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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

von Schweden), Münster, die drei Braunschweig und Hessen-Kassel den rhei¬
nischen Bund, angeblich "zu gegenseitiger Verteidigung und zur Erhaltung der
öffentlichen Ruhe im Reiche." Der Bund hatte eine Truppenmacht von 10 000
Mann, zu der jeder Verbündete seinen Beitrag stellen mußte, Frankreich bei¬
spielsweise 2400 Mann. Ein Bundesrat sollte die gemeinsamen Angelegenheiten
leiten u. s. w. Man sieht, es war ein Vorbild des Napoleonischen Rheinbundes
im kleinen in bester Form. Eine nennenswerte politische Bedeutung hat dieser
erste Rheinbund zwar niemals erlangt; das verhinderten politische und mili¬
tärische Ereignisse, die man damals noch nicht voraussehen konnte. Aber als
Vorbild des spätern Rheinbundes darf er nicht mit Stillschweigen übergangen
werden. Und welche Gefahr dieser Bund für das Bestehen des Reiches und
seiner Glieder in sich barg, dafür dient das Zeugnis eines Zeitgenossen, der
unzweifelhaft der berufenste Richter über die politischen Verhältnisse der da¬
maligen Zeit war, nämlich keines geringeren als des Großen Kurfürsten. Gerade
aus dieser Zeit stammt eine Denkschrift von Friedrich Wilhelm, die viel allge¬
meiner bekannt sein sollte, als sie es leider ist. Sie ist überschrieben: "Anden
ehrlichen Deutschen"; ihre wichtigsten Stellen mögen hier eine Stelle finden.
"Dein edles Vaterland war leider im letzten Kriege unter dem Vorwande der
Religion und Freiheit gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein der¬
artig ausgesogen, daß von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr
übrig ist als das Skelett. Wem noch deutsches Blut im Herzen warm ist, muß
darüber weinen. . . . Wir sind mit dem letzten Kriege schier Dienstknechte fremder
Nationen geworden. Was sind Rhein, Weser, Elbe, Oderstrom anders als
fremder Nationen Gefangene? Was ist unsre Religion und Freiheit mehr, als
daß andre damit spielen? . . . Gedenke ein jeder, der kein schwedisches Brot essen
will, was er für die Ehre des deutschen Namens zu thun habe, um sich gegen
sein eignes Blut und sein einst vor allen Nationen berühmtes Vaterland nicht
zu versündigen. Gedenke, daß du ein Deutscher bist!" So deutlich erkannte
der große Mann, welche Gefahren das gesamte Deutschland bedrohten, wenn
fremde Mächte unter dem Vorwande, die deutsche Freiheit und den evangelischen
Glauben aufrecht zu erhalten, sich fortwährend in die innern Verhältnisse des
Reiches mischten. Wenn er in diesem Aufrufe "An den ehrlichen Deutschen"
mehr die von Schweden als die von Frankreich drohenden Gefahren hervor¬
hebt, so wird das bei niemandem, der die politische Lage Brandenburgs in der
damaligen Zeit kennt, Verwunderung erregen. Umsomehr Verwunderung muß
es aber erregen, wenn man hört, daß später (im Januar 1664) der Große
Kurfürst selbst diesem Rheinbunde beitrat, wenn auch nicht für lange Zeit, und
wenn er auch völlig seiue Selbständigkeit und damit die Selbständigkeit des
Bundes wahrte. Die politische Zwangslage, welche den Knrfttrsten zu diesem
immerhin gefährlichen Schritte trieb, kann hier nicht näher erörtert werden.
Es soll nur darauf hingewiesen werden, wie tief die treulose, undankbare Politik


Der Rheinbund.

