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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

Stoa, Im folgenden Jahre erscheint Eduard Gans im Briefwechsel als ehr¬
furchtsvoll nahender Schüler mit der ersten Frucht des Hegelschen Geistes auf
dem Gebiete der Rechtswissenschaft, dem, ersten Bande seines "Erbrechts in hi¬
storischer Entwicklung." Bald bevorzugter Schüler und Freund, ist er die
eigentliche Seele der journalistischen Vertretung, welche sich Hegel in Berlin im
Gegensatz zur Akademie, ja sogar als Sammelpunkt einer Art Gegeuakademie
eigens für seine Philosophie schuf: der "Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik."
Ihre nicht ganz leichte Geburt vergegenwärtigen die "Bülletins" des dafür in
Deutschland "reisenden" Gans. In seiner Begleitung befindet sich sein Freund
in Hegel, der Ästhetiker Hotho. In rascher Folge sammelt sich nun die ältere
Garde der Hegelianer, im Briefwechsel teils selbständig auftretend, teils nach
allen Richtungen (oft nicht eben schmeichelhaft, z. B. Michelet von Cousin als
trof torrQÄlists) erwähnt. Schon ist das Ausland mannichfach vertreten: nicht
nur Frankreich durch deu freilich ganz besonders hervorstechenden Cousin, auch
die Niederlande durch van Ghert, die skandinavischen Länder durch den be¬
kannteren, für die Entwicklung des geistigen Lebens dort sehr wichtigen Hei¬
berg. Die zutrauliche Annäherung des liebenswürdigen philosophischen Hut¬
fabrikanten Eduard Duboc in Hamburg deutet auf die beginnende Wirksamkeit
im größern Publikum. Mit einem weiten Ausblicke in die eingangs gekenn¬
zeichneten mannichfachen Machtkreise der Hegelschen Philosophie entläßt so das
ihren innersten, von jenen großenteils so verschiednen Beziehungen geweihte
Buch seinen Leser.

Die Hegelsche Philosophie ist sür uns heute eine vollendete historische Er¬
scheinung geworden. Konnte das vorige Jahrzehnt noch allerorten, sogar in
dem seiner Geistesart so wenig entsprechenden Italien (Augusto Vera) be¬
merkenswerte, in Hegels Geiste wirkende Kräfte aufweisen, so erinnert das gegen¬
wärtige höchstens gelegentlich durch das Abscheiden eines überdauernden Vete¬
ranen an seine Lehre. Der Geist derselben wird uns aber noch gar oft in
Erinnerung gebracht; und wie kürzlich der Tod Kcitkows zu nachdenklichen Be¬
trachtungen über Bildungen und Verbildungen deutschen philosophischen Flug¬
samens anregte, so könnte ein literarischer Weltumsegler von einiger Findigkeit
noch gar manche seltsame Exemplare aller Gattungen aus der zeitgenössischen
Weltliteratur zusammenlesen, in deren exotischen Gestaltungen man mit Ver¬
wunderung schließlich heimische Pflanzen wiedererkennen würde. So billig es
nun ist, sich auch der Rückwirkung einmal als irrig erkannter Meinungen zu
entschlagen, so sehr es vor allem not thut, endlich einmal mit allen noch so
versteckten Maskirungen von Hegels mißratenem Kinde, dem wahrhaften srckg,ut
terribls des Jahrhunderts, nämlich seiner, gelind gesagt, rücksichtslosen Ethik
ebenso rücksichtslos zu brechen; so ungerecht ist es namentlich von gewissen
Seiten, vornehm über einen Mann hin zu urteilen, der leicht als Urheber
gerade der Phrasen nachzuweisen wäre, mit denen ^jene urteilen und verurteilen-


Hegel in seinen Briefen.

Stoa, Im folgenden Jahre erscheint Eduard Gans im Briefwechsel als ehr¬
furchtsvoll nahender Schüler mit der ersten Frucht des Hegelschen Geistes auf
dem Gebiete der Rechtswissenschaft, dem, ersten Bande seines „Erbrechts in hi¬
storischer Entwicklung." Bald bevorzugter Schüler und Freund, ist er die
eigentliche Seele der journalistischen Vertretung, welche sich Hegel in Berlin im
Gegensatz zur Akademie, ja sogar als Sammelpunkt einer Art Gegeuakademie
eigens für seine Philosophie schuf: der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik."
Ihre nicht ganz leichte Geburt vergegenwärtigen die „Bülletins" des dafür in
Deutschland „reisenden" Gans. In seiner Begleitung befindet sich sein Freund
in Hegel, der Ästhetiker Hotho. In rascher Folge sammelt sich nun die ältere
Garde der Hegelianer, im Briefwechsel teils selbständig auftretend, teils nach
allen Richtungen (oft nicht eben schmeichelhaft, z. B. Michelet von Cousin als
trof torrQÄlists) erwähnt. Schon ist das Ausland mannichfach vertreten: nicht
nur Frankreich durch deu freilich ganz besonders hervorstechenden Cousin, auch
die Niederlande durch van Ghert, die skandinavischen Länder durch den be¬
kannteren, für die Entwicklung des geistigen Lebens dort sehr wichtigen Hei¬
berg. Die zutrauliche Annäherung des liebenswürdigen philosophischen Hut¬
fabrikanten Eduard Duboc in Hamburg deutet auf die beginnende Wirksamkeit
im größern Publikum. Mit einem weiten Ausblicke in die eingangs gekenn¬
zeichneten mannichfachen Machtkreise der Hegelschen Philosophie entläßt so das
ihren innersten, von jenen großenteils so verschiednen Beziehungen geweihte
Buch seinen Leser.

