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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

die großen Führer der neuen poetischen Bewegung, Klopstock, Lessing und Goethe,
die Leipziger Universität jahrelang besucht, um jeder für sich und auf andern
Wegen zu der Überzeugung zu gelangen, daß ihre Natur und ihr innerer Drang
den Bruch mit der Literatur und dem Geschmack bedinge, welche ihren höchsten
und besten Ausdruck in Gellert fanden. Während aber von Klopstock bis Goethe
der gewaltige Umschwung vor sich ging, blieb in Leipzig eine ältere Literatur¬