Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auflösung des alten Reiches.

zerfetzten, zerstückelten, verstümmelten, getretenen dentschen Reiche den Gnaden¬
stoß zu geben und seinen treu ergebenen deutschen Vasallenfürsten, die er so
reich mit Ländern und Würden für ihre an Deutschland verrichteten Henkers¬
dienste belohnt hatte, zu zeigen, daß ihre frisch errungenen Kronen doch
eigentlich nur von Goldpapier waren, ihnen fühlbar zu machen, daß sie
zwar die leichte, eigentlich nur dem Namen nach bestehende Oberhoheit des
deutscheu Kaisers abgeschüttelt hätten, daß sie aber dafür sich gebeugt hätten
unter das Joch eines Eroberers, der mit eiserner Rute die waffenfähige Jugend
ihrer Länder fast Jahr für Jahr von Krieg zu Krieg, von Schlachtfeld zu
Schlachtfeld trieb.

Napoleon hatte die Stiftung des Rheinbundes beschlossen, der ganz und
gar von ihm abhängig sein, und dessen militärische Kräfte jederzeit unbedingt
zu seiner Verfügung stehen sollten. Damit aber die Maschine, welche Geld und
Soldaten für seinen unersättlichen Ehrgeiz schaffen sollte, auch richtig arbeitete,
war es notwendig, daß ihr Getriebe vereinfacht wurde. Dem stand aber die
allzugroße Zersplitterung des Teiles von Deutschland, der unter seiner Bot¬
mäßigkeit stand, im Wege. Mit einer so großen Anzahl von Fürsten, Grafen
und Herren ließ sich nicht arbeiten. Ihre Anzahl mußte daher möglichst ver¬
ringert werden; was bei der großen "Heimramschung" von 1802 und 1303
vergessen war, konnte jetzt nachgeholt werden.

Zu "sälularisireu" gab es zwar nicht vielmehr, denn der einzige geistliche
Fürst, der außer den Ritterorden das Jahr des Ncichsdeputationshauptschlusses
überdauert hatte, der Kurerzkanzler, sollte nach Napoleons Plane erhalten bleiben.
Aber zu einer frischen, fröhlichen "Mediatisirung" war der Zeitpunkt offenbar
höchst geeignet. Wozu gab es noch so viele kleine Reichsfürsten? Wozu waren
die Grafenbänke da? Wozu gar die Nitterknricn? Die "Auöschlachtung"
dieser Territorien war für die mächtigeren Mitstünde jener dem Untergange
bestimmten reichsunmittelbaren Herren offenbar ein recht gewinnbringendes
Geschäft. Die Meute war bereit, die Hetze konnte beginnen, sobald der große
Oberjägermeister in Paris nur das Zeichen gab. Daß es für diese ungeheure
Beraubung von Reichsständen durch ihre Mitstände, eine Beraubung und Ge¬
waltthat, dergleichen in den Annalen der Weltgeschichte nicht zu finden ist, auch
noch nicht einmal den Vorwand eines wirklichen Rechtes gab, das machte dem
Kaiser der Franzosen ebensowenig Bedenken wie seinen deutscheu Vasallenfürsten.
Napoleon war es ja schon lange gewohnt, Gewalt an die Stelle von Recht
zu setzen, sich nur von der rohesten politischen Selbstsucht leiten zu lassen; jene
Fürsten und nicht am wenigsten ihre Minister waren von dem "gott- und rechtlose"
Souveränitätsschwindel" (um einen Ausdruck Bismarcks anzuwenden), von ihrer
unersättlichen Ländergier derartig bethört und verblendet, daß sie alles Gefühl
nicht nur für die nationale, sondern auch für ihre eigne fürstliche Ehre, jegliche
Achtung für fremdes, wenn auch noch so wohlerworbenes Recht verloren hatten.


