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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

namentlich in Bezug auf die polnische Frage; anderseits aber mußte man jeden
Augenblick befürchten, daß der damals allmächtige österreichische Minister Thugut
Preußen zuvorkäme mit dem Abschlüsse eines Sonderfriedens. Daß ihm dieses
nicht gelang, sondern daß Preußen eher das im kleinen that, was die kaiserliche
Regierung bereits in viel großartigerem Maßstabe geplant hatte, das war gerade
der Grund, worüber die Hofburg und alles, was ihr im Reiche anverwandt
und zugethan war, auf Preußen und seine Politik eine solche Masse von
Schmähungen und Verdächtigungen häufte, daß bis auf den heutigen Tag die
historische Wahrheit sich aus diesem Wüste von Verdrehungen und Lügen nicht
bis zur allgemeinen Anerkennung hat emporarbeiten können.

Wie der Kaiser, der doch nach seinem Krönungseide "allezeit Mehrer des
Reiches," Mrnxsr ^nAnstns, sein sollte, es in Wirklichkeit mit der Erhaltung
des Reiches meinte, das beweisen schlagend die nur zwei Jahre später abge¬
schlossenen Friedenspräliminarien von Leoben und die geheimen Artikel des
Friedens von Campo-Formio. Wenn auch die geheimen Verhandlungen, welche
fortwährend zwischen dem österreichischen und dem russischen Hofe schwebten und
keinen andern Zweck hatten, als Preußen niederzuhalten und ihm keinerlei Ver¬
größerung und Entschädigung für seine Opfer an Gut und Blut zu gewähren,
nicht bekannt geworden wären; wenn auch die Beziehungen, die der Minister
des Kaisers, Thugut, dessen Namen der Wiener Volkswitz in "Thunichtgut"
umgewandelt hatte, mit den Machthabern Frankreichs, besonders mit Robes-
pierre, unterhielt, und die uur auf einen für Österreich vorteilhaften Sonder¬
frieden abzielten, sich vielleicht ableugnen ließen, so zeigen doch die Bedingungen
von Campo-Formio unwiderleglich, daß der Kaiser ganz ohne Bedenken bereit
war, das Reich und die Interessen desselben preiszugeben, wenn nur seine
Ländergier durch Vergrößerung seiner Erdtaube befriedigt wurde, und wenn --
Preußen geschädigt wurde.

In den Präliminarien von Leoben war zwar noch in heuchlerischer Weise
ausgesprochen, daß der Kaiser einen Frieden "nur auf Grund der Integrität
des Reiches" abschließen könne, und seine Gesandten mußten hervorheben, wie
der Kaiser durch seinen Krönungseid sich im Gewissen gebunden fühle und daher
in einen andern Frieden nicht willigen könne. Wie aber die Bedingungen dieser
Präliminarien ausgeführt werden sollten, und dabei doch zugleich die Integrität
des Reiches gewahrt blieb, das zu begreifen, bedürfte es des Scharfsinnes der
österreichischen Staatsmänner.

Bei dem Friedensschlüsse zu Campo-Formio, der den ersten Koalitions¬
krieg auch zu einem formellen Abschlüsse brachte, und der die Präliminarien von
Leoben bedeutend veränderte, hielt es Österreich nicht mehr für der Mühe wert,
jene Maske vorzunehmen, und von der "Integrität des Reiches" ist einfach
keine Rede mehr. Die öffentlichen Bedingungen erhalten zwar nur die Ab¬
tretung der belgischen Provinzen Österreichs an Frankreich, deren Zusammen-


Die Auflösung des alten Reiches.

namentlich in Bezug auf die polnische Frage; anderseits aber mußte man jeden
Augenblick befürchten, daß der damals allmächtige österreichische Minister Thugut
Preußen zuvorkäme mit dem Abschlüsse eines Sonderfriedens. Daß ihm dieses
nicht gelang, sondern daß Preußen eher das im kleinen that, was die kaiserliche
Regierung bereits in viel großartigerem Maßstabe geplant hatte, das war gerade
der Grund, worüber die Hofburg und alles, was ihr im Reiche anverwandt
und zugethan war, auf Preußen und seine Politik eine solche Masse von
Schmähungen und Verdächtigungen häufte, daß bis auf den heutigen Tag die
historische Wahrheit sich aus diesem Wüste von Verdrehungen und Lügen nicht
bis zur allgemeinen Anerkennung hat emporarbeiten können.

Wie der Kaiser, der doch nach seinem Krönungseide „allezeit Mehrer des
Reiches," Mrnxsr ^nAnstns, sein sollte, es in Wirklichkeit mit der Erhaltung
des Reiches meinte, das beweisen schlagend die nur zwei Jahre später abge¬
schlossenen Friedenspräliminarien von Leoben und die geheimen Artikel des
Friedens von Campo-Formio. Wenn auch die geheimen Verhandlungen, welche
fortwährend zwischen dem österreichischen und dem russischen Hofe schwebten und
keinen andern Zweck hatten, als Preußen niederzuhalten und ihm keinerlei Ver¬
größerung und Entschädigung für seine Opfer an Gut und Blut zu gewähren,
nicht bekannt geworden wären; wenn auch die Beziehungen, die der Minister
des Kaisers, Thugut, dessen Namen der Wiener Volkswitz in „Thunichtgut"
umgewandelt hatte, mit den Machthabern Frankreichs, besonders mit Robes-
pierre, unterhielt, und die uur auf einen für Österreich vorteilhaften Sonder¬
frieden abzielten, sich vielleicht ableugnen ließen, so zeigen doch die Bedingungen
von Campo-Formio unwiderleglich, daß der Kaiser ganz ohne Bedenken bereit
war, das Reich und die Interessen desselben preiszugeben, wenn nur seine
Ländergier durch Vergrößerung seiner Erdtaube befriedigt wurde, und wenn —
Preußen geschädigt wurde.

