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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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in der Besonderheit dieses Preises als solchen liegt die Berechtigung desselben,
sondern darin, daß die Aufrechterhaltung des Ladenpreises eine Gewähr für
das Bestehen eines großen Netzes von leistungsfähigen Sortimentsbuchhand-
lungcn bietet, welches sich durch ganz Deutschland und teilweise auch durch das
Ausland erstreckt, und daß das Bestehen derselben im Interesse der Verleger,
der Schriftsteller und vor allem der Gesamtheit, des Gemeinwohls liegt.

Der Verleger befand sich anfangs bei der Schleudern ganz wohl, daher
dämmerte ihm das Verständnis für die Frage erst allmählich auf. Er erhielt
von den Schleuderfirmen große Bestellungen, die prompt bezahlt wurden. Das
Geschäft schien sich zu vereinfachen, er brauchte nicht mehr Hinz und Kunz,
über deren Kreditwürdigkeit er sich schwer vergewissern konnte, seine Bücher auf
lange Zeit "in Kommission" anzuvertrauen, und er erhielt viel mehr baar be¬
zahlt als früher, natürlich gegen höheren Rabatt. Außerdem lag ein verlockend
einfaches Rechenexempel nahe, das von den Schleuderern in allen Tonarten
wiederholt wurde: "Während du, Verleger, für deine Bücher den alten Preis
erlangst, erhält das Publikum seinen Bücherbedarf um 10 bis 20 Prozent
billiger, wird also ohne Frage auch 10 bis 20 Prozent mehr Bücher kaufen."
Zahlen beweisen. In der That ist dieser Zahlenbeweis aber nur ein Beweis
dafür, welchen Unsinn man mathematisch beweisen kann, wenn man Dinge
zahlenmäßig erfassen will, die dem Begriff des Absoluten so völlig fern stehen,
wie menschliche Bedürfnisse. Ein Körnchen Wahrheit, ein winziges Körnchen,
liegt in dem Beweis. Bibliotheken mit einem festen Etat werden natürlich
zunächst um den Betrag des Rabatts mehr Bücher kaufen. Auf die Dauer
werden aber die Verleger auch hier wenig Nutzen haben, da man bei der Frage
der Erhöhung oder Verminderung des Etats der Bibliotheken später nicht mit
den angenommenen Ladenpreisen, sondern mit den wirklichen Preisen nach Abzug
des üblichen Rabatts rechnen würde. Ganz verfehlt aber ist der Beweis, wenn
man die bücherkaufendeu Personen, deren Bedarf den der Bibliotheken unendlich
weit übertrifft, in Rechnung zieht. Bekanntlich hat der Mensch außer dem
Bedürfnis, Bücher zu kaufen, auch noch andre Bedürfnisse. Werden die Gegen¬
stände, die er zur Befriedigung eines Bedürfnisses verwendet, um 10 Prozent
billiger, so kommt die Ersparnis durchaus nicht immer einer erhöhten Befrie¬
digung dieses Bedürfnisses zu Gute, ja vielfach ist dieses Bedürfnis gar nicht
sehr dringend. Selbst wenn die Bierpreise plötzlich um 10 Prozent sänken,
würde der gute Deutsche nicht ohne weiteres um 10 Prozent mehr trinken, viel
weniger in unserm Falle um 10 Prozent mehr Bücher kaufen, die er sich noch
dazu leihen kann. Dabei soll nicht bestritten werden, daß es einzelne Bücher-
liebhaber giebt, welche der Rabatt zu vergrößerten Einkäufen lockt, sowie daß
bei niedrigeren Bücherpreisen sich die Schicht der Bücherkäufer verbreitern kann,
wenn das Bedürfnis geweckt wird. Aber es ist auch wohl zu beachten, daß
breiteren Schichten nur gewisse Arten von Büchern (und nicht immer die besten)


Grenzboten IV. 1887. 60

in der Besonderheit dieses Preises als solchen liegt die Berechtigung desselben,
sondern darin, daß die Aufrechterhaltung des Ladenpreises eine Gewähr für
das Bestehen eines großen Netzes von leistungsfähigen Sortimentsbuchhand-
lungcn bietet, welches sich durch ganz Deutschland und teilweise auch durch das
Ausland erstreckt, und daß das Bestehen derselben im Interesse der Verleger,
der Schriftsteller und vor allem der Gesamtheit, des Gemeinwohls liegt.

