Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Die politische Lage am Jahresschlusse. das russische Beamtentum, welches zum Kriege hetzt, thut dies im Interesse Dieser "unchristlichen Neigung" gegenüber steht ein festes Friedensbündnis Die politische Lage am Jahresschlusse. das russische Beamtentum, welches zum Kriege hetzt, thut dies im Interesse Dieser „unchristlichen Neigung" gegenüber steht ein festes Friedensbündnis <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202049"/> <fw type="header" place="top"> Die politische Lage am Jahresschlusse.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1797" prev="#ID_1796"> das russische Beamtentum, welches zum Kriege hetzt, thut dies im Interesse<lb/> nihilistischer Grundsätze, zu denen es sich bekennt. Darf ein früherer Botschafts¬<lb/> sekretär eine Geschichte Rußlands schreiben, in welcher das Herrschergeschlecht<lb/> seines Ursprungs wegen als antinational bezeichnet wird, und darf ein russischer<lb/> Unterrichtsminister ein solches Buch in Gymnasien und höhern Schulen ein¬<lb/> führen, so ist dies ein Merkzeichen für das Zusammenwirken der zerstörenden<lb/> Kräfte an den höchsten Stellen. Diesem Zusammenwirken ist es gelungen, im<lb/> Volke eine kriegerische Stimmung hervorzurufen, indem alle schlechten Eigen¬<lb/> schaften des Menschen zum Haß gegen''die Deutschen benutzt wurden. Denn<lb/> vom Kriege hoffen die panslawistisch-nihilistischen Elemente nicht mehr in erster<lb/> Linie die Ausbreitung des heiligen Rußlands, sondern die Revolution und die<lb/> Verfassungsänderung. Man darf nun zwar nicht vergessen, daß der Kaiser<lb/> noch die Macht in den Händen hat, aber er wird so stark von diesem kriegs¬<lb/> bedürftigen Elemente umringt, daß er bald wird mit der Flut schwimmen<lb/> müssen. So hängt es auch bei Rußland von ganz unberechenbaren Umständen<lb/> ab, ob es zum Kriege gedrängt, oder der Frieden erhalten bleiben soll.<lb/> Man braucht nicht notwendigerweise an ein französisch-russisches Bündnis<lb/> zu denken, wenn es zum Kriege kommen soll. So weit wird sich Zar<lb/> Alexander III. nie vergessen, um mit den französischen Radikale» Waffen¬<lb/> brüderschaft einzugehen. Aber so weit braucht die Freundschaft gar nicht zu<lb/> reichen. Sind die Franzosen sicher, daß, wenn sie losschlagen, auch Rußland<lb/> das Schwert aus der Scheide zieht, so beginnt der Krieg. Oder glaubt<lb/> der Zar, daß, wenn er mit Österreich beschäftigt ist, Frankreich auf Deutsch¬<lb/> land losstürzen wird, dann ist wiederum auf den Beginn des Krieges zu<lb/> rechnen. Wir müssen uns mit der betrübenden Thatsache zufrieden geben,<lb/> daß wir zwei Nachbarn haben, welche die „unchristliche Neigung zu Überfällen"<lb/> besitzen, und es ist gut, bei Zeiten mit dem Gedanken sich vertraut zu machen:<lb/> "A^6t se-^taxog ?ro/i,e^os.</p><lb/> <p xml:id="ID_1798" next="#ID_1799"> Dieser „unchristlichen Neigung" gegenüber steht ein festes Friedensbündnis<lb/> dreier achtunggebietenden Mächte. Was zur Zeit des deutschen Bundes aus¬<lb/> geschlossen war, daß Preußen für die nichtdeutschen Provinzen Österreichs ein¬<lb/> treten würde, hat sich zur Zeit des deutschen Reiches verwirklicht. Der Bestand<lb/> Österreichs ist für das europäische Gleichgewicht erforderlich, und deshalb muß<lb/> Deutschland jeden Angriff auf Österreich-Ungarn als einen oasus dslli betrachten.<lb/> Umgekehrt weiß die Habsburgische Monarchie, daß die Niederwerfung des<lb/> deutschen Reiches gleichbedeutend ist mit dem eigenen Zerfall und dem Verluste<lb/> der besten Teile an Rußland. Ebenso ist Italien davon durchdrungen, daß<lb/> ein übermächtiges Frankreich die Integrität des jungen Königreichs in Frage<lb/> stellt und ein unbesiegbares Rußland das Mittelmeer zu einem russischen See<lb/> macht. Alle drei Mächte haben ein dringendes Friedensbedürfnis, auch in<lb/> Italien will der besonnene Politiker von dem Jrredentismus nichts wissen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620]
Die politische Lage am Jahresschlusse.