Die Hegelsche Philosophie ist sür uns heute eine vollendete historische Er¬
scheinung geworden. Konnte das vorige Jahrzehnt noch allerorten, sogar in
dem seiner Geistesart so wenig entsprechenden Italien (Augusto Vera) be¬
merkenswerte, in Hegels Geiste wirkende Kräfte aufweisen, so erinnert das gegen¬
wärtige höchstens gelegentlich durch das Abscheiden eines überdauernden Vete¬
ranen an seine Lehre. Der Geist derselben wird uns aber noch gar oft in
Erinnerung gebracht; und wie kürzlich der Tod Kcitkows zu nachdenklichen Be¬
trachtungen über Bildungen und Verbildungen deutschen philosophischen Flug¬
samens anregte, so könnte ein literarischer Weltumsegler von einiger Findigkeit
noch gar manche seltsame Exemplare aller Gattungen aus der zeitgenössischen
Weltliteratur zusammenlesen, in deren exotischen Gestaltungen man mit Ver¬
wunderung schließlich heimische Pflanzen wiedererkennen würde. So billig es
nun ist, sich auch der Rückwirkung einmal als irrig erkannter Meinungen zu
entschlagen, so sehr es vor allem not thut, endlich einmal mit allen noch so
versteckten Maskirungen von Hegels mißratenem Kinde, dem wahrhaften srckg,ut
terribls des Jahrhunderts, nämlich seiner, gelind gesagt, rücksichtslosen Ethik
ebenso rücksichtslos zu brechen; so ungerecht ist es namentlich von gewissen
Seiten, vornehm über einen Mann hin zu urteilen, der leicht als Urheber
gerade der Phrasen nachzuweisen wäre, mit denen ^jene urteilen und verurteilen-


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[0045] Hegel in seinen Briefen. Stoa, Im folgenden Jahre erscheint Eduard Gans im Briefwechsel als ehr¬ furchtsvoll nahender Schüler mit der ersten Frucht des Hegelschen Geistes auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft, dem, ersten Bande seines „Erbrechts in hi¬ storischer Entwicklung." Bald bevorzugter Schüler und Freund, ist er die eigentliche Seele der journalistischen Vertretung, welche sich Hegel in Berlin im Gegensatz zur Akademie, ja sogar als Sammelpunkt einer Art Gegeuakademie eigens für seine Philosophie schuf: der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik." Ihre nicht ganz leichte Geburt vergegenwärtigen die „Bülletins" des dafür in Deutschland „reisenden" Gans. In seiner Begleitung befindet sich sein Freund in Hegel, der Ästhetiker Hotho. In rascher Folge sammelt sich nun die ältere Garde der Hegelianer, im Briefwechsel teils selbständig auftretend, teils nach allen Richtungen (oft nicht eben schmeichelhaft, z. B. Michelet von Cousin als trof torrQÄlists) erwähnt. Schon ist das Ausland mannichfach vertreten: nicht nur Frankreich durch deu freilich ganz besonders hervorstechenden Cousin, auch die Niederlande durch van Ghert, die skandinavischen Länder durch den be¬ kannteren, für die Entwicklung des geistigen Lebens dort sehr wichtigen Hei¬ berg. Die zutrauliche Annäherung des liebenswürdigen philosophischen Hut¬ fabrikanten Eduard Duboc in Hamburg deutet auf die beginnende Wirksamkeit im größern Publikum. Mit einem weiten Ausblicke in die eingangs gekenn¬ zeichneten mannichfachen Machtkreise der Hegelschen Philosophie entläßt so das ihren innersten, von jenen großenteils so verschiednen Beziehungen geweihte Buch seinen Leser. Die Hegelsche Philosophie ist sür uns heute eine vollendete historische Er¬ scheinung geworden. Konnte das vorige Jahrzehnt noch allerorten, sogar in dem seiner Geistesart so wenig entsprechenden Italien (Augusto Vera) be¬ merkenswerte, in Hegels Geiste wirkende Kräfte aufweisen, so erinnert das gegen¬ wärtige höchstens gelegentlich durch das Abscheiden eines überdauernden Vete¬ ranen an seine Lehre. Der Geist derselben wird uns aber noch gar oft in Erinnerung gebracht; und wie kürzlich der Tod Kcitkows zu nachdenklichen Be¬ trachtungen über Bildungen und Verbildungen deutschen philosophischen Flug¬ samens anregte, so könnte ein literarischer Weltumsegler von einiger Findigkeit noch gar manche seltsame Exemplare aller Gattungen aus der zeitgenössischen Weltliteratur zusammenlesen, in deren exotischen Gestaltungen man mit Ver¬ wunderung schließlich heimische Pflanzen wiedererkennen würde. So billig es nun ist, sich auch der Rückwirkung einmal als irrig erkannter Meinungen zu entschlagen, so sehr es vor allem not thut, endlich einmal mit allen noch so versteckten Maskirungen von Hegels mißratenem Kinde, dem wahrhaften srckg,ut terribls des Jahrhunderts, nämlich seiner, gelind gesagt, rücksichtslosen Ethik ebenso rücksichtslos zu brechen; so ungerecht ist es namentlich von gewissen Seiten, vornehm über einen Mann hin zu urteilen, der leicht als Urheber gerade der Phrasen nachzuweisen wäre, mit denen ^jene urteilen und verurteilen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/45>, abgerufen am 22.07.2024.