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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Tippe zum drittenmale Pfui, zeigte auf die Hände und machte ein verdrießliches
Gesicht. Nun hatte Jens nichts mehr, was er hätte drüber decken können, und
so blieb denn dem Alten nichts andres übrig, als sich zurückzuziehen und in
seiner Höhle Zuflucht zu suchen. Er hoffte, daß Tippe, wenn sie einander
wieder begegnen würden, seine Schulmeistermucken vergessen hätte.

Aber diesem kleinen Burschen war nichts heilig. Kaum zwei Minuten war
der alte Jens drinnen gewesen, als er ein Stöhnen und Pusten vernahm. Ein
trippelndes Geräusch kleiner Füße näherte sich, die Thür wurde leise geöffnet,
und ein blondlockiges Köpfchen ließ sich blicken, einen Augenblick später war
dies kleine dicke Wesen, dem der Lockenkopf gehörte, eifrig bemüht, über die
Thürschwelle zu klettern. Und schließlich stand Tippe im Zimmer und zeigte
majestätisch auf den Fußboden, auf den Tisch, auf das Bett, wie auf alles,
was er erblicken konnte und wiederholte sein Pfui! mit einem solchen Nachdruck
und einer solchen Beharrlichkeit, daß der letzte Funke von Mut aus der Seele
des alten Jens schwand. Er setzte sich hin und legte seine Mütze mit ver¬
zweifelter Miene auf die Kniee.

In demselben Augenblicke aber hatte Tippe die Mütze schon erhascht und
begann nun mit unendlichem Eifer den Fußboden damit zu bearbeiten, als ob
er wohl wüßte, daß ein gutes Beispiel die wirksamste Lehrweise sei. Und bald
zeigte es sich, daß er auch diesmal das glückliche Mittel gewählt hatte, um
Schwung in die Sache zu bringen.

Der alte Jens saß nur einen Augenblick starr vor Staunen da, dann griff
auch er mit zu. Von Tippes Eifer angesteckt, rief er aus: Nein nein, du
kleiner Tippe! So wird nichts! Dazu müssen wir einen Besen haben! Ich
bin gleich wieder da!

Und es währte auch nicht lange, da war er wirklich mit einem Besen
da, den er wer weiß wo gefunden hatte. Und nun ging es an die Arbeit.
Tippe fegte voran mit der Mütze, der alte Jens mit dem Besen hinterdrein,
so gut es gehen wollte, denn er wollte sich nicht von dem Kleinen beschämen
lassen.

Wie es einem richtigen Schulmeister geziemt, faßte Tippe die Sache sehr
ernsthaft auf, das Gesicht des alten Jens dagegen strahlte vor Vergnügen. Er
war fest überzeugt, daß er seine Sache ganz vorzüglich mache. Aber dieser
Einbildung sollte er bald beraubt werden, denn jeder hat seinen Meister, und
das hatte er nicht bedacht.

Weder er noch Tippe merkten in ihrem Eifer, daß die Mutter durch die
Thür lugte. Sie suchte Tippe, den sie vermißt hatte. Nun sollte man glauben,
ihr gutes hausmütterliches Herz ^ sei voll eitel Freude gewesen, als sie ihr
Söhnchen und seinen alten Schüler bei einer so schönen und nützlichen Be¬
schäftigung antraf. Aber es muß doch etwas ansteckendes bei dem Eifer der
beiden gewesen sein, denn kaum hatte sie ihnen zugeschaut, als sie schon in vor-


Gevatter Tod.

Tippe zum drittenmale Pfui, zeigte auf die Hände und machte ein verdrießliches
Gesicht. Nun hatte Jens nichts mehr, was er hätte drüber decken können, und
so blieb denn dem Alten nichts andres übrig, als sich zurückzuziehen und in
seiner Höhle Zuflucht zu suchen. Er hoffte, daß Tippe, wenn sie einander
wieder begegnen würden, seine Schulmeistermucken vergessen hätte.

Aber diesem kleinen Burschen war nichts heilig. Kaum zwei Minuten war
der alte Jens drinnen gewesen, als er ein Stöhnen und Pusten vernahm. Ein
trippelndes Geräusch kleiner Füße näherte sich, die Thür wurde leise geöffnet,
und ein blondlockiges Köpfchen ließ sich blicken, einen Augenblick später war
dies kleine dicke Wesen, dem der Lockenkopf gehörte, eifrig bemüht, über die
Thürschwelle zu klettern. Und schließlich stand Tippe im Zimmer und zeigte
majestätisch auf den Fußboden, auf den Tisch, auf das Bett, wie auf alles,
was er erblicken konnte und wiederholte sein Pfui! mit einem solchen Nachdruck
und einer solchen Beharrlichkeit, daß der letzte Funke von Mut aus der Seele
des alten Jens schwand. Er setzte sich hin und legte seine Mütze mit ver¬
zweifelter Miene auf die Kniee.

In demselben Augenblicke aber hatte Tippe die Mütze schon erhascht und
begann nun mit unendlichem Eifer den Fußboden damit zu bearbeiten, als ob
er wohl wüßte, daß ein gutes Beispiel die wirksamste Lehrweise sei. Und bald
zeigte es sich, daß er auch diesmal das glückliche Mittel gewählt hatte, um
Schwung in die Sache zu bringen.

