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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

willigung zu diesem Frieden zu geben. Sein Sohn, Friedrich Wilhelm III.,
dem es ja überhaupt schwer wurde, einen kräftigen Entschluß zu fassen, fand
diese Politik der Unthätigkeit vor und führte sie fast zehn Jahre lang weiter,
während doch nur schroffes Durchgreifen gegen jedermann den Staat hätte
retten können. Jene Ruhseligkeit führte den Sturz und die Schande von
Jena herbei.

Daß Preußen durch den Basler Frieden sich von der gemeinsamen Sache
des Reiches lossagte, daß es in den geheimen Artikeln dieses Vertrages in die
Abtretung von Reichsgebiet willigte und sich für etwaigen Verlust zu sichern
suchte, kann nicht geleugnet werden. Ebenso wenig läßt sich in Abrede stellen,
daß die Demarkationslinie der erste gewaltsame Schnitt durch den Neichslörper
war, der ihn in zwei Teile schied, und der niemals wieder heilte, daß also dieser
Friede gewissermaßen schon die Auflösung des Reiches bedeutete.

Aber sollte denn der Staat der Hohenzollern seine ganze Existenz aufs
Spiel setzen zur Aufrechterhaltung des Reiches, das doch unrettbar dem Unter-
gange verfallen war? Sollte Preußen Gut und Blut wagen um habs-
burgischer Hausinteressen willen, sollte es, wie der Affe in der Fabel, die
Kastanien aus dem Feuer holen für Österreich, von dem es nie etwas andres
erfahren hatte als Undank, Anfeindung, Kränkung und Herabsetzung, für die
Erhaltung jener Reichsfürsten, namentlich jener geistlichen Fürsten, die immer
auf Seiten Österreichs, auf Seiten der Feinde Preußens gestanden hatten?
Konnten die Hohenzollern es vergessen, daß es nur die treulose Politik
des Kaisers gewesen war, die den Großen Kurfürsten, den Schirmer des
Reiches gegen die Übergriffe der Franzosen, gezwungen hatte, den schänd¬
lichen Frieden von Se. Germain-en-Laye zu unterzeichnen, die ihn veranlaßte,
die Feder, mit welcher er die Urkunde vollzogen hatte, auf den Boden zu werfen
und zu zertreten mit dem Ausrufe: IZxorig,r6 a1i<M8 nostris ex ossikus ultor!
Wie hatte Österreich dem König Friedrich I. gedankt für die hervorragenden Dienste,
die die herrlichen preußischen Truppen im spanischen Erbfolgekriege geleistet
hatten, dafür, daß bei Höchstädt, Turin und Malplaquet vornehmlich die ehernen
preußischen Bataillone den Ausschlag gegeben hatten? Wodurch war der offen¬
herzige, geradsinnige Friedrich Wilhelm I., der immer und immer wieder den
Kaiser unterstützt hatte, um immer von neuem von ihm getäuscht zu werden,
zu dem bekannten, bittern Ausrufe veranlaßt worden: "Da steht einer, der mich
rächen wird!" Daß Friedrich Wilhelm II. zu den Zeiten des Basler Friedens
eine andre Behandlung von feiten Österreichs zu erwarten hatte, als sie seinen
Vorfahren zu Teil geworden war, wird heutzutage wohl kein unparteiischer
Beurteiler zu behaupten wagen. Denn zwei Umstünde waren es, die am
preußischen Hofe den Ausschlag gaben für die Einwilligung in den Friedens¬
schluß: einerseits war man in Berlin genau unterrichtet über die Ränke, welche
der Wiener und der Petersburger Hof gemeinsam gegen Preußen spannen,


Die Auflösung des alten Reiches.

willigung zu diesem Frieden zu geben. Sein Sohn, Friedrich Wilhelm III.,
dem es ja überhaupt schwer wurde, einen kräftigen Entschluß zu fassen, fand
diese Politik der Unthätigkeit vor und führte sie fast zehn Jahre lang weiter,
während doch nur schroffes Durchgreifen gegen jedermann den Staat hätte
retten können. Jene Ruhseligkeit führte den Sturz und die Schande von
Jena herbei.

Daß Preußen durch den Basler Frieden sich von der gemeinsamen Sache
des Reiches lossagte, daß es in den geheimen Artikeln dieses Vertrages in die
Abtretung von Reichsgebiet willigte und sich für etwaigen Verlust zu sichern
suchte, kann nicht geleugnet werden. Ebenso wenig läßt sich in Abrede stellen,
daß die Demarkationslinie der erste gewaltsame Schnitt durch den Neichslörper
war, der ihn in zwei Teile schied, und der niemals wieder heilte, daß also dieser
Friede gewissermaßen schon die Auflösung des Reiches bedeutete.

