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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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keinerlei Rücksicht auf das Glaubensbekenntnis genommen wurde, sondern evange¬
lische wie katholische Reichsstände, Sachsen, Hannover, Hessen, Baiern, Mainz und
Trier umfaßte, daß er lediglich auf politischen Erwägungen beruhte. Dieser Um¬
stand ist vielfach nicht genug beachtet worden, und er ist doch höchst wichtig für
die Art, wie Preußen seine geschichtliche Aufgabe in Deutschland erfüllen sollte.

Man kann im allgemeinen wohl das Jahr 1792 als das letzte annehmen,
in welchem des alte Reich in Bezug auf Gebiet und Verfassung noch unversehrt
dastand. Bis zu diesem Jahre hatte sich auch der alte Reichstag vollzählig er¬
halten. Mit der Erklärung des Reichskrieges im Jahre 1793 an die franzö¬
sische Republik nimmt das Hinschwinden des Reiches einen akuten Charakter an.
In diesem Jahre wird das letzte Reichsheer, und zwar in fünffacher Armatur,
aufgeboten. Aber es erntete ebenso wenig Lorberen wie frühere Reichsheere.
Preußen und Osterreich errangen zwar vereinzelte Erfolge, aber im ganzen war
die Kriegführung gelähmt durch die Eifersucht beider Mächte, durch das unver¬
besserliche Mißtrauen Österreichs gegen seinen emporstrebenden Nebenbuhler im
Reiche.

Im Jahre 179S schloß Preußen den Sonderfrieden zu Basel und sagte
sich damit vom Neichskriege los. Sachsen, Hannover und Hessen-Kassel schlössen
sich sofort an, die übrigen Staaten Norddeutschlands wurden durch die Demar¬
kationslinie der Vorteile der Neutralität teilhaftig. Von preußischer und nord¬
deutscher Seite ist damals diese Neutralitätspolitik, welche Hardenberg zu Basel
vertrat, gepriesen worden als der Ausfluß der allerhöchsten politischen Weisheit,
die es verstanden habe, Preußen und den in seinem Machtkreise liegenden
Staaten die Güter des Friedens verschafft und gewahrt zu haben. Von andrer
Seite dagegen, von Österreich und der österreichischen Partei im Reiche, ist
der Basler Friede dargestellt worden als der allerschwärzeste Verrat, begangen
an Kaiser und Reich.

Beiden einander schroff widersprechenden Beurteilungen liegt ein Fünkchen
Wahrheit zu Grunde; aber beide sind im höchsten Grade übertrieben und
parteiisch gefärbt. Daß Preußen, umgeben von offenen Feinden und unzuver¬
lässigen und falschen Freunden, sich schließlich von seinen eignen Interessen be¬
stimmen ließ, kann ihm eine unparteiische Beurteilung nicht verdenken. Hätte
Preußen nur schroff, rücksichtslos und klar nach seinen Interessen gehandelt,
so wie der alte Fritz es zu thun pflegte, dann wäre wohl viel Unheil und viele
Schmach diesem Lande und ganz Deutschland erspart worden. Daß aber jene
mattherzige Neutralität- und Schaukelpolitik, welche von den damals ma߬
gebenden Staatsmännern in Berlin, den Haugwitz, Luchesini, Alvensleben, be¬
liebt wurde, jene Politik, die es mit niemand verderben wollte und es darüber
schließlich mit allen verdarb, den Staat ins Verderben führen mußte, das hätte
einem weitsichtigen Staatsmanne klar sein müssen. Bekannt ist, wie schwer der
ritterliche König Friedrich Wilhelm II. dahin gebracht werden konnte, seine Ein-


keinerlei Rücksicht auf das Glaubensbekenntnis genommen wurde, sondern evange¬
lische wie katholische Reichsstände, Sachsen, Hannover, Hessen, Baiern, Mainz und
Trier umfaßte, daß er lediglich auf politischen Erwägungen beruhte. Dieser Um¬
stand ist vielfach nicht genug beachtet worden, und er ist doch höchst wichtig für
die Art, wie Preußen seine geschichtliche Aufgabe in Deutschland erfüllen sollte.

Man kann im allgemeinen wohl das Jahr 1792 als das letzte annehmen,
in welchem des alte Reich in Bezug auf Gebiet und Verfassung noch unversehrt
dastand. Bis zu diesem Jahre hatte sich auch der alte Reichstag vollzählig er¬
halten. Mit der Erklärung des Reichskrieges im Jahre 1793 an die franzö¬
sische Republik nimmt das Hinschwinden des Reiches einen akuten Charakter an.
In diesem Jahre wird das letzte Reichsheer, und zwar in fünffacher Armatur,
aufgeboten. Aber es erntete ebenso wenig Lorberen wie frühere Reichsheere.
Preußen und Osterreich errangen zwar vereinzelte Erfolge, aber im ganzen war
die Kriegführung gelähmt durch die Eifersucht beider Mächte, durch das unver¬
besserliche Mißtrauen Österreichs gegen seinen emporstrebenden Nebenbuhler im
Reiche.

Im Jahre 179S schloß Preußen den Sonderfrieden zu Basel und sagte
sich damit vom Neichskriege los. Sachsen, Hannover und Hessen-Kassel schlössen
sich sofort an, die übrigen Staaten Norddeutschlands wurden durch die Demar¬
kationslinie der Vorteile der Neutralität teilhaftig. Von preußischer und nord¬
deutscher Seite ist damals diese Neutralitätspolitik, welche Hardenberg zu Basel
vertrat, gepriesen worden als der Ausfluß der allerhöchsten politischen Weisheit,
die es verstanden habe, Preußen und den in seinem Machtkreise liegenden
Staaten die Güter des Friedens verschafft und gewahrt zu haben. Von andrer
Seite dagegen, von Österreich und der österreichischen Partei im Reiche, ist
der Basler Friede dargestellt worden als der allerschwärzeste Verrat, begangen
an Kaiser und Reich.

Beiden einander schroff widersprechenden Beurteilungen liegt ein Fünkchen
Wahrheit zu Grunde; aber beide sind im höchsten Grade übertrieben und
parteiisch gefärbt. Daß Preußen, umgeben von offenen Feinden und unzuver¬
lässigen und falschen Freunden, sich schließlich von seinen eignen Interessen be¬
stimmen ließ, kann ihm eine unparteiische Beurteilung nicht verdenken. Hätte
Preußen nur schroff, rücksichtslos und klar nach seinen Interessen gehandelt,
so wie der alte Fritz es zu thun pflegte, dann wäre wohl viel Unheil und viele
Schmach diesem Lande und ganz Deutschland erspart worden. Daß aber jene
mattherzige Neutralität- und Schaukelpolitik, welche von den damals ma߬
gebenden Staatsmännern in Berlin, den Haugwitz, Luchesini, Alvensleben, be¬
liebt wurde, jene Politik, die es mit niemand verderben wollte und es darüber
schließlich mit allen verdarb, den Staat ins Verderben führen mußte, das hätte
einem weitsichtigen Staatsmanne klar sein müssen. Bekannt ist, wie schwer der
ritterliche König Friedrich Wilhelm II. dahin gebracht werden konnte, seine Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/517>, abgerufen am 22.07.2024.