Der alte Jens saß nur einen Augenblick starr vor Staunen da, dann griff
auch er mit zu. Von Tippes Eifer angesteckt, rief er aus: Nein nein, du
kleiner Tippe! So wird nichts! Dazu müssen wir einen Besen haben! Ich
bin gleich wieder da!

Und es währte auch nicht lange, da war er wirklich mit einem Besen
da, den er wer weiß wo gefunden hatte. Und nun ging es an die Arbeit.
Tippe fegte voran mit der Mütze, der alte Jens mit dem Besen hinterdrein,
so gut es gehen wollte, denn er wollte sich nicht von dem Kleinen beschämen
lassen.

Wie es einem richtigen Schulmeister geziemt, faßte Tippe die Sache sehr
ernsthaft auf, das Gesicht des alten Jens dagegen strahlte vor Vergnügen. Er
war fest überzeugt, daß er seine Sache ganz vorzüglich mache. Aber dieser
Einbildung sollte er bald beraubt werden, denn jeder hat seinen Meister, und
das hatte er nicht bedacht.

Weder er noch Tippe merkten in ihrem Eifer, daß die Mutter durch die
Thür lugte. Sie suchte Tippe, den sie vermißt hatte. Nun sollte man glauben,
ihr gutes hausmütterliches Herz ^ sei voll eitel Freude gewesen, als sie ihr
Söhnchen und seinen alten Schüler bei einer so schönen und nützlichen Be¬
schäftigung antraf. Aber es muß doch etwas ansteckendes bei dem Eifer der
beiden gewesen sein, denn kaum hatte sie ihnen zugeschaut, als sie schon in vor-


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[0501] Gevatter Tod. Tippe zum drittenmale Pfui, zeigte auf die Hände und machte ein verdrießliches Gesicht. Nun hatte Jens nichts mehr, was er hätte drüber decken können, und so blieb denn dem Alten nichts andres übrig, als sich zurückzuziehen und in seiner Höhle Zuflucht zu suchen. Er hoffte, daß Tippe, wenn sie einander wieder begegnen würden, seine Schulmeistermucken vergessen hätte. Aber diesem kleinen Burschen war nichts heilig. Kaum zwei Minuten war der alte Jens drinnen gewesen, als er ein Stöhnen und Pusten vernahm. Ein trippelndes Geräusch kleiner Füße näherte sich, die Thür wurde leise geöffnet, und ein blondlockiges Köpfchen ließ sich blicken, einen Augenblick später war dies kleine dicke Wesen, dem der Lockenkopf gehörte, eifrig bemüht, über die Thürschwelle zu klettern. Und schließlich stand Tippe im Zimmer und zeigte majestätisch auf den Fußboden, auf den Tisch, auf das Bett, wie auf alles, was er erblicken konnte und wiederholte sein Pfui! mit einem solchen Nachdruck und einer solchen Beharrlichkeit, daß der letzte Funke von Mut aus der Seele des alten Jens schwand. Er setzte sich hin und legte seine Mütze mit ver¬ zweifelter Miene auf die Kniee. In demselben Augenblicke aber hatte Tippe die Mütze schon erhascht und begann nun mit unendlichem Eifer den Fußboden damit zu bearbeiten, als ob er wohl wüßte, daß ein gutes Beispiel die wirksamste Lehrweise sei. Und bald zeigte es sich, daß er auch diesmal das glückliche Mittel gewählt hatte, um Schwung in die Sache zu bringen. Der alte Jens saß nur einen Augenblick starr vor Staunen da, dann griff auch er mit zu. Von Tippes Eifer angesteckt, rief er aus: Nein nein, du kleiner Tippe! So wird nichts! Dazu müssen wir einen Besen haben! Ich bin gleich wieder da! Und es währte auch nicht lange, da war er wirklich mit einem Besen da, den er wer weiß wo gefunden hatte. Und nun ging es an die Arbeit. Tippe fegte voran mit der Mütze, der alte Jens mit dem Besen hinterdrein, so gut es gehen wollte, denn er wollte sich nicht von dem Kleinen beschämen lassen. Wie es einem richtigen Schulmeister geziemt, faßte Tippe die Sache sehr ernsthaft auf, das Gesicht des alten Jens dagegen strahlte vor Vergnügen. Er war fest überzeugt, daß er seine Sache ganz vorzüglich mache. Aber dieser Einbildung sollte er bald beraubt werden, denn jeder hat seinen Meister, und das hatte er nicht bedacht. Weder er noch Tippe merkten in ihrem Eifer, daß die Mutter durch die Thür lugte. Sie suchte Tippe, den sie vermißt hatte. Nun sollte man glauben, ihr gutes hausmütterliches Herz ^ sei voll eitel Freude gewesen, als sie ihr Söhnchen und seinen alten Schüler bei einer so schönen und nützlichen Be¬ schäftigung antraf. Aber es muß doch etwas ansteckendes bei dem Eifer der beiden gewesen sein, denn kaum hatte sie ihnen zugeschaut, als sie schon in vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/501>, abgerufen am 22.07.2024.