Die Auflösung des alten Reiches.

zerfetzten, zerstückelten, verstümmelten, getretenen dentschen Reiche den Gnaden¬
stoß zu geben und seinen treu ergebenen deutschen Vasallenfürsten, die er so
reich mit Ländern und Würden für ihre an Deutschland verrichteten Henkers¬
dienste belohnt hatte, zu zeigen, daß ihre frisch errungenen Kronen doch
eigentlich nur von Goldpapier waren, ihnen fühlbar zu machen, daß sie
zwar die leichte, eigentlich nur dem Namen nach bestehende Oberhoheit des
deutscheu Kaisers abgeschüttelt hätten, daß sie aber dafür sich gebeugt hätten
unter das Joch eines Eroberers, der mit eiserner Rute die waffenfähige Jugend
ihrer Länder fast Jahr für Jahr von Krieg zu Krieg, von Schlachtfeld zu
Schlachtfeld trieb.

Napoleon hatte die Stiftung des Rheinbundes beschlossen, der ganz und
gar von ihm abhängig sein, und dessen militärische Kräfte jederzeit unbedingt
zu seiner Verfügung stehen sollten. Damit aber die Maschine, welche Geld und
Soldaten für seinen unersättlichen Ehrgeiz schaffen sollte, auch richtig arbeitete,
war es notwendig, daß ihr Getriebe vereinfacht wurde. Dem stand aber die
allzugroße Zersplitterung des Teiles von Deutschland, der unter seiner Bot¬
mäßigkeit stand, im Wege. Mit einer so großen Anzahl von Fürsten, Grafen
und Herren ließ sich nicht arbeiten. Ihre Anzahl mußte daher möglichst ver¬
ringert werden; was bei der großen „Heimramschung" von 1802 und 1303
vergessen war, konnte jetzt nachgeholt werden.

