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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gine Fahrt in den Grient.

kurrenten zu bestehen, welche sich des Schmuggels bedienen. Dazu kommt, daß die
Silbermünzen im Kurs schwanken und täglich ihren Wert verändern. Was durch
Kursdifferenzen und Wcchslerkniffe verloren geht, ist enorm, und auch wir können
ein Lied davon singen. Jedesmal wenn man mit türkischem Geld bezahlt und selbst
bloß auf die Münze eines Medschidje, d. h. etwa 4,30 Franken, etwas herausverlangt,
kaun man immer auf einen Verlust von zwanzig bis dreißig Pfennigen rechnen.

Ich habe bei dieser kurzen Skizze weder von den Staatsfinanzen und der
schwebenden Schuld, noch von der Ausnahmestellung der christlichen Unterthanen
der Pforte und der christlichen Bewohner Konstantinopels gesprochen, die, teils
Unterthanen europäischer Staate", teils Schutzgenossen derselben, weder dem
türkischen Reiche noch dem Schutzstaate zollen und steuern, sondern lediglich die
Plage der Konsulate bilden. Das würde mich zu weit führen, und die Nacht
ist bereits vorgerückt. Ich berühre auch nicht die Polygamie und ihre unheil¬
vollen Folgen in physischer und sittlicher Beziehung, obwohl die erstere viel
häufiger ist, als man die Europäer glauben macht. Ich könnte hier nur Be¬
kanntes wiederholen.

Mehr als je stehen jetzt wieder die Reformen im Vordergrunde, deren
Notwendigkeit nicht mehr abzuleugnen ist. Aber von vornherein wird es klar
sein, wo ihre Grenze liegt. Eine Umgestaltung der Türkei zu einem europäischen
Staate erscheint mir gänzlich ausgeschlossen. Dennoch können die schreiendsten
Mißstände der Verwaltung beseitigt werden, wenn nicht bloß der gute Wille
des gegenwärtigen Sultans ausdauert, sondern auch von Thatkraft begleitet ist.
Ein neues Beamtentum läßt sich nicht in einem Menschenalter schaffen, aber
durch eine strenge Kontrole der Ausgaben, durch eine scharfe Aufsicht lassen
sich wenigstens Unterschleife, Bestechungen und Bedrückungen auf ein niedrigeres
Maß herabsetzen, und schon wenn dieses erreicht wird, darf Abdul Hamid
auf die Dankbarkeit seiner Nation rechnen. Dabei können vielleicht schon einzelne
Grundlagen für die Zukunft gewonnen und Einrichtungen getroffen werden,
welche erst von spätern Geschlechtern genossen werden können. Ein neues Leben
kann aber erst aus den Ruinen, d. h. aus dem völlige" Untergange des Islam,
erblühen; dieser hat aber noch nichts von seiner alten Kraft verloren. Statistiker
weisen nach, daß die Türken in Europa und Kleinasten an Zahl fortwährend
abnehmen; macht dieser Rückgang weitere Fortschritte, dann löst sich die orien¬
talische Frage dereinst von selbst.

Uns aber war die Lösung von dem goldnen Horn viel früher beschieden.
Unsre Zeit war abgelaufen, die uns in dieser fremden Welt zu weilen bestimmt
war. Noch einmal bestiegen wir eine Barke und ließen uns die Ufer von
Stambul und Pera-Tovhane entlang führen, dann gingen wir in das Bureau
der Mesfagerie nach Stambul und lösten uns für den ägyptischen Dampfer
Billete. Noch einmal sahen wir uns das Gewühl der Brücke und in den
Straßen von Peru an; dann wurde von den alten und neuen Freunden Abschied


Gine Fahrt in den Grient.

kurrenten zu bestehen, welche sich des Schmuggels bedienen. Dazu kommt, daß die
Silbermünzen im Kurs schwanken und täglich ihren Wert verändern. Was durch
Kursdifferenzen und Wcchslerkniffe verloren geht, ist enorm, und auch wir können
ein Lied davon singen. Jedesmal wenn man mit türkischem Geld bezahlt und selbst
bloß auf die Münze eines Medschidje, d. h. etwa 4,30 Franken, etwas herausverlangt,
kaun man immer auf einen Verlust von zwanzig bis dreißig Pfennigen rechnen.

Ich habe bei dieser kurzen Skizze weder von den Staatsfinanzen und der
schwebenden Schuld, noch von der Ausnahmestellung der christlichen Unterthanen
der Pforte und der christlichen Bewohner Konstantinopels gesprochen, die, teils
Unterthanen europäischer Staate», teils Schutzgenossen derselben, weder dem
türkischen Reiche noch dem Schutzstaate zollen und steuern, sondern lediglich die
Plage der Konsulate bilden. Das würde mich zu weit führen, und die Nacht
ist bereits vorgerückt. Ich berühre auch nicht die Polygamie und ihre unheil¬
vollen Folgen in physischer und sittlicher Beziehung, obwohl die erstere viel
häufiger ist, als man die Europäer glauben macht. Ich könnte hier nur Be¬
kanntes wiederholen.

Mehr als je stehen jetzt wieder die Reformen im Vordergrunde, deren
Notwendigkeit nicht mehr abzuleugnen ist. Aber von vornherein wird es klar
sein, wo ihre Grenze liegt. Eine Umgestaltung der Türkei zu einem europäischen
Staate erscheint mir gänzlich ausgeschlossen. Dennoch können die schreiendsten
Mißstände der Verwaltung beseitigt werden, wenn nicht bloß der gute Wille
des gegenwärtigen Sultans ausdauert, sondern auch von Thatkraft begleitet ist.
Ein neues Beamtentum läßt sich nicht in einem Menschenalter schaffen, aber
durch eine strenge Kontrole der Ausgaben, durch eine scharfe Aufsicht lassen
sich wenigstens Unterschleife, Bestechungen und Bedrückungen auf ein niedrigeres
Maß herabsetzen, und schon wenn dieses erreicht wird, darf Abdul Hamid
auf die Dankbarkeit seiner Nation rechnen. Dabei können vielleicht schon einzelne
Grundlagen für die Zukunft gewonnen und Einrichtungen getroffen werden,
welche erst von spätern Geschlechtern genossen werden können. Ein neues Leben
kann aber erst aus den Ruinen, d. h. aus dem völlige« Untergange des Islam,
erblühen; dieser hat aber noch nichts von seiner alten Kraft verloren. Statistiker
weisen nach, daß die Türken in Europa und Kleinasten an Zahl fortwährend
abnehmen; macht dieser Rückgang weitere Fortschritte, dann löst sich die orien¬
talische Frage dereinst von selbst.

Uns aber war die Lösung von dem goldnen Horn viel früher beschieden.
Unsre Zeit war abgelaufen, die uns in dieser fremden Welt zu weilen bestimmt
war. Noch einmal bestiegen wir eine Barke und ließen uns die Ufer von
Stambul und Pera-Tovhane entlang führen, dann gingen wir in das Bureau
der Mesfagerie nach Stambul und lösten uns für den ägyptischen Dampfer
Billete. Noch einmal sahen wir uns das Gewühl der Brücke und in den
Straßen von Peru an; dann wurde von den alten und neuen Freunden Abschied


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/544>, abgerufen am 22.07.2024.