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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

dannen, daß jeder, der ihm begegnete, sehen konnte, daß er etwas auf dem Herzen
habe, was sie nicht erfahren würden, und wenn sie ihn auch noch so viel dar¬
nach fragte". Aber in ihm kribbelte und krabbelte es und wollte gar zu gern
heraus, und je länger es währte, desto schwerer wurde es ihm.

In diesem Jahre wird es Wohl niemals heiliger Abend! sagte eine Stimme
in seinem Innern, die ihm einreden wollte, daß zwei Tage niemals ein Ende
nähmen. Denn es waren noch zwei Tage bis zum Weihnachtsabend. Und wenn
es noch etwas länger gewährt hätte bis zum heilige" Abend, und wenn sich
Tippe nicht mehrmals am Tage durch einen Besuch bei der Mutter des kleinen
Knaben hätte stärken können, und wenn er seinem bedrängten Sinne nicht immer
durch hochfligendere Pläne Luft gemacht hätte, und wenn der alte Jens nicht
gerade in den Tagen so merkwürdig still umhergegangen wäre, als träumte er einen
trüben Traum und könnte weder hören noch sehen -- ja wenn das alles nicht
der Fall gewesen wäre, so wäre Tippe doch am Ende wohl mit seinem Geheimnis
herausgeplatzt, denn er war zu glücklich darüber, sein Herz war so voll davon,
daß ihm kaum Platz für andre Gedanken blieb.

Aber Tippe hielt reinen Mund, und der alte Jens merkte nichts. Der
Friedhof hatte ihn wieder in seinem alten Zauberbann, und dort stand er, so
lange der Tag währte, und Schauseite ein frisches Grab.

Es war das herrlichste Winterwetter. Der weiße Schnee hatte eine schim¬
mernde Decke über die Felder und Wege ausgebreitet, der leichte Frost lag wie
ein welcher Flaum auf den Büschen und Bäumen, und jeder kleine Zweig sah
aus wie die schönste Federblume. Mitten im Teich hatten die Knaben ein großes
Loch in das Eis gehauen -- denn der Schnee lag zu hoch, um glitschen zu
können, und etwas mußten sie doch zu thun haben -- und jetzt hatte sich über
dieser Öffnung eine dünne Eisschicht gebildet, die sich wie ein glitzernder Edel¬
stein mitten in dem weißen Schnee ausnahm. Und über all dieser Schönheit
glänzte und funkelte und strahlte es von allen Ecken und Kanten in der klaren
Frostluft -- das war die liebe Sonne, die ein großartiges Feuerwerk veran¬
staltete. Und das alles machte Tippes Sinn so frisch und so leicht, sein Auge
glänzte um die Wette mit all der Pracht, und sein Herz schlug lauter vor Sehn?
sucht und freudiger Erwartung.

Aber der alte Totengräber hatte keine Freude daran. Er stand gebeugt
da und Schauseite und grub und stöhnte dabei, daß man es weithin hören konnte.
Es war auch ein schweres Stück Arbeit, denn die Erde war ganz hart gefroren.
Aber helfen lasten wollte er sich auch nicht.

Dies Grab gehört mir! sagte er. Ich allein will es graben, und wenn
es auch mein letztes werden sollte!

Und das hielt er auch. Als der heilige Abend kam, war das Grab fertig,
trotz Winter und Frost, und es war geschmückt und verziert wie für eine Prin¬
zessin, und diesmal war keine Gefahr da, daß die Prinzessin Launen bekommen


Gevatter Tod.

dannen, daß jeder, der ihm begegnete, sehen konnte, daß er etwas auf dem Herzen
habe, was sie nicht erfahren würden, und wenn sie ihn auch noch so viel dar¬
nach fragte». Aber in ihm kribbelte und krabbelte es und wollte gar zu gern
heraus, und je länger es währte, desto schwerer wurde es ihm.

In diesem Jahre wird es Wohl niemals heiliger Abend! sagte eine Stimme
in seinem Innern, die ihm einreden wollte, daß zwei Tage niemals ein Ende
nähmen. Denn es waren noch zwei Tage bis zum Weihnachtsabend. Und wenn
es noch etwas länger gewährt hätte bis zum heilige» Abend, und wenn sich
Tippe nicht mehrmals am Tage durch einen Besuch bei der Mutter des kleinen
Knaben hätte stärken können, und wenn er seinem bedrängten Sinne nicht immer
durch hochfligendere Pläne Luft gemacht hätte, und wenn der alte Jens nicht
gerade in den Tagen so merkwürdig still umhergegangen wäre, als träumte er einen
trüben Traum und könnte weder hören noch sehen — ja wenn das alles nicht
der Fall gewesen wäre, so wäre Tippe doch am Ende wohl mit seinem Geheimnis
herausgeplatzt, denn er war zu glücklich darüber, sein Herz war so voll davon,
daß ihm kaum Platz für andre Gedanken blieb.

Aber Tippe hielt reinen Mund, und der alte Jens merkte nichts. Der
Friedhof hatte ihn wieder in seinem alten Zauberbann, und dort stand er, so
lange der Tag währte, und Schauseite ein frisches Grab.

