezu unbegreiflicher Sprung läge vor, wenn zwischen der
Verfassung des alten Reiches und der des deutschen Bundes der verbindende
Übergang des Rheinbundes fehlte.

Die Vorgeschichte des Rheinbundes, soweit deren Kenntnis nach dem Plane
dieser Aufsätze notwendig ist, ist bereits in einem frühern Abschnitte*) erzählt



*) S. Ur. SO und 61 dieses Jahrganges der Grenzboten.
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[0626] Der Rheinbund. der eignen Nationalität die französischen Gewalthaber nur in dem Glauben be¬ stärken, daß ihr Raubsystem Deutschland gegenüber völlig gerechtfertigt sei, da ja die Deutschen selbst sich darnach sehnten, an Frankreich zu kommen, ein Glaube, der ja bekanntlich noch heute in den meisten französischen Köpfen spukt. Das schlimmste Beispiel von allen deutschen Fürstengeschlechtern gab freilich das Haus Wittelsbach. Wenn im spanischen Erbfolgekriege z. B. zwei Mitglieder dieses Hauses, zwei Kurfürsten des Reiches, die von Baiern und von Köln, offen auf feiten Frankreichs gegen Kaiser und Reich kämpften, so wird dieses Vor¬ gehen nur noch überboten durch die Staatskunst, welche die meisten Fürsten Süd- und Westdeutschlands unmittelbar vor und bei der Stiftung des Rhein¬ bundes befolgten. Man sieht aus diesem geschichtlichen Rückblicke, daß Napoleon bei seiner politischen Neuschöpfung nicht ganz originell war, sondern daß er einigermaßen nach Mustern arbeitete, wenn auch nicht nach berühmten. Hätte er als durch¬ dringender Menschenkenner auch nicht die damaligen deutschen Fürsten und ihre Berater so gründlich gekannt, so konnte es ihm als gründlichen und scharf¬ sinnigen Kenner der Geschichte nicht schwer werden, aus den oben berührten frühern Vorgängen zu schließen, was er von dem „Entgegenkommen" gewisser deutscher Fürsten und ihrer Beamten und Soldaten zu erwarten hatte. Wir wenden uns nun dazu, den Rheinbund, seine Entstehung, seine Weiter¬ entwicklung und Ausbildung und seine Verfassung etwas eingehender zu betrachten. Wir können uns dem nicht etwa mit der Bemerkung entziehen, daß dieser Bund ja doch nur ein kurzes, vorübergehendes Dasein geführt habe, daß er ebenso rasch, wie er entstanden, auch wieder verschwunden sei, daß es daher nicht der Mühe wert sei, sich genauer mit seinen Einrichtungen und seinem Wesen be¬ kannt zu machen. Denn abgesehen von dem geschichtlichen Interesse, welches jede politische Erscheinung jenes für unser Volk und Laud so trüben, aber auch so wichtigen Zeitraumes beanspruchen darf, ist die Kenntnis der Rheinbunds¬ verfassung durchaus notwendig, um die gesamte politische Entwicklung und Ge¬ staltung Deutschlands zu verstehen. Wer sich darüber ein selbständiges, rich¬ tiges, auf Thatsachen begründetes Urteil bilden will, muß durchaus diese politische Schöpfung kennen, welche das Bindeglied zwischen der alten Reichs- verfassung und dem deutschen Bunde darstellt. Der bekannte Spruch: Uf-tura, non ks-eit 8g.1our läßt sich, richtig verstanden, auch auf die Geschichte anwenden. Und ein solcher geradezu unbegreiflicher Sprung läge vor, wenn zwischen der Verfassung des alten Reiches und der des deutschen Bundes der verbindende Übergang des Rheinbundes fehlte. Die Vorgeschichte des Rheinbundes, soweit deren Kenntnis nach dem Plane dieser Aufsätze notwendig ist, ist bereits in einem frühern Abschnitte*) erzählt *) S. Ur. SO und 61 dieses Jahrganges der Grenzboten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/626>, abgerufen am 22.07.2024.