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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und'Rochlitz.

da an machten besondre Verhältnisse, ungesucht, ja gegen meinen Willen -- da
ich nur zu gut fühlte, daß dies nun geistig so ausgebildete herrliche Wesen
mich von neuem sehr zu beschäftigen anfange -- es mir unvermeidlich, sie öfters
zu sehen, doch stets in zahlreicher Gesellschaft, wo ich mich planmäßig sehr
fern von ihr hielt. Ihr, wie ich später erst erfahren, geht es vollkommen
ebenso. Nun, Schlag auf Schlag und wider alles Vermuten stirbt ihr Mann,
stirbt meine Mutter, müssen wir (gegen Absicht und Willen) einander öfters
sehen, und so sind wir eins, ohne Zuthun, mit Widerstreben gegen die schöne
Absicht des Geschicks, bis dies endlich nicht mehr gelingen will und wir zu
empfangen wagen, was der Himmel selbst uns bereitet hatte. Meine nicht
schwärmerisch ausgeputzte, sondern besonnen gewürdigte Glückseligkeit mag ich
nicht zu schildern versuchen: aber ganz ruhig sei es gestanden, daß ich nie auf
solche gehofft, ja sie zu wünschen mir nicht verstattet habe."

Begreiflich genug waren bei dieser Heirat, welche Rochlitzens ganze Lebens¬
stellung änderte und der Achtung und Geltung, die er durch Talent,
Leistungen, umfassende Bildung und persönliche Liebenswürdigkeit längst erworben
hatte, die Geltung hinzufügte, die einer glücklichen und unabhängigen Lebens¬
lage immer zu Teil zu werden pflegt, allerhand Widerstände zu bekämpfen und
zu besiegen. "Geldmänner und Prunkfrauen unter der Verwandtschaft" konnten
fich schwer in den Entschluß der Frau Henriette Winkler finden, dem Unab-
äuderlicheu fügten sie sich jedoch. Am 23. Februar 1810 ward die Hochzeit
des Paares gefeiert, und alle Hoffnungen, welche es vom künftigen Glücke ge¬
hegt hatte, sollten sich reich erfüllen. Freilich gingen Rochlitz und seine Gattin
schon in den ersten Jahren ihrer Verbindung schweren Erlebnissen entgegen.
Man braucht sich nur die Zeit ihrer Heirat zu vergegenwärtigen. Er, der
1807 geseufzt hatte (ungedruckter Brief an Böttiger): "Nur in würdiger Ruhe
kann ich glücklich sein, wie nur auf würdig Ruhende glücklich wirken. Warum
starb ich nicht mit Huber und Schiller!" der jetzt auch noch für manchen ihm
ans Herz gewachsenen Besitz zittern mußte, er sah mit schwerer Sorge nach
dem kaum geschlossenen Frieden von 1809 neue dunkle Unwetter Heraufziehen.
Die Jahre 1812, in denen sich halb Europa nach Rußland, und 1813, in denen
sich halb Asien nach Deutschland ergoß, erschütterten deu Manu, dessen ganzes
Wirken und Wollen auf eine andre Zeit gestellt war, aufs tiefste. Aber die
ungeheuern Erlebnisse stabilen ihn zugleich, er bestand namentlich die Leidcns-
mvnate vom April bis zum Dezember 1813 mit rühmlicher Festigkeit und mit
aller Hingebung an die Interessen seiner bedrohten und hart getroffenen Mit¬
bürger. Als das Elend Leipzigs in den nächsten Wochen nach der Völker¬
schlacht seinen Gipfelpunkt erreicht hatte, als Rochlitz fühlte, daß er, um weiterhin
raten, geben, thätig sein zu können, erst einmal selbst Atem schöpfen, "einige
Ruhe und milder erquickende Eindrücke" aufsuchen und gewinnen müsse, da
richteten sich seine Blicke nach dem geliebten Weimar, da hoffte er, mit allem


Goethe und'Rochlitz.