Es war das herrlichste Winterwetter. Der weiße Schnee hatte eine schim¬
mernde Decke über die Felder und Wege ausgebreitet, der leichte Frost lag wie
ein welcher Flaum auf den Büschen und Bäumen, und jeder kleine Zweig sah
aus wie die schönste Federblume. Mitten im Teich hatten die Knaben ein großes
Loch in das Eis gehauen — denn der Schnee lag zu hoch, um glitschen zu
können, und etwas mußten sie doch zu thun haben — und jetzt hatte sich über
dieser Öffnung eine dünne Eisschicht gebildet, die sich wie ein glitzernder Edel¬
stein mitten in dem weißen Schnee ausnahm. Und über all dieser Schönheit
glänzte und funkelte und strahlte es von allen Ecken und Kanten in der klaren
Frostluft — das war die liebe Sonne, die ein großartiges Feuerwerk veran¬
staltete. Und das alles machte Tippes Sinn so frisch und so leicht, sein Auge
glänzte um die Wette mit all der Pracht, und sein Herz schlug lauter vor Sehn?
sucht und freudiger Erwartung.

Aber der alte Totengräber hatte keine Freude daran. Er stand gebeugt
da und Schauseite und grub und stöhnte dabei, daß man es weithin hören konnte.
Es war auch ein schweres Stück Arbeit, denn die Erde war ganz hart gefroren.
Aber helfen lasten wollte er sich auch nicht.

Dies Grab gehört mir! sagte er. Ich allein will es graben, und wenn
es auch mein letztes werden sollte!

Und das hielt er auch. Als der heilige Abend kam, war das Grab fertig,
trotz Winter und Frost, und es war geschmückt und verziert wie für eine Prin¬
zessin, und diesmal war keine Gefahr da, daß die Prinzessin Launen bekommen


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[0606] Gevatter Tod. dannen, daß jeder, der ihm begegnete, sehen konnte, daß er etwas auf dem Herzen habe, was sie nicht erfahren würden, und wenn sie ihn auch noch so viel dar¬ nach fragte». Aber in ihm kribbelte und krabbelte es und wollte gar zu gern heraus, und je länger es währte, desto schwerer wurde es ihm. In diesem Jahre wird es Wohl niemals heiliger Abend! sagte eine Stimme in seinem Innern, die ihm einreden wollte, daß zwei Tage niemals ein Ende nähmen. Denn es waren noch zwei Tage bis zum Weihnachtsabend. Und wenn es noch etwas länger gewährt hätte bis zum heilige» Abend, und wenn sich Tippe nicht mehrmals am Tage durch einen Besuch bei der Mutter des kleinen Knaben hätte stärken können, und wenn er seinem bedrängten Sinne nicht immer durch hochfligendere Pläne Luft gemacht hätte, und wenn der alte Jens nicht gerade in den Tagen so merkwürdig still umhergegangen wäre, als träumte er einen trüben Traum und könnte weder hören noch sehen — ja wenn das alles nicht der Fall gewesen wäre, so wäre Tippe doch am Ende wohl mit seinem Geheimnis herausgeplatzt, denn er war zu glücklich darüber, sein Herz war so voll davon, daß ihm kaum Platz für andre Gedanken blieb. Aber Tippe hielt reinen Mund, und der alte Jens merkte nichts. Der Friedhof hatte ihn wieder in seinem alten Zauberbann, und dort stand er, so lange der Tag währte, und Schauseite ein frisches Grab. Es war das herrlichste Winterwetter. Der weiße Schnee hatte eine schim¬ mernde Decke über die Felder und Wege ausgebreitet, der leichte Frost lag wie ein welcher Flaum auf den Büschen und Bäumen, und jeder kleine Zweig sah aus wie die schönste Federblume. Mitten im Teich hatten die Knaben ein großes Loch in das Eis gehauen — denn der Schnee lag zu hoch, um glitschen zu können, und etwas mußten sie doch zu thun haben — und jetzt hatte sich über dieser Öffnung eine dünne Eisschicht gebildet, die sich wie ein glitzernder Edel¬ stein mitten in dem weißen Schnee ausnahm. Und über all dieser Schönheit glänzte und funkelte und strahlte es von allen Ecken und Kanten in der klaren Frostluft — das war die liebe Sonne, die ein großartiges Feuerwerk veran¬ staltete. Und das alles machte Tippes Sinn so frisch und so leicht, sein Auge glänzte um die Wette mit all der Pracht, und sein Herz schlug lauter vor Sehn? sucht und freudiger Erwartung. Aber der alte Totengräber hatte keine Freude daran. Er stand gebeugt da und Schauseite und grub und stöhnte dabei, daß man es weithin hören konnte. Es war auch ein schweres Stück Arbeit, denn die Erde war ganz hart gefroren. Aber helfen lasten wollte er sich auch nicht. Dies Grab gehört mir! sagte er. Ich allein will es graben, und wenn es auch mein letztes werden sollte! Und das hielt er auch. Als der heilige Abend kam, war das Grab fertig, trotz Winter und Frost, und es war geschmückt und verziert wie für eine Prin¬ zessin, und diesmal war keine Gefahr da, daß die Prinzessin Launen bekommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/606>, abgerufen am 22.07.2024.