Zu „sälularisireu" gab es zwar nicht vielmehr, denn der einzige geistliche
Fürst, der außer den Ritterorden das Jahr des Ncichsdeputationshauptschlusses
überdauert hatte, der Kurerzkanzler, sollte nach Napoleons Plane erhalten bleiben.
Aber zu einer frischen, fröhlichen „Mediatisirung" war der Zeitpunkt offenbar
höchst geeignet. Wozu gab es noch so viele kleine Reichsfürsten? Wozu waren
die Grafenbänke da? Wozu gar die Nitterknricn? Die „Auöschlachtung"
dieser Territorien war für die mächtigeren Mitstünde jener dem Untergange
bestimmten reichsunmittelbaren Herren offenbar ein recht gewinnbringendes
Geschäft. Die Meute war bereit, die Hetze konnte beginnen, sobald der große
Oberjägermeister in Paris nur das Zeichen gab. Daß es für diese ungeheure
Beraubung von Reichsständen durch ihre Mitstände, eine Beraubung und Ge¬
waltthat, dergleichen in den Annalen der Weltgeschichte nicht zu finden ist, auch
noch nicht einmal den Vorwand eines wirklichen Rechtes gab, das machte dem
Kaiser der Franzosen ebensowenig Bedenken wie seinen deutscheu Vasallenfürsten.
Napoleon war es ja schon lange gewohnt, Gewalt an die Stelle von Recht
zu setzen, sich nur von der rohesten politischen Selbstsucht leiten zu lassen; jene
Fürsten und nicht am wenigsten ihre Minister waren von dem „gott- und rechtlose»
Souveränitätsschwindel" (um einen Ausdruck Bismarcks anzuwenden), von ihrer
unersättlichen Ländergier derartig bethört und verblendet, daß sie alles Gefühl
nicht nur für die nationale, sondern auch für ihre eigne fürstliche Ehre, jegliche
Achtung für fremdes, wenn auch noch so wohlerworbenes Recht verloren hatten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202015"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Auflösung des alten Reiches.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1652" prev="#ID_1651"> zerfetzten, zerstückelten, verstümmelten, getretenen dentschen Reiche den Gnaden¬<lb/>
stoß zu geben und seinen treu ergebenen deutschen Vasallenfürsten, die er so<lb/>
reich mit Ländern und Würden für ihre an Deutschland verrichteten Henkers¬<lb/>
dienste belohnt hatte, zu zeigen, daß ihre frisch errungenen Kronen doch<lb/>
eigentlich nur von Goldpapier waren, ihnen fühlbar zu machen, daß sie<lb/>
zwar die leichte, eigentlich nur dem Namen nach bestehende Oberhoheit des<lb/>
deutscheu Kaisers abgeschüttelt hätten, daß sie aber dafür sich gebeugt hätten<lb/>
unter das Joch eines Eroberers, der mit eiserner Rute die waffenfähige Jugend<lb/>
ihrer Länder fast Jahr für Jahr von Krieg zu Krieg, von Schlachtfeld zu<lb/>
Schlachtfeld trieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1653"> Napoleon hatte die Stiftung des Rheinbundes beschlossen, der ganz und<lb/>
gar von ihm abhängig sein, und dessen militärische Kräfte jederzeit unbedingt<lb/>
zu seiner Verfügung stehen sollten. Damit aber die Maschine, welche Geld und<lb/>
Soldaten für seinen unersättlichen Ehrgeiz schaffen sollte, auch richtig arbeitete,<lb/>
war es notwendig, daß ihr Getriebe vereinfacht wurde. Dem stand aber die<lb/>
allzugroße Zersplitterung des Teiles von Deutschland, der unter seiner Bot¬<lb/>
mäßigkeit stand, im Wege. Mit einer so großen Anzahl von Fürsten, Grafen<lb/>
und Herren ließ sich nicht arbeiten. Ihre Anzahl mußte daher möglichst ver¬<lb/>
ringert werden; was bei der großen &#x201E;Heimramschung" von 1802 und 1303<lb/>
vergessen war, konnte jetzt nachgeholt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1654"> Zu &#x201E;sälularisireu" gab es zwar nicht vielmehr, denn der einzige geistliche<lb/>
Fürst, der außer den Ritterorden das Jahr des Ncichsdeputationshauptschlusses<lb/>
überdauert hatte, der Kurerzkanzler, sollte nach Napoleons Plane erhalten bleiben.<lb/>
Aber zu einer frischen, fröhlichen &#x201E;Mediatisirung" war der Zeitpunkt offenbar<lb/>
höchst geeignet. Wozu gab es noch so viele kleine Reichsfürsten? Wozu waren<lb/>
die Grafenbänke da? Wozu gar die Nitterknricn? Die &#x201E;Auöschlachtung"<lb/>
dieser Territorien war für die mächtigeren Mitstünde jener dem Untergange<lb/>
bestimmten reichsunmittelbaren Herren offenbar ein recht gewinnbringendes<lb/>
Geschäft. Die Meute war bereit, die Hetze konnte beginnen, sobald der große<lb/>