Der Verleger befand sich anfangs bei der Schleudern ganz wohl, daher
dämmerte ihm das Verständnis für die Frage erst allmählich auf. Er erhielt
von den Schleuderfirmen große Bestellungen, die prompt bezahlt wurden. Das
Geschäft schien sich zu vereinfachen, er brauchte nicht mehr Hinz und Kunz,
über deren Kreditwürdigkeit er sich schwer vergewissern konnte, seine Bücher auf
lange Zeit „in Kommission" anzuvertrauen, und er erhielt viel mehr baar be¬
zahlt als früher, natürlich gegen höheren Rabatt. Außerdem lag ein verlockend
einfaches Rechenexempel nahe, das von den Schleuderern in allen Tonarten
wiederholt wurde: „Während du, Verleger, für deine Bücher den alten Preis
erlangst, erhält das Publikum seinen Bücherbedarf um 10 bis 20 Prozent
billiger, wird also ohne Frage auch 10 bis 20 Prozent mehr Bücher kaufen."
Zahlen beweisen. In der That ist dieser Zahlenbeweis aber nur ein Beweis
dafür, welchen Unsinn man mathematisch beweisen kann, wenn man Dinge
zahlenmäßig erfassen will, die dem Begriff des Absoluten so völlig fern stehen,
wie menschliche Bedürfnisse. Ein Körnchen Wahrheit, ein winziges Körnchen,
liegt in dem Beweis. Bibliotheken mit einem festen Etat werden natürlich
zunächst um den Betrag des Rabatts mehr Bücher kaufen. Auf die Dauer
werden aber die Verleger auch hier wenig Nutzen haben, da man bei der Frage
der Erhöhung oder Verminderung des Etats der Bibliotheken später nicht mit
den angenommenen Ladenpreisen, sondern mit den wirklichen Preisen nach Abzug
des üblichen Rabatts rechnen würde. Ganz verfehlt aber ist der Beweis, wenn
man die bücherkaufendeu Personen, deren Bedarf den der Bibliotheken unendlich
weit übertrifft, in Rechnung zieht. Bekanntlich hat der Mensch außer dem
Bedürfnis, Bücher zu kaufen, auch noch andre Bedürfnisse. Werden die Gegen¬
stände, die er zur Befriedigung eines Bedürfnisses verwendet, um 10 Prozent
billiger, so kommt die Ersparnis durchaus nicht immer einer erhöhten Befrie¬
digung dieses Bedürfnisses zu Gute, ja vielfach ist dieses Bedürfnis gar nicht
sehr dringend. Selbst wenn die Bierpreise plötzlich um 10 Prozent sänken,
würde der gute Deutsche nicht ohne weiteres um 10 Prozent mehr trinken, viel
weniger in unserm Falle um 10 Prozent mehr Bücher kaufen, die er sich noch
dazu leihen kann. Dabei soll nicht bestritten werden, daß es einzelne Bücher-
liebhaber giebt, welche der Rabatt zu vergrößerten Einkäufen lockt, sowie daß
bei niedrigeren Bücherpreisen sich die Schicht der Bücherkäufer verbreitern kann,
wenn das Bedürfnis geweckt wird. Aber es ist auch wohl zu beachten, daß
breiteren Schichten nur gewisse Arten von Büchern (und nicht immer die besten)


Grenzboten IV. 1887. 60
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[0481] in der Besonderheit dieses Preises als solchen liegt die Berechtigung desselben, sondern darin, daß die Aufrechterhaltung des Ladenpreises eine Gewähr für das Bestehen eines großen Netzes von leistungsfähigen Sortimentsbuchhand- lungcn bietet, welches sich durch ganz Deutschland und teilweise auch durch das Ausland erstreckt, und daß das Bestehen derselben im Interesse der Verleger, der Schriftsteller und vor allem der Gesamtheit, des Gemeinwohls liegt. Der Verleger befand sich anfangs bei der Schleudern ganz wohl, daher dämmerte ihm das Verständnis für die Frage erst allmählich auf. Er erhielt von den Schleuderfirmen große Bestellungen, die prompt bezahlt wurden. Das Geschäft schien sich zu vereinfachen, er brauchte nicht mehr Hinz und Kunz, über deren Kreditwürdigkeit er sich schwer vergewissern konnte, seine Bücher auf lange Zeit „in Kommission" anzuvertrauen, und er erhielt viel mehr baar be¬ zahlt als früher, natürlich gegen höheren Rabatt. Außerdem lag ein verlockend einfaches Rechenexempel nahe, das von den Schleuderern in allen Tonarten wiederholt wurde: „Während du, Verleger, für deine Bücher den alten Preis erlangst, erhält das Publikum seinen Bücherbedarf um 10 bis 20 Prozent billiger, wird also ohne Frage auch 10 bis 20 Prozent mehr Bücher kaufen." Zahlen beweisen. In der That ist dieser Zahlenbeweis aber nur ein Beweis dafür, welchen Unsinn man mathematisch beweisen kann, wenn man Dinge zahlenmäßig erfassen will, die dem Begriff des Absoluten so völlig fern stehen, wie menschliche Bedürfnisse. Ein Körnchen Wahrheit, ein winziges Körnchen, liegt in dem Beweis. Bibliotheken mit einem festen Etat werden natürlich zunächst um den Betrag des Rabatts mehr Bücher kaufen. Auf die Dauer werden aber die Verleger auch hier wenig Nutzen haben, da man bei der Frage der Erhöhung oder Verminderung des Etats der Bibliotheken später nicht mit den angenommenen Ladenpreisen, sondern mit den wirklichen Preisen nach Abzug des üblichen Rabatts rechnen würde. Ganz verfehlt aber ist der Beweis, wenn man die bücherkaufendeu Personen, deren Bedarf den der Bibliotheken unendlich weit übertrifft, in Rechnung zieht. Bekanntlich hat der Mensch außer dem Bedürfnis, Bücher zu kaufen, auch noch andre Bedürfnisse. Werden die Gegen¬ stände, die er zur Befriedigung eines Bedürfnisses verwendet, um 10 Prozent billiger, so kommt die Ersparnis durchaus nicht immer einer erhöhten Befrie¬ digung dieses Bedürfnisses zu Gute, ja vielfach ist dieses Bedürfnis gar nicht sehr dringend. Selbst wenn die Bierpreise plötzlich um 10 Prozent sänken, würde der gute Deutsche nicht ohne weiteres um 10 Prozent mehr trinken, viel weniger in unserm Falle um 10 Prozent mehr Bücher kaufen, die er sich noch dazu leihen kann. Dabei soll nicht bestritten werden, daß es einzelne Bücher- liebhaber giebt, welche der Rabatt zu vergrößerten Einkäufen lockt, sowie daß bei niedrigeren Bücherpreisen sich die Schicht der Bücherkäufer verbreitern kann, wenn das Bedürfnis geweckt wird. Aber es ist auch wohl zu beachten, daß breiteren Schichten nur gewisse Arten von Büchern (und nicht immer die besten) Grenzboten IV. 1887. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/481>, abgerufen am 25.08.2024.