Aber sollte denn der Staat der Hohenzollern seine ganze Existenz aufs
Spiel setzen zur Aufrechterhaltung des Reiches, das doch unrettbar dem Unter-
gange verfallen war? Sollte Preußen Gut und Blut wagen um habs-
burgischer Hausinteressen willen, sollte es, wie der Affe in der Fabel, die
Kastanien aus dem Feuer holen für Österreich, von dem es nie etwas andres
erfahren hatte als Undank, Anfeindung, Kränkung und Herabsetzung, für die
Erhaltung jener Reichsfürsten, namentlich jener geistlichen Fürsten, die immer
auf Seiten Österreichs, auf Seiten der Feinde Preußens gestanden hatten?
Konnten die Hohenzollern es vergessen, daß es nur die treulose Politik
des Kaisers gewesen war, die den Großen Kurfürsten, den Schirmer des
Reiches gegen die Übergriffe der Franzosen, gezwungen hatte, den schänd¬
lichen Frieden von Se. Germain-en-Laye zu unterzeichnen, die ihn veranlaßte,
die Feder, mit welcher er die Urkunde vollzogen hatte, auf den Boden zu werfen
und zu zertreten mit dem Ausrufe: IZxorig,r6 a1i<M8 nostris ex ossikus ultor!
Wie hatte Österreich dem König Friedrich I. gedankt für die hervorragenden Dienste,
die die herrlichen preußischen Truppen im spanischen Erbfolgekriege geleistet
hatten, dafür, daß bei Höchstädt, Turin und Malplaquet vornehmlich die ehernen
preußischen Bataillone den Ausschlag gegeben hatten? Wodurch war der offen¬
herzige, geradsinnige Friedrich Wilhelm I., der immer und immer wieder den
Kaiser unterstützt hatte, um immer von neuem von ihm getäuscht zu werden,
zu dem bekannten, bittern Ausrufe veranlaßt worden: „Da steht einer, der mich
rächen wird!" Daß Friedrich Wilhelm II. zu den Zeiten des Basler Friedens
eine andre Behandlung von feiten Österreichs zu erwarten hatte, als sie seinen
Vorfahren zu Teil geworden war, wird heutzutage wohl kein unparteiischer
Beurteiler zu behaupten wagen. Denn zwei Umstünde waren es, die am
preußischen Hofe den Ausschlag gaben für die Einwilligung in den Friedens¬
schluß: einerseits war man in Berlin genau unterrichtet über die Ränke, welche
der Wiener und der Petersburger Hof gemeinsam gegen Preußen spannen,


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[0518] Die Auflösung des alten Reiches. willigung zu diesem Frieden zu geben. Sein Sohn, Friedrich Wilhelm III., dem es ja überhaupt schwer wurde, einen kräftigen Entschluß zu fassen, fand diese Politik der Unthätigkeit vor und führte sie fast zehn Jahre lang weiter, während doch nur schroffes Durchgreifen gegen jedermann den Staat hätte retten können. Jene Ruhseligkeit führte den Sturz und die Schande von Jena herbei. Daß Preußen durch den Basler Frieden sich von der gemeinsamen Sache des Reiches lossagte, daß es in den geheimen Artikeln dieses Vertrages in die Abtretung von Reichsgebiet willigte und sich für etwaigen Verlust zu sichern suchte, kann nicht geleugnet werden. Ebenso wenig läßt sich in Abrede stellen, daß die Demarkationslinie der erste gewaltsame Schnitt durch den Neichslörper war, der ihn in zwei Teile schied, und der niemals wieder heilte, daß also dieser Friede gewissermaßen schon die Auflösung des Reiches bedeutete. Aber sollte denn der Staat der Hohenzollern seine ganze Existenz aufs Spiel setzen zur Aufrechterhaltung des Reiches, das doch unrettbar dem Unter- gange verfallen war? Sollte Preußen Gut und Blut wagen um habs- burgischer Hausinteressen willen, sollte es, wie der Affe in der Fabel, die Kastanien aus dem Feuer holen für Österreich, von dem es nie etwas andres erfahren hatte als Undank, Anfeindung, Kränkung und Herabsetzung, für die Erhaltung jener Reichsfürsten, namentlich jener geistlichen Fürsten, die immer auf Seiten Österreichs, auf Seiten der Feinde Preußens gestanden hatten? Konnten die Hohenzollern es vergessen, daß es nur die treulose Politik des Kaisers gewesen war, die den Großen Kurfürsten, den Schirmer des Reiches gegen die Übergriffe der Franzosen, gezwungen hatte, den schänd¬ lichen Frieden von Se. Germain-en-Laye zu unterzeichnen, die ihn veranlaßte, die Feder, mit welcher er die Urkunde vollzogen hatte, auf den Boden zu werfen und zu zertreten mit dem Ausrufe: IZxorig,r6 a1i<M8 nostris ex ossikus ultor! Wie hatte Österreich dem König Friedrich I. gedankt für die hervorragenden Dienste, die die herrlichen preußischen Truppen im spanischen Erbfolgekriege geleistet hatten, dafür, daß bei Höchstädt, Turin und Malplaquet vornehmlich die ehernen preußischen Bataillone den Ausschlag gegeben hatten? Wodurch war der offen¬ herzige, geradsinnige Friedrich Wilhelm I., der immer und immer wieder den Kaiser unterstützt hatte, um immer von neuem von ihm getäuscht zu werden, zu dem bekannten, bittern Ausrufe veranlaßt worden: „Da steht einer, der mich rächen wird!" Daß Friedrich Wilhelm II. zu den Zeiten des Basler Friedens eine andre Behandlung von feiten Österreichs zu erwarten hatte, als sie seinen Vorfahren zu Teil geworden war, wird heutzutage wohl kein unparteiischer Beurteiler zu behaupten wagen. Denn zwei Umstünde waren es, die am preußischen Hofe den Ausschlag gaben für die Einwilligung in den Friedens¬ schluß: einerseits war man in Berlin genau unterrichtet über die Ränke, welche der Wiener und der Petersburger Hof gemeinsam gegen Preußen spannen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/518>, abgerufen am 22.07.2024.