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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

Namens gewahrt, wenn auch sein Werk thatsächlich zu nichte war lange vor
den Hallischen Jahrbüchern und dem feierlichen Schisma der "Schule." Deut¬
lich sieht man es gerade wieder an Cousin, der als echter Franzose für die
Zeit einen feinen Geruch hatte und sich nun ebenso begeistert dem transsubstan-
zialisirten Schelling in die Arme warf, welcher auf den Hegelschen Trümmern
noch rasch seinen romantischen Thron errichten durfte, wie früher der absoluten
Vernunft des Katholikeufrcssers Hegel. Es wurde ihm allerdings bald schwül
dabei, und er zog sich auf das neutrale literarhistorische Gebiet zurück, das
noch gegenwärtig die Zeit beherrscht, auch hierin wieder -- ich sage das im
Gegensatz zum Herausgeber dieser Briefe -- eine feine Voraussicht und sich als
echten Schüler des verewigten Meisters bewahrend. Vergessen darf es Hegel
nicht werden, daß gerade er es war, der diesen wichtigen Mann dem Deutsch¬
tum zuführte. Er bezeichnet den deutlichen Merkpunkt für das endlich er¬
langte Übergewicht des deutschen über den französischen Geist, zu dem freilich
das Vorausgehen von Lessing, Kant und Goethe gehörte und das zu seinein
Bestehen nicht minder des blutigen Siegels von Sedan bedürfte. Noch heute
inmitten des krampfhaften Auflehnens des ehrgeizigsten Nationalitätsbewußtseins
gegen die Anerkennung dieses Übergewichts predigt Cousins eigenstes Werk, die
eoolö normale in Paris, wahrhaft philosophisch die versöhnlichen Tendenzen ihres
Begründers.

Ein Blick auf Hegels "Schule," soweit sie in den Briefen am Schlusse
auftritt, möge auch den Bericht über sie beschließen. Spät genug tritt sie auf.
Hegel machte aus seiner Abneigung gegen die Romantik keinen Hehl. Noi <^ni
us suis xs.8 trox inäigöno äaris oss brouillg-räh -- nämlich an inoiräs roirum-
tiqus, schreibt er ironisch Cousin gelegentlich des jungen Literarhistorikers
Ampere. Das entfremdete ihm das romantische Geschlecht. Gabler ist unter
den namhafterer Schülern der einzige, der ihn bereits in Jena hörte; er machte
aus seinen damaligen Nachschriften später ein Geheimnis. Andre, besonders
Windischmann, den Hegel Schellingen nicht entfremden konnte, beschuldigte er
später des Plagiates (an seiner Geschichtsphilosophie) und brach höchst feind¬
selig mit ihm. Erst mit jenem neuen, unruhigen, reformlustigen Geschlechte,
welches etwa die zwanziger Jahre brachten, das sich mit politisch-historischen
Idealen und vorwiegender Verstandesthätigkeit gegen das "Herz und Gefühl"
der poetisch-romantischen Zeit ganz im Hegelschen Sinne wandte, und vor¬
nehmlich erst in Berlin, dessen Asnius looi er in mannichfacher Hinsicht genannt
werden kann: erst da konnte seine eigentliche Wirksamkeit beginnen. Dann aber
entfaltet sie sich gleich in jenem für den Philosophen so ungewöhnlichem Ma߬
stabe, welcher sie noch dazu bei ihren starken Ansprüchen an Fleiß, Aufmerk¬
samkeit und Geist der Schüler so auffallend macht. Schon 1822 erzählt ein
"Leutnant Eichler von Berlin" Goethen (Notirtes und Gesammeltes auf der
Reise vom 16. Juni bis zum 29. August 1822) von dieser neuen Berliner


Hegel in seinen Briefen.

Namens gewahrt, wenn auch sein Werk thatsächlich zu nichte war lange vor
den Hallischen Jahrbüchern und dem feierlichen Schisma der „Schule." Deut¬
lich sieht man es gerade wieder an Cousin, der als echter Franzose für die
Zeit einen feinen Geruch hatte und sich nun ebenso begeistert dem transsubstan-
zialisirten Schelling in die Arme warf, welcher auf den Hegelschen Trümmern
noch rasch seinen romantischen Thron errichten durfte, wie früher der absoluten
Vernunft des Katholikeufrcssers Hegel. Es wurde ihm allerdings bald schwül
dabei, und er zog sich auf das neutrale literarhistorische Gebiet zurück, das
noch gegenwärtig die Zeit beherrscht, auch hierin wieder — ich sage das im
Gegensatz zum Herausgeber dieser Briefe — eine feine Voraussicht und sich als
echten Schüler des verewigten Meisters bewahrend. Vergessen darf es Hegel
nicht werden, daß gerade er es war, der diesen wichtigen Mann dem Deutsch¬
tum zuführte. Er bezeichnet den deutlichen Merkpunkt für das endlich er¬
langte Übergewicht des deutschen über den französischen Geist, zu dem freilich
das Vorausgehen von Lessing, Kant und Goethe gehörte und das zu seinein
Bestehen nicht minder des blutigen Siegels von Sedan bedürfte. Noch heute
inmitten des krampfhaften Auflehnens des ehrgeizigsten Nationalitätsbewußtseins
gegen die Anerkennung dieses Übergewichts predigt Cousins eigenstes Werk, die
eoolö normale in Paris, wahrhaft philosophisch die versöhnlichen Tendenzen ihres
Begründers.