von Schweden), Münster, die drei Braunschweig und Hessen-Kassel den rhei¬
nischen Bund, angeblich „zu gegenseitiger Verteidigung und zur Erhaltung der
öffentlichen Ruhe im Reiche." Der Bund hatte eine Truppenmacht von 10 000
Mann, zu der jeder Verbündete seinen Beitrag stellen mußte, Frankreich bei¬
spielsweise 2400 Mann. Ein Bundesrat sollte die gemeinsamen Angelegenheiten
leiten u. s. w. Man sieht, es war ein Vorbild des Napoleonischen Rheinbundes
im kleinen in bester Form. Eine nennenswerte politische Bedeutung hat dieser
erste Rheinbund zwar niemals erlangt; das verhinderten politische und mili¬
tärische Ereignisse, die man damals noch nicht voraussehen konnte. Aber als
Vorbild des spätern Rheinbundes darf er nicht mit Stillschweigen übergangen
werden. Und welche Gefahr dieser Bund für das Bestehen des Reiches und
seiner Glieder in sich barg, dafür dient das Zeugnis eines Zeitgenossen, der
unzweifelhaft der berufenste Richter über die politischen Verhältnisse der da¬
maligen Zeit war, nämlich keines geringeren als des Großen Kurfürsten. Gerade
aus dieser Zeit stammt eine Denkschrift von Friedrich Wilhelm, die viel allge¬
meiner bekannt sein sollte, als sie es leider ist. Sie ist überschrieben: „Anden
ehrlichen Deutschen"; ihre wichtigsten Stellen mögen hier eine Stelle finden.
„Dein edles Vaterland war leider im letzten Kriege unter dem Vorwande der
Religion und Freiheit gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein der¬
artig ausgesogen, daß von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr
übrig ist als das Skelett. Wem noch deutsches Blut im Herzen warm ist, muß
darüber weinen. . . . Wir sind mit dem letzten Kriege schier Dienstknechte fremder
Nationen geworden. Was sind Rhein, Weser, Elbe, Oderstrom anders als
fremder Nationen Gefangene? Was ist unsre Religion und Freiheit mehr, als
daß andre damit spielen? . . . Gedenke ein jeder, der kein schwedisches Brot essen
will, was er für die Ehre des deutschen Namens zu thun habe, um sich gegen
sein eignes Blut und sein einst vor allen Nationen berühmtes Vaterland nicht
zu versündigen. Gedenke, daß du ein Deutscher bist!" So deutlich erkannte
der große Mann, welche Gefahren das gesamte Deutschland bedrohten, wenn
fremde Mächte unter dem Vorwande, die deutsche Freiheit und den evangelischen
Glauben aufrecht zu erhalten, sich fortwährend in die innern Verhältnisse des
Reiches mischten. Wenn er in diesem Aufrufe „An den ehrlichen Deutschen"
mehr die von Schweden als die von Frankreich drohenden Gefahren hervor¬
hebt, so wird das bei niemandem, der die politische Lage Brandenburgs in der
damaligen Zeit kennt, Verwunderung erregen. Umsomehr Verwunderung muß
es aber erregen, wenn man hört, daß später (im Januar 1664) der Große
Kurfürst selbst diesem Rheinbunde beitrat, wenn auch nicht für lange Zeit, und
wenn er auch völlig seiue Selbständigkeit und damit die Selbständigkeit des
Bundes wahrte. Die politische Zwangslage, welche den Knrfttrsten zu diesem
immerhin gefährlichen Schritte trieb, kann hier nicht näher erörtert werden.
Es soll nur darauf hingewiesen werden, wie tief die treulose, undankbare Politik


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[0624] Der Rheinbund. von Schweden), Münster, die drei Braunschweig und Hessen-Kassel den rhei¬ nischen Bund, angeblich „zu gegenseitiger Verteidigung und zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe im Reiche." Der Bund hatte eine Truppenmacht von 10 000 Mann, zu der jeder Verbündete seinen Beitrag stellen mußte, Frankreich bei¬ spielsweise 2400 Mann. Ein Bundesrat sollte die gemeinsamen Angelegenheiten leiten u. s. w. Man sieht, es war ein Vorbild des Napoleonischen Rheinbundes im kleinen in bester Form. Eine nennenswerte politische Bedeutung hat dieser erste Rheinbund zwar niemals erlangt; das verhinderten politische und mili¬ tärische Ereignisse, die man damals noch nicht voraussehen konnte. Aber als Vorbild des spätern Rheinbundes darf er nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Und welche Gefahr dieser Bund für das Bestehen des Reiches und seiner Glieder in sich barg, dafür dient das Zeugnis eines Zeitgenossen, der unzweifelhaft der berufenste Richter über die politischen Verhältnisse der da¬ maligen Zeit war, nämlich keines geringeren als des Großen Kurfürsten. Gerade aus dieser Zeit stammt eine Denkschrift von Friedrich Wilhelm, die viel allge¬ meiner bekannt sein sollte, als sie es leider ist. Sie ist überschrieben: „Anden ehrlichen Deutschen"; ihre wichtigsten Stellen mögen hier eine Stelle finden. „Dein edles Vaterland war leider im letzten Kriege unter dem Vorwande der Religion und Freiheit gar jämmerlich zugerichtet und an Mark und Bein der¬ artig ausgesogen, daß von dem einst so herrlichen Körper schon nichts mehr übrig ist als das Skelett. Wem noch deutsches Blut im Herzen warm ist, muß darüber weinen. . . . Wir sind mit dem letzten Kriege schier Dienstknechte fremder Nationen geworden. Was sind Rhein, Weser, Elbe, Oderstrom anders als fremder Nationen Gefangene? Was ist unsre Religion und Freiheit mehr, als daß andre damit spielen? . . . Gedenke ein jeder, der kein schwedisches Brot essen will, was er für die Ehre des deutschen Namens zu thun habe, um sich gegen sein eignes Blut und sein einst vor allen Nationen berühmtes Vaterland nicht zu versündigen. Gedenke, daß du ein Deutscher bist!" So deutlich erkannte der große Mann, welche Gefahren das gesamte Deutschland bedrohten, wenn fremde Mächte unter dem Vorwande, die deutsche Freiheit und den evangelischen Glauben aufrecht zu erhalten, sich fortwährend in die innern Verhältnisse des Reiches mischten. Wenn er in diesem Aufrufe „An den ehrlichen Deutschen" mehr die von Schweden als die von Frankreich drohenden Gefahren hervor¬ hebt, so wird das bei niemandem, der die politische Lage Brandenburgs in der damaligen Zeit kennt, Verwunderung erregen. Umsomehr Verwunderung muß es aber erregen, wenn man hört, daß später (im Januar 1664) der Große Kurfürst selbst diesem Rheinbunde beitrat, wenn auch nicht für lange Zeit, und wenn er auch völlig seiue Selbständigkeit und damit die Selbständigkeit des Bundes wahrte. Die politische Zwangslage, welche den Knrfttrsten zu diesem immerhin gefährlichen Schritte trieb, kann hier nicht näher erörtert werden. Es soll nur darauf hingewiesen werden, wie tief die treulose, undankbare Politik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/624>, abgerufen am 22.07.2024.