das russische Beamtentum, welches zum Kriege hetzt, thut dies im Interesse
nihilistischer Grundsätze, zu denen es sich bekennt. Darf ein früherer Botschafts¬
sekretär eine Geschichte Rußlands schreiben, in welcher das Herrschergeschlecht
seines Ursprungs wegen als antinational bezeichnet wird, und darf ein russischer
Unterrichtsminister ein solches Buch in Gymnasien und höhern Schulen ein¬
führen, so ist dies ein Merkzeichen für das Zusammenwirken der zerstörenden
Kräfte an den höchsten Stellen. Diesem Zusammenwirken ist es gelungen, im
Volke eine kriegerische Stimmung hervorzurufen, indem alle schlechten Eigen¬
schaften des Menschen zum Haß gegen''die Deutschen benutzt wurden. Denn
vom Kriege hoffen die panslawistisch-nihilistischen Elemente nicht mehr in erster
Linie die Ausbreitung des heiligen Rußlands, sondern die Revolution und die
Verfassungsänderung. Man darf nun zwar nicht vergessen, daß der Kaiser
noch die Macht in den Händen hat, aber er wird so stark von diesem kriegs¬
bedürftigen Elemente umringt, daß er bald wird mit der Flut schwimmen
müssen. So hängt es auch bei Rußland von ganz unberechenbaren Umständen
ab, ob es zum Kriege gedrängt, oder der Frieden erhalten bleiben soll.
Man braucht nicht notwendigerweise an ein französisch-russisches Bündnis
zu denken, wenn es zum Kriege kommen soll. So weit wird sich Zar
Alexander III. nie vergessen, um mit den französischen Radikale» Waffen¬
brüderschaft einzugehen. Aber so weit braucht die Freundschaft gar nicht zu
reichen. Sind die Franzosen sicher, daß, wenn sie losschlagen, auch Rußland
das Schwert aus der Scheide zieht, so beginnt der Krieg. Oder glaubt
der Zar, daß, wenn er mit Österreich beschäftigt ist, Frankreich auf Deutsch¬
land losstürzen wird, dann ist wiederum auf den Beginn des Krieges zu
rechnen. Wir müssen uns mit der betrübenden Thatsache zufrieden geben,
daß wir zwei Nachbarn haben, welche die „unchristliche Neigung zu Überfällen"
besitzen, und es ist gut, bei Zeiten mit dem Gedanken sich vertraut zu machen:
"A^6t se-^taxog ?ro/i,e^os.
Dieser „unchristlichen Neigung" gegenüber steht ein festes Friedensbündnis
dreier achtunggebietenden Mächte. Was zur Zeit des deutschen Bundes aus¬
geschlossen war, daß Preußen für die nichtdeutschen Provinzen Österreichs ein¬
treten würde, hat sich zur Zeit des deutschen Reiches verwirklicht. Der Bestand
Österreichs ist für das europäische Gleichgewicht erforderlich, und deshalb muß
Deutschland jeden Angriff auf Österreich-Ungarn als einen oasus dslli betrachten.
Umgekehrt weiß die Habsburgische Monarchie, daß die Niederwerfung des
deutschen Reiches gleichbedeutend ist mit dem eigenen Zerfall und dem Verluste
der besten Teile an Rußland. Ebenso ist Italien davon durchdrungen, daß
ein übermächtiges Frankreich die Integrität des jungen Königreichs in Frage
stellt und ein unbesiegbares Rußland das Mittelmeer zu einem russischen See
macht. Alle drei Mächte haben ein dringendes Friedensbedürfnis, auch in
Italien will der besonnene Politiker von dem Jrredentismus nichts wissen,
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