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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

man doch überhaupt nur ehren- oder vielmehr schandehalber einer Erscheinung,
welche in vergangne Tage und vergangne Stimmungen zurückweist.

Immerhin werden einzelne Kreise und einzelne Leser dem verdienten Heraus¬
geber Dank wissen, daß er mit den Zeugnissen, die das Bild des Gewaltigen
wieder einmal in neuer Beleuchtung zeigen, auch das Bild des verdienstvollen
und liebenswürdigen Leipziger Schriftstellers heraufbeschworen hat, welcher noch
weit über Goethes Lebenszeit hinaus fortgefahren hat, in seinem Sinne für
Kunst, Künstler und künstlerische Bestrebungen zu wirken. Ein glücklicher Zufall
hat eben auch an andrer Stelle an Rochlitzens Person und Wirksamkeit erinnert.
Die Symphonie des neunzehnjährigen Richard Wagner, welche im Januar 1833
im Gcwandhauskonzert zum erstenmale vorgeführt ward, hat Gelegenheit ge¬
geben, einen Brief Wagners durch die Zeitungen wandern zu lassen, in welchem
der Komponist dankbar bezeugt, daß es wesentlich dem Einfluß und der Einsicht
des Hofrats Rochlitz zu danken war, des "würdigen alten Herrn, der die Sachen
ernst zu nehmen pflegte," wenn sich seiner ersten größern Komposition die
Pforten des Gewandhauses erschlossen. Angesichts solcher Thatsachen, die sich
verhundertfachen ließen, gönnen vielleicht auch die Modernen dem wackern
Rochlitz das Stück Unsterblichkeit, das er in Verbindung mit Goethe ge¬
wonnen hat.

Als Schlußwort, in welchem das Verhältnis von Rochlitz zu unserm
großen Dichter uns noch einmal lebendig vor die Seele tritt, möge der Schluß
des Briefes hier stehen, den Rochlitz (am 4. November 1826, Biedermann 115)
zu Goethes funfzigjährigen Jubiläum in Weimar (7. November 1826) an den
Gefeierten und Geliebten richtete: "Wünschen kann man, wie mich dünkt, anch an
solchem Tage Ihnen kaum etwas; obwohl sich viel. Der Kelch des Lebens,
bis zum Rande mit dem Köstlichsten, was Menschen eignet, angefüllt, ward
Ihnen gereicht; Sie wußten ihn zu fassen, seinen Inhalt zu würdigen und zu
genießen; das thun Sie noch und werden es fürder thun; möge denn dieser
Inhalt bis zum letzten Tropfen, an dem Sie noch bei weitem nicht sind, rein
und klar, stärkend und erquickend seinl und mögen so spät, als irgend einer,
Sie endlich heiter und würdevoll, andre bewegend, selbst unbewegt, gleich Ihrem
König von Thule, nochmals Ihre Stadt' im Reich zählen und nun den heiligen
Becher hinunter in die Flut werfen! Mir soll es, so lange ich noch da bin,
als eine der wenigen Erfahrungen des Lebens, die ganz ohne herben Beigeschmack
sind, immerfort gegenwärtig bleiben, daß ich seit Jünglingsjahren Sie, wie sonst
keinen, vor Augen und im Herzen gehabt habe, unverrückt und auch von Ihnen
mit Anteil bemerkt."




Goethe und Rochlitz.

man doch überhaupt nur ehren- oder vielmehr schandehalber einer Erscheinung,
welche in vergangne Tage und vergangne Stimmungen zurückweist.

Immerhin werden einzelne Kreise und einzelne Leser dem verdienten Heraus¬
geber Dank wissen, daß er mit den Zeugnissen, die das Bild des Gewaltigen
wieder einmal in neuer Beleuchtung zeigen, auch das Bild des verdienstvollen
und liebenswürdigen Leipziger Schriftstellers heraufbeschworen hat, welcher noch
weit über Goethes Lebenszeit hinaus fortgefahren hat, in seinem Sinne für
Kunst, Künstler und künstlerische Bestrebungen zu wirken. Ein glücklicher Zufall
hat eben auch an andrer Stelle an Rochlitzens Person und Wirksamkeit erinnert.
Die Symphonie des neunzehnjährigen Richard Wagner, welche im Januar 1833
im Gcwandhauskonzert zum erstenmale vorgeführt ward, hat Gelegenheit ge¬
geben, einen Brief Wagners durch die Zeitungen wandern zu lassen, in welchem
der Komponist dankbar bezeugt, daß es wesentlich dem Einfluß und der Einsicht
des Hofrats Rochlitz zu danken war, des „würdigen alten Herrn, der die Sachen
ernst zu nehmen pflegte," wenn sich seiner ersten größern Komposition die
Pforten des Gewandhauses erschlossen. Angesichts solcher Thatsachen, die sich
verhundertfachen ließen, gönnen vielleicht auch die Modernen dem wackern
Rochlitz das Stück Unsterblichkeit, das er in Verbindung mit Goethe ge¬
wonnen hat.

Als Schlußwort, in welchem das Verhältnis von Rochlitz zu unserm
großen Dichter uns noch einmal lebendig vor die Seele tritt, möge der Schluß
des Briefes hier stehen, den Rochlitz (am 4. November 1826, Biedermann 115)
zu Goethes funfzigjährigen Jubiläum in Weimar (7. November 1826) an den
Gefeierten und Geliebten richtete: „Wünschen kann man, wie mich dünkt, anch an
solchem Tage Ihnen kaum etwas; obwohl sich viel. Der Kelch des Lebens,
bis zum Rande mit dem Köstlichsten, was Menschen eignet, angefüllt, ward
Ihnen gereicht; Sie wußten ihn zu fassen, seinen Inhalt zu würdigen und zu
genießen; das thun Sie noch und werden es fürder thun; möge denn dieser
Inhalt bis zum letzten Tropfen, an dem Sie noch bei weitem nicht sind, rein
und klar, stärkend und erquickend seinl und mögen so spät, als irgend einer,
Sie endlich heiter und würdevoll, andre bewegend, selbst unbewegt, gleich Ihrem
König von Thule, nochmals Ihre Stadt' im Reich zählen und nun den heiligen
Becher hinunter in die Flut werfen! Mir soll es, so lange ich noch da bin,
als eine der wenigen Erfahrungen des Lebens, die ganz ohne herben Beigeschmack
sind, immerfort gegenwärtig bleiben, daß ich seit Jünglingsjahren Sie, wie sonst
keinen, vor Augen und im Herzen gehabt habe, unverrückt und auch von Ihnen
mit Anteil bemerkt."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/496>, abgerufen am 22.07.2024.