In den Präliminarien von Leoben war zwar noch in heuchlerischer Weise
ausgesprochen, daß der Kaiser einen Frieden „nur auf Grund der Integrität
des Reiches" abschließen könne, und seine Gesandten mußten hervorheben, wie
der Kaiser durch seinen Krönungseid sich im Gewissen gebunden fühle und daher
in einen andern Frieden nicht willigen könne. Wie aber die Bedingungen dieser
Präliminarien ausgeführt werden sollten, und dabei doch zugleich die Integrität
des Reiches gewahrt blieb, das zu begreifen, bedürfte es des Scharfsinnes der
österreichischen Staatsmänner.

Bei dem Friedensschlüsse zu Campo-Formio, der den ersten Koalitions¬
krieg auch zu einem formellen Abschlüsse brachte, und der die Präliminarien von
Leoben bedeutend veränderte, hielt es Österreich nicht mehr für der Mühe wert,
jene Maske vorzunehmen, und von der „Integrität des Reiches" ist einfach
keine Rede mehr. Die öffentlichen Bedingungen erhalten zwar nur die Ab¬
tretung der belgischen Provinzen Österreichs an Frankreich, deren Zusammen-


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[0519] Die Auflösung des alten Reiches. namentlich in Bezug auf die polnische Frage; anderseits aber mußte man jeden Augenblick befürchten, daß der damals allmächtige österreichische Minister Thugut Preußen zuvorkäme mit dem Abschlüsse eines Sonderfriedens. Daß ihm dieses nicht gelang, sondern daß Preußen eher das im kleinen that, was die kaiserliche Regierung bereits in viel großartigerem Maßstabe geplant hatte, das war gerade der Grund, worüber die Hofburg und alles, was ihr im Reiche anverwandt und zugethan war, auf Preußen und seine Politik eine solche Masse von Schmähungen und Verdächtigungen häufte, daß bis auf den heutigen Tag die historische Wahrheit sich aus diesem Wüste von Verdrehungen und Lügen nicht bis zur allgemeinen Anerkennung hat emporarbeiten können. Wie der Kaiser, der doch nach seinem Krönungseide „allezeit Mehrer des Reiches," Mrnxsr ^nAnstns, sein sollte, es in Wirklichkeit mit der Erhaltung des Reiches meinte, das beweisen schlagend die nur zwei Jahre später abge¬ schlossenen Friedenspräliminarien von Leoben und die geheimen Artikel des Friedens von Campo-Formio. Wenn auch die geheimen Verhandlungen, welche fortwährend zwischen dem österreichischen und dem russischen Hofe schwebten und keinen andern Zweck hatten, als Preußen niederzuhalten und ihm keinerlei Ver¬ größerung und Entschädigung für seine Opfer an Gut und Blut zu gewähren, nicht bekannt geworden wären; wenn auch die Beziehungen, die der Minister des Kaisers, Thugut, dessen Namen der Wiener Volkswitz in „Thunichtgut" umgewandelt hatte, mit den Machthabern Frankreichs, besonders mit Robes- pierre, unterhielt, und die uur auf einen für Österreich vorteilhaften Sonder¬ frieden abzielten, sich vielleicht ableugnen ließen, so zeigen doch die Bedingungen von Campo-Formio unwiderleglich, daß der Kaiser ganz ohne Bedenken bereit war, das Reich und die Interessen desselben preiszugeben, wenn nur seine Ländergier durch Vergrößerung seiner Erdtaube befriedigt wurde, und wenn — Preußen geschädigt wurde. In den Präliminarien von Leoben war zwar noch in heuchlerischer Weise ausgesprochen, daß der Kaiser einen Frieden „nur auf Grund der Integrität des Reiches" abschließen könne, und seine Gesandten mußten hervorheben, wie der Kaiser durch seinen Krönungseid sich im Gewissen gebunden fühle und daher in einen andern Frieden nicht willigen könne. Wie aber die Bedingungen dieser Präliminarien ausgeführt werden sollten, und dabei doch zugleich die Integrität des Reiches gewahrt blieb, das zu begreifen, bedürfte es des Scharfsinnes der österreichischen Staatsmänner. Bei dem Friedensschlüsse zu Campo-Formio, der den ersten Koalitions¬ krieg auch zu einem formellen Abschlüsse brachte, und der die Präliminarien von Leoben bedeutend veränderte, hielt es Österreich nicht mehr für der Mühe wert, jene Maske vorzunehmen, und von der „Integrität des Reiches" ist einfach keine Rede mehr. Die öffentlichen Bedingungen erhalten zwar nur die Ab¬ tretung der belgischen Provinzen Österreichs an Frankreich, deren Zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/519>, abgerufen am 22.07.2024.