da an machten besondre Verhältnisse, ungesucht, ja gegen meinen Willen — da
ich nur zu gut fühlte, daß dies nun geistig so ausgebildete herrliche Wesen
mich von neuem sehr zu beschäftigen anfange — es mir unvermeidlich, sie öfters
zu sehen, doch stets in zahlreicher Gesellschaft, wo ich mich planmäßig sehr
fern von ihr hielt. Ihr, wie ich später erst erfahren, geht es vollkommen
ebenso. Nun, Schlag auf Schlag und wider alles Vermuten stirbt ihr Mann,
stirbt meine Mutter, müssen wir (gegen Absicht und Willen) einander öfters
sehen, und so sind wir eins, ohne Zuthun, mit Widerstreben gegen die schöne
Absicht des Geschicks, bis dies endlich nicht mehr gelingen will und wir zu
empfangen wagen, was der Himmel selbst uns bereitet hatte. Meine nicht
schwärmerisch ausgeputzte, sondern besonnen gewürdigte Glückseligkeit mag ich
nicht zu schildern versuchen: aber ganz ruhig sei es gestanden, daß ich nie auf
solche gehofft, ja sie zu wünschen mir nicht verstattet habe."

Begreiflich genug waren bei dieser Heirat, welche Rochlitzens ganze Lebens¬
stellung änderte und der Achtung und Geltung, die er durch Talent,
Leistungen, umfassende Bildung und persönliche Liebenswürdigkeit längst erworben
hatte, die Geltung hinzufügte, die einer glücklichen und unabhängigen Lebens¬
lage immer zu Teil zu werden pflegt, allerhand Widerstände zu bekämpfen und
zu besiegen. „Geldmänner und Prunkfrauen unter der Verwandtschaft" konnten
fich schwer in den Entschluß der Frau Henriette Winkler finden, dem Unab-
äuderlicheu fügten sie sich jedoch. Am 23. Februar 1810 ward die Hochzeit
des Paares gefeiert, und alle Hoffnungen, welche es vom künftigen Glücke ge¬
hegt hatte, sollten sich reich erfüllen. Freilich gingen Rochlitz und seine Gattin
schon in den ersten Jahren ihrer Verbindung schweren Erlebnissen entgegen.
Man braucht sich nur die Zeit ihrer Heirat zu vergegenwärtigen. Er, der
1807 geseufzt hatte (ungedruckter Brief an Böttiger): „Nur in würdiger Ruhe
kann ich glücklich sein, wie nur auf würdig Ruhende glücklich wirken. Warum
starb ich nicht mit Huber und Schiller!" der jetzt auch noch für manchen ihm
ans Herz gewachsenen Besitz zittern mußte, er sah mit schwerer Sorge nach
dem kaum geschlossenen Frieden von 1809 neue dunkle Unwetter Heraufziehen.
Die Jahre 1812, in denen sich halb Europa nach Rußland, und 1813, in denen
sich halb Asien nach Deutschland ergoß, erschütterten deu Manu, dessen ganzes
Wirken und Wollen auf eine andre Zeit gestellt war, aufs tiefste. Aber die
ungeheuern Erlebnisse stabilen ihn zugleich, er bestand namentlich die Leidcns-
mvnate vom April bis zum Dezember 1813 mit rühmlicher Festigkeit und mit
aller Hingebung an die Interessen seiner bedrohten und hart getroffenen Mit¬
bürger. Als das Elend Leipzigs in den nächsten Wochen nach der Völker¬
schlacht seinen Gipfelpunkt erreicht hatte, als Rochlitz fühlte, daß er, um weiterhin
raten, geben, thätig sein zu können, erst einmal selbst Atem schöpfen, „einige
Ruhe und milder erquickende Eindrücke" aufsuchen und gewinnen müsse, da
richteten sich seine Blicke nach dem geliebten Weimar, da hoffte er, mit allem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/490>, abgerufen am 22.07.2024.