Oberjägermeister in Paris nur das Zeichen gab. Daß es für diese ungeheure<lb/>
Beraubung von Reichsständen durch ihre Mitstände, eine Beraubung und Ge¬<lb/>
waltthat, dergleichen in den Annalen der Weltgeschichte nicht zu finden ist, auch<lb/>
noch nicht einmal den Vorwand eines wirklichen Rechtes gab, das machte dem<lb/>
Kaiser der Franzosen ebensowenig Bedenken wie seinen deutscheu Vasallenfürsten.<lb/>
Napoleon war es ja schon lange gewohnt, Gewalt an die Stelle von Recht<lb/>
zu setzen, sich nur von der rohesten politischen Selbstsucht leiten zu lassen; jene<lb/>
Fürsten und nicht am wenigsten ihre Minister waren von dem &#x201E;gott- und rechtlose»<lb/>
Souveränitätsschwindel" (um einen Ausdruck Bismarcks anzuwenden), von ihrer<lb/>
unersättlichen Ländergier derartig bethört und verblendet, daß sie alles Gefühl<lb/>
nicht nur für die nationale, sondern auch für ihre eigne fürstliche Ehre, jegliche<lb/>
Achtung für fremdes, wenn auch noch so wohlerworbenes Recht verloren hatten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0586] Die Auflösung des alten Reiches. zerfetzten, zerstückelten, verstümmelten, getretenen dentschen Reiche den Gnaden¬ stoß zu geben und seinen treu ergebenen deutschen Vasallenfürsten, die er so reich mit Ländern und Würden für ihre an Deutschland verrichteten Henkers¬ dienste belohnt hatte, zu zeigen, daß ihre frisch errungenen Kronen doch eigentlich nur von Goldpapier waren, ihnen fühlbar zu machen, daß sie zwar die leichte, eigentlich nur dem Namen nach bestehende Oberhoheit des deutscheu Kaisers abgeschüttelt hätten, daß sie aber dafür sich gebeugt hätten unter das Joch eines Eroberers, der mit eiserner Rute die waffenfähige Jugend ihrer Länder fast Jahr für Jahr von Krieg zu Krieg, von Schlachtfeld zu Schlachtfeld trieb. Napoleon hatte die Stiftung des Rheinbundes beschlossen, der ganz und gar von ihm abhängig sein, und dessen militärische Kräfte jederzeit unbedingt zu seiner Verfügung stehen sollten. Damit aber die Maschine, welche Geld und Soldaten für seinen unersättlichen Ehrgeiz schaffen sollte, auch richtig arbeitete, war es notwendig, daß ihr Getriebe vereinfacht wurde. Dem stand aber die allzugroße Zersplitterung des Teiles von Deutschland, der unter seiner Bot¬ mäßigkeit stand, im Wege. Mit einer so großen Anzahl von Fürsten, Grafen und Herren ließ sich nicht arbeiten. Ihre Anzahl mußte daher möglichst ver¬ ringert werden; was bei der großen „Heimramschung" von 1802 und 1303 vergessen war, konnte jetzt nachgeholt werden. Zu „sälularisireu" gab es zwar nicht vielmehr, denn der einzige geistliche Fürst, der außer den Ritterorden das Jahr des Ncichsdeputationshauptschlusses überdauert hatte, der Kurerzkanzler, sollte nach Napoleons Plane erhalten bleiben. Aber zu einer frischen, fröhlichen „Mediatisirung" war der Zeitpunkt offenbar höchst geeignet. Wozu gab es noch so viele kleine Reichsfürsten? Wozu waren die Grafenbänke da? Wozu gar die Nitterknricn? Die „Auöschlachtung" dieser Territorien war für die mächtigeren Mitstünde jener dem Untergange bestimmten reichsunmittelbaren Herren offenbar ein recht gewinnbringendes Geschäft. Die Meute war bereit, die Hetze konnte beginnen, sobald der große Oberjägermeister in Paris nur das Zeichen gab. Daß es für diese ungeheure Beraubung von Reichsständen durch ihre Mitstände, eine Beraubung und Ge¬ waltthat, dergleichen in den Annalen der Weltgeschichte nicht zu finden ist, auch noch nicht einmal den Vorwand eines wirklichen Rechtes gab, das machte dem Kaiser der Franzosen ebensowenig Bedenken wie seinen deutscheu Vasallenfürsten. Napoleon war es ja schon lange gewohnt, Gewalt an die Stelle von Recht zu setzen, sich nur von der rohesten politischen Selbstsucht leiten zu lassen; jene Fürsten und nicht am wenigsten ihre Minister waren von dem „gott- und rechtlose» Souveränitätsschwindel" (um einen Ausdruck Bismarcks anzuwenden), von ihrer unersättlichen Ländergier derartig bethört und verblendet, daß sie alles Gefühl nicht nur für die nationale, sondern auch für ihre eigne fürstliche Ehre, jegliche Achtung für fremdes, wenn auch noch so wohlerworbenes Recht verloren hatten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/586
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/586>, abgerufen am 22.07.2024.