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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

wurfsvollem Tone ausrief: Was soll das nur nützen mit dem trocknen Besen!
Erst müssen wir doch einen Eimer Wasser haben!

Und kaum waren die Worte über ihre Lippen gekommen, als sie auch
schon in voller Thätigkeit war. Sie nahm dem alten Jens, der ganz verdutzt
dreinschaute, den Besen aus der Hand. Er konnte sich nicht genng wundern,
wie flink und geschickt sie damit umzugehen wußte. Es war eigentlich nicht
seine Absicht gewesen, daß die Mutter Teil an diesem Scheuerfeste nehmen
sollte. Diese aber ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. Holt nur schnell einen
Eimer Wasser! sagte sie.

Eimer Wasser! wiederholte Tippe, hielt mit seiner Arbeit inne und blickte
den alten Jens mit einer so überlegenen Miene an, daß er sich fügen mußte.
Ohne Murren ging er schweigend hinaus und kam mit einem Eimer Wasser
und einem sehr beschämter Gesicht zurück. Den Eimer lieferte er ab, mit dem
beschämter Gesicht aber setzte er sich in eine Ecke und sah zu, wie das Wasser
siegreich über den Boden dahinfloß, während der Besen all den alten Staub
ausfegte, der sich jahraus jahrein in den Spalten und Ritzen angesammelt hatte.

Der alte Jens war überrumpelt worden, und das konnte man ihm an¬
sehen. Aber in demselben Augenblicke legten sich ein paar kleine Hände auf
seine Kniee. Es war Tippe, der wohl wußte, daß man nicht zu viel auf einmal
verlangen darf, und der deshalb gern auf seinen Schooß hinaufklettern wollte.
Das gelang ihm denn auch, und nun setzte er die alte Mütze wieder auf den
alten Kopf und drückte sie mit seinen kleinen Händen fest, zum Zeichen, daß es
für heute mit den Neinlichkeitsübuugen genug sei.

Da klärte sich das Gesicht des Alten auf, und es sah fast aus, als wenn
ein Wiederschein der Reinlichkeit, die sich um ihn her verbreitet hatte, und die
seine alte, dunkle Höhle erhellte, auch in seinen Zügen sichtbar würde.

Und so war noch manche nützliche und angenehme Wissenschaft aufzufrischen
und einzuüben, als Tippe so weit war, daß er täglich mit auf den Friedhof
hinaus trippeln konnte. Der alte Jens lernte, wie viel leichter und kürzer der
Weg wurde, wenn man ihn als Pferd zurücklegte, als wenn man nur ein alter
steifbeiniger Totengräber war, besonders, wenn man Tippe zum Kutscher hatte.
Er machte die Entdeckung, wie viel vorteilhafter es doch im Grunde sei, zur
Winterszeit quer über deu gefrorenen Teich zu gehen und mit ausgestreckten
Armen über die glatte Fläche zu balanciren oder, was noch besser ging, wenn
mau mit den Beinen ausgerutscht war, auf dem Rücken über das Eis dahin
zu fliegen. Er kam auch dahinter, daß der Friedhof sich merkwürdig gut zum
Versteckensspieleu eigne; nicht allein daß mau die Menschen darin verschwinden
lassen konnte, das hatte er ja schon längst gewußt -- nein, er ließ sie anch
wieder zum Vorschein kommen, und zwar ebenso lächelnd und fröhlich, wie sie
vorher gewesen waren, und darüber hatte er früher niemals nachgedacht.

Auch hatte er niemals geglaubt, daß man sich unten in einem dunkeln


Gevatter Tod.

wurfsvollem Tone ausrief: Was soll das nur nützen mit dem trocknen Besen!
Erst müssen wir doch einen Eimer Wasser haben!

Und kaum waren die Worte über ihre Lippen gekommen, als sie auch
schon in voller Thätigkeit war. Sie nahm dem alten Jens, der ganz verdutzt
dreinschaute, den Besen aus der Hand. Er konnte sich nicht genng wundern,
wie flink und geschickt sie damit umzugehen wußte. Es war eigentlich nicht
seine Absicht gewesen, daß die Mutter Teil an diesem Scheuerfeste nehmen
sollte. Diese aber ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. Holt nur schnell einen
Eimer Wasser! sagte sie.

Eimer Wasser! wiederholte Tippe, hielt mit seiner Arbeit inne und blickte
den alten Jens mit einer so überlegenen Miene an, daß er sich fügen mußte.
Ohne Murren ging er schweigend hinaus und kam mit einem Eimer Wasser
und einem sehr beschämter Gesicht zurück. Den Eimer lieferte er ab, mit dem
beschämter Gesicht aber setzte er sich in eine Ecke und sah zu, wie das Wasser
siegreich über den Boden dahinfloß, während der Besen all den alten Staub
ausfegte, der sich jahraus jahrein in den Spalten und Ritzen angesammelt hatte.

Der alte Jens war überrumpelt worden, und das konnte man ihm an¬
sehen. Aber in demselben Augenblicke legten sich ein paar kleine Hände auf
seine Kniee. Es war Tippe, der wohl wußte, daß man nicht zu viel auf einmal
verlangen darf, und der deshalb gern auf seinen Schooß hinaufklettern wollte.
Das gelang ihm denn auch, und nun setzte er die alte Mütze wieder auf den
alten Kopf und drückte sie mit seinen kleinen Händen fest, zum Zeichen, daß es
für heute mit den Neinlichkeitsübuugen genug sei.