Ein Blick auf Hegels „Schule," soweit sie in den Briefen am Schlusse
auftritt, möge auch den Bericht über sie beschließen. Spät genug tritt sie auf.
Hegel machte aus seiner Abneigung gegen die Romantik keinen Hehl. Noi <^ni
us suis xs.8 trox inäigöno äaris oss brouillg-räh — nämlich an inoiräs roirum-
tiqus, schreibt er ironisch Cousin gelegentlich des jungen Literarhistorikers
Ampere. Das entfremdete ihm das romantische Geschlecht. Gabler ist unter
den namhafterer Schülern der einzige, der ihn bereits in Jena hörte; er machte
aus seinen damaligen Nachschriften später ein Geheimnis. Andre, besonders
Windischmann, den Hegel Schellingen nicht entfremden konnte, beschuldigte er
später des Plagiates (an seiner Geschichtsphilosophie) und brach höchst feind¬
selig mit ihm. Erst mit jenem neuen, unruhigen, reformlustigen Geschlechte,
welches etwa die zwanziger Jahre brachten, das sich mit politisch-historischen
Idealen und vorwiegender Verstandesthätigkeit gegen das „Herz und Gefühl"
der poetisch-romantischen Zeit ganz im Hegelschen Sinne wandte, und vor¬
nehmlich erst in Berlin, dessen Asnius looi er in mannichfacher Hinsicht genannt
werden kann: erst da konnte seine eigentliche Wirksamkeit beginnen. Dann aber
entfaltet sie sich gleich in jenem für den Philosophen so ungewöhnlichem Ma߬
stabe, welcher sie noch dazu bei ihren starken Ansprüchen an Fleiß, Aufmerk¬
samkeit und Geist der Schüler so auffallend macht. Schon 1822 erzählt ein
„Leutnant Eichler von Berlin" Goethen (Notirtes und Gesammeltes auf der
Reise vom 16. Juni bis zum 29. August 1822) von dieser neuen Berliner


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[0044] Hegel in seinen Briefen. Namens gewahrt, wenn auch sein Werk thatsächlich zu nichte war lange vor den Hallischen Jahrbüchern und dem feierlichen Schisma der „Schule." Deut¬ lich sieht man es gerade wieder an Cousin, der als echter Franzose für die Zeit einen feinen Geruch hatte und sich nun ebenso begeistert dem transsubstan- zialisirten Schelling in die Arme warf, welcher auf den Hegelschen Trümmern noch rasch seinen romantischen Thron errichten durfte, wie früher der absoluten Vernunft des Katholikeufrcssers Hegel. Es wurde ihm allerdings bald schwül dabei, und er zog sich auf das neutrale literarhistorische Gebiet zurück, das noch gegenwärtig die Zeit beherrscht, auch hierin wieder — ich sage das im Gegensatz zum Herausgeber dieser Briefe — eine feine Voraussicht und sich als echten Schüler des verewigten Meisters bewahrend. Vergessen darf es Hegel nicht werden, daß gerade er es war, der diesen wichtigen Mann dem Deutsch¬ tum zuführte. Er bezeichnet den deutlichen Merkpunkt für das endlich er¬ langte Übergewicht des deutschen über den französischen Geist, zu dem freilich das Vorausgehen von Lessing, Kant und Goethe gehörte und das zu seinein Bestehen nicht minder des blutigen Siegels von Sedan bedürfte. Noch heute inmitten des krampfhaften Auflehnens des ehrgeizigsten Nationalitätsbewußtseins gegen die Anerkennung dieses Übergewichts predigt Cousins eigenstes Werk, die eoolö normale in Paris, wahrhaft philosophisch die versöhnlichen Tendenzen ihres Begründers. Ein Blick auf Hegels „Schule," soweit sie in den Briefen am Schlusse auftritt, möge auch den Bericht über sie beschließen. Spät genug tritt sie auf. Hegel machte aus seiner Abneigung gegen die Romantik keinen Hehl. Noi <^ni us suis xs.8 trox inäigöno äaris oss brouillg-räh — nämlich an inoiräs roirum- tiqus, schreibt er ironisch Cousin gelegentlich des jungen Literarhistorikers Ampere. Das entfremdete ihm das romantische Geschlecht. Gabler ist unter den namhafterer Schülern der einzige, der ihn bereits in Jena hörte; er machte aus seinen damaligen Nachschriften später ein Geheimnis. Andre, besonders Windischmann, den Hegel Schellingen nicht entfremden konnte, beschuldigte er später des Plagiates (an seiner Geschichtsphilosophie) und brach höchst feind¬ selig mit ihm. Erst mit jenem neuen, unruhigen, reformlustigen Geschlechte, welches etwa die zwanziger Jahre brachten, das sich mit politisch-historischen Idealen und vorwiegender Verstandesthätigkeit gegen das „Herz und Gefühl" der poetisch-romantischen Zeit ganz im Hegelschen Sinne wandte, und vor¬ nehmlich erst in Berlin, dessen Asnius looi er in mannichfacher Hinsicht genannt werden kann: erst da konnte seine eigentliche Wirksamkeit beginnen. Dann aber entfaltet sie sich gleich in jenem für den Philosophen so ungewöhnlichem Ma߬ stabe, welcher sie noch dazu bei ihren starken Ansprüchen an Fleiß, Aufmerk¬ samkeit und Geist der Schüler so auffallend macht. Schon 1822 erzählt ein „Leutnant Eichler von Berlin" Goethen (Notirtes und Gesammeltes auf der Reise vom 16. Juni bis zum 29. August 1822) von dieser neuen Berliner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/44>, abgerufen am 22.07.2024.