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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

sehnte wie Tippe, und es gehörte die ganze Standhaftigkeit des kleinen Burschen
dazu, um das große freudige Geheimnis, das er mit sich herum trug, nicht zu
verraten. Alle die andern Kinder sollten nur einen Tannenbaum erhalten, Tippe
dagegen wollte selber einen aufputzen und verschenken, und das war doch un¬
endlich viel schöner!

Er hatte nun noch ein zweites Geheimnis, aber das hatte er nicht für
sich allein; die Mutter des kleinen Knaben, die Frau des Schulmeisters, wußte
darum, und das war folgendermaßen zugegangen.

Willst du am Weihnachtsabend zu uns kommen und mit meinem kleinen
Jungen spielen, Tippe? hatte ihn die Frau des Schulmeisters gefragt, als sie
ihm eines Tages auf der Straße begegnet war.

Wer soll denn aber mit dem alten Jens spielen? hatte Tippe erwiedert und
sie dabei mit seinen großen Augen fragend angeschaut. Es lag fast ein Vor-
wurf darin.

Ja, aber mein kleiner Junge bekommt einen Tannenbaum! hatte die Mutter
des Knaben entgegnet. Und dann hättet ihr beide euch zusammen darüber freuen
können. Was meinst du dazu, Tippe?

Ja darauf hatte Tippe nichts zu antworten gewußt. Er war schweigend
und nachdenklich seiner Wege gegangen. Denn im vorigen Jahre hatte er auch
einen Tannenbaum gehabt -- da hatte er ja auch noch eine Mutter gehabt --,
und er konnte sich noch sehr wohl besinnen, wie herrlich das gewesen war.

Nun, Tippe? fragte die Mutter des Knaben, als sie ihm das nächste mal
begegnete. Kommst du zu Weihnachten zu uns?

Nein! antwortete Tippe und sah sehr bestimmt dazu aus. Denn der alte
Jens soll auch einen Tannenbaum haben.

Wirklich? fragte die Mutter des Knaben. Und wer will ihm denn den
schenken?

Das will ich thun! antwortete Tippe, und sah dabei aus, als wenn er
sich nicht wenig fühlte. Und der soll so schön werden! Und er soll sich so sehr
darüber freuen! fügte er eifrig hinzu, als die Mutter des Knaben ihn lächelnd
ansah. Dieser Beschreibung konnte sie nicht widerstehen -- er hatte es ihr
damit angethan.

Kann ich nicht auch dabei sein? bat sie.

Tippe überlegte einen Augenblick, dann erwiederte er sehr von oben herab:
Ja, meinetwegen, das heißt, wenn du schweigen kannst. Denn es muß eine Über¬
raschung für den alten Jens werden.

Ja, schweigen kann ich! sagte sie. Und das wird herrlich! Halte du nun
aber auch deinen kleinen Mund, daß er nicht aus der Schule schwatzt.

Nun, davor brauchte ihr nicht bange zu sein. Tippe kniff den Mund fest
zusammen und nickte mehrmals zum Zeichen, daß der Vertrag zwischen ihnen
geschlossen sei. Und denn ging er mit einer so geheimnisvollen Miene von


Gevatter Tod.

sehnte wie Tippe, und es gehörte die ganze Standhaftigkeit des kleinen Burschen
dazu, um das große freudige Geheimnis, das er mit sich herum trug, nicht zu
verraten. Alle die andern Kinder sollten nur einen Tannenbaum erhalten, Tippe
dagegen wollte selber einen aufputzen und verschenken, und das war doch un¬
endlich viel schöner!

Er hatte nun noch ein zweites Geheimnis, aber das hatte er nicht für
sich allein; die Mutter des kleinen Knaben, die Frau des Schulmeisters, wußte
darum, und das war folgendermaßen zugegangen.

Willst du am Weihnachtsabend zu uns kommen und mit meinem kleinen
Jungen spielen, Tippe? hatte ihn die Frau des Schulmeisters gefragt, als sie
ihm eines Tages auf der Straße begegnet war.

Wer soll denn aber mit dem alten Jens spielen? hatte Tippe erwiedert und
sie dabei mit seinen großen Augen fragend angeschaut. Es lag fast ein Vor-
wurf darin.

Ja, aber mein kleiner Junge bekommt einen Tannenbaum! hatte die Mutter
des Knaben entgegnet. Und dann hättet ihr beide euch zusammen darüber freuen
können. Was meinst du dazu, Tippe?

Ja darauf hatte Tippe nichts zu antworten gewußt. Er war schweigend
und nachdenklich seiner Wege gegangen. Denn im vorigen Jahre hatte er auch
einen Tannenbaum gehabt — da hatte er ja auch noch eine Mutter gehabt —,
und er konnte sich noch sehr wohl besinnen, wie herrlich das gewesen war.

Nun, Tippe? fragte die Mutter des Knaben, als sie ihm das nächste mal
begegnete. Kommst du zu Weihnachten zu uns?

Nein! antwortete Tippe und sah sehr bestimmt dazu aus. Denn der alte
Jens soll auch einen Tannenbaum haben.

Wirklich? fragte die Mutter des Knaben. Und wer will ihm denn den
schenken?

Das will ich thun! antwortete Tippe, und sah dabei aus, als wenn er
sich nicht wenig fühlte. Und der soll so schön werden! Und er soll sich so sehr
darüber freuen! fügte er eifrig hinzu, als die Mutter des Knaben ihn lächelnd
ansah. Dieser Beschreibung konnte sie nicht widerstehen — er hatte es ihr
damit angethan.

Kann ich nicht auch dabei sein? bat sie.

Tippe überlegte einen Augenblick, dann erwiederte er sehr von oben herab:
Ja, meinetwegen, das heißt, wenn du schweigen kannst. Denn es muß eine Über¬
raschung für den alten Jens werden.

Ja, schweigen kann ich! sagte sie. Und das wird herrlich! Halte du nun
aber auch deinen kleinen Mund, daß er nicht aus der Schule schwatzt.

Nun, davor brauchte ihr nicht bange zu sein. Tippe kniff den Mund fest
zusammen und nickte mehrmals zum Zeichen, daß der Vertrag zwischen ihnen
geschlossen sei. Und denn ging er mit einer so geheimnisvollen Miene von


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[0605] Gevatter Tod. sehnte wie Tippe, und es gehörte die ganze Standhaftigkeit des kleinen Burschen dazu, um das große freudige Geheimnis, das er mit sich herum trug, nicht zu verraten. Alle die andern Kinder sollten nur einen Tannenbaum erhalten, Tippe dagegen wollte selber einen aufputzen und verschenken, und das war doch un¬ endlich viel schöner! Er hatte nun noch ein zweites Geheimnis, aber das hatte er nicht für sich allein; die Mutter des kleinen Knaben, die Frau des Schulmeisters, wußte darum, und das war folgendermaßen zugegangen. Willst du am Weihnachtsabend zu uns kommen und mit meinem kleinen Jungen spielen, Tippe? hatte ihn die Frau des Schulmeisters gefragt, als sie ihm eines Tages auf der Straße begegnet war. Wer soll denn aber mit dem alten Jens spielen? hatte Tippe erwiedert und sie dabei mit seinen großen Augen fragend angeschaut. Es lag fast ein Vor- wurf darin. Ja, aber mein kleiner Junge bekommt einen Tannenbaum! hatte die Mutter des Knaben entgegnet. Und dann hättet ihr beide euch zusammen darüber freuen können. Was meinst du dazu, Tippe? Ja darauf hatte Tippe nichts zu antworten gewußt. Er war schweigend und nachdenklich seiner Wege gegangen. Denn im vorigen Jahre hatte er auch einen Tannenbaum gehabt — da hatte er ja auch noch eine Mutter gehabt —, und er konnte sich noch sehr wohl besinnen, wie herrlich das gewesen war. Nun, Tippe? fragte die Mutter des Knaben, als sie ihm das nächste mal begegnete. Kommst du zu Weihnachten zu uns? Nein! antwortete Tippe und sah sehr bestimmt dazu aus. Denn der alte Jens soll auch einen Tannenbaum haben. Wirklich? fragte die Mutter des Knaben. Und wer will ihm denn den schenken? Das will ich thun! antwortete Tippe, und sah dabei aus, als wenn er sich nicht wenig fühlte. Und der soll so schön werden! Und er soll sich so sehr darüber freuen! fügte er eifrig hinzu, als die Mutter des Knaben ihn lächelnd ansah. Dieser Beschreibung konnte sie nicht widerstehen — er hatte es ihr damit angethan. Kann ich nicht auch dabei sein? bat sie. Tippe überlegte einen Augenblick, dann erwiederte er sehr von oben herab: Ja, meinetwegen, das heißt, wenn du schweigen kannst. Denn es muß eine Über¬ raschung für den alten Jens werden. Ja, schweigen kann ich! sagte sie. Und das wird herrlich! Halte du nun aber auch deinen kleinen Mund, daß er nicht aus der Schule schwatzt. Nun, davor brauchte ihr nicht bange zu sein. Tippe kniff den Mund fest zusammen und nickte mehrmals zum Zeichen, daß der Vertrag zwischen ihnen geschlossen sei. Und denn ging er mit einer so geheimnisvollen Miene von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/605>, abgerufen am 22.07.2024.