Da klärte sich das Gesicht des Alten auf, und es sah fast aus, als wenn
ein Wiederschein der Reinlichkeit, die sich um ihn her verbreitet hatte, und die
seine alte, dunkle Höhle erhellte, auch in seinen Zügen sichtbar würde.

Und so war noch manche nützliche und angenehme Wissenschaft aufzufrischen
und einzuüben, als Tippe so weit war, daß er täglich mit auf den Friedhof
hinaus trippeln konnte. Der alte Jens lernte, wie viel leichter und kürzer der
Weg wurde, wenn man ihn als Pferd zurücklegte, als wenn man nur ein alter
steifbeiniger Totengräber war, besonders, wenn man Tippe zum Kutscher hatte.
Er machte die Entdeckung, wie viel vorteilhafter es doch im Grunde sei, zur
Winterszeit quer über deu gefrorenen Teich zu gehen und mit ausgestreckten
Armen über die glatte Fläche zu balanciren oder, was noch besser ging, wenn
mau mit den Beinen ausgerutscht war, auf dem Rücken über das Eis dahin
zu fliegen. Er kam auch dahinter, daß der Friedhof sich merkwürdig gut zum
Versteckensspieleu eigne; nicht allein daß mau die Menschen darin verschwinden
lassen konnte, das hatte er ja schon längst gewußt — nein, er ließ sie anch
wieder zum Vorschein kommen, und zwar ebenso lächelnd und fröhlich, wie sie
vorher gewesen waren, und darüber hatte er früher niemals nachgedacht.

Auch hatte er niemals geglaubt, daß man sich unten in einem dunkeln


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[0502] Gevatter Tod. wurfsvollem Tone ausrief: Was soll das nur nützen mit dem trocknen Besen! Erst müssen wir doch einen Eimer Wasser haben! Und kaum waren die Worte über ihre Lippen gekommen, als sie auch schon in voller Thätigkeit war. Sie nahm dem alten Jens, der ganz verdutzt dreinschaute, den Besen aus der Hand. Er konnte sich nicht genng wundern, wie flink und geschickt sie damit umzugehen wußte. Es war eigentlich nicht seine Absicht gewesen, daß die Mutter Teil an diesem Scheuerfeste nehmen sollte. Diese aber ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. Holt nur schnell einen Eimer Wasser! sagte sie. Eimer Wasser! wiederholte Tippe, hielt mit seiner Arbeit inne und blickte den alten Jens mit einer so überlegenen Miene an, daß er sich fügen mußte. Ohne Murren ging er schweigend hinaus und kam mit einem Eimer Wasser und einem sehr beschämter Gesicht zurück. Den Eimer lieferte er ab, mit dem beschämter Gesicht aber setzte er sich in eine Ecke und sah zu, wie das Wasser siegreich über den Boden dahinfloß, während der Besen all den alten Staub ausfegte, der sich jahraus jahrein in den Spalten und Ritzen angesammelt hatte. Der alte Jens war überrumpelt worden, und das konnte man ihm an¬ sehen. Aber in demselben Augenblicke legten sich ein paar kleine Hände auf seine Kniee. Es war Tippe, der wohl wußte, daß man nicht zu viel auf einmal verlangen darf, und der deshalb gern auf seinen Schooß hinaufklettern wollte. Das gelang ihm denn auch, und nun setzte er die alte Mütze wieder auf den alten Kopf und drückte sie mit seinen kleinen Händen fest, zum Zeichen, daß es für heute mit den Neinlichkeitsübuugen genug sei. Da klärte sich das Gesicht des Alten auf, und es sah fast aus, als wenn ein Wiederschein der Reinlichkeit, die sich um ihn her verbreitet hatte, und die seine alte, dunkle Höhle erhellte, auch in seinen Zügen sichtbar würde. Und so war noch manche nützliche und angenehme Wissenschaft aufzufrischen und einzuüben, als Tippe so weit war, daß er täglich mit auf den Friedhof hinaus trippeln konnte. Der alte Jens lernte, wie viel leichter und kürzer der Weg wurde, wenn man ihn als Pferd zurücklegte, als wenn man nur ein alter steifbeiniger Totengräber war, besonders, wenn man Tippe zum Kutscher hatte. Er machte die Entdeckung, wie viel vorteilhafter es doch im Grunde sei, zur Winterszeit quer über deu gefrorenen Teich zu gehen und mit ausgestreckten Armen über die glatte Fläche zu balanciren oder, was noch besser ging, wenn mau mit den Beinen ausgerutscht war, auf dem Rücken über das Eis dahin zu fliegen. Er kam auch dahinter, daß der Friedhof sich merkwürdig gut zum Versteckensspieleu eigne; nicht allein daß mau die Menschen darin verschwinden lassen konnte, das hatte er ja schon längst gewußt — nein, er ließ sie anch wieder zum Vorschein kommen, und zwar ebenso lächelnd und fröhlich, wie sie vorher gewesen waren, und darüber hatte er früher niemals nachgedacht. Auch hatte er niemals geglaubt, daß man sich unten in einem dunkeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/502>, abgerufen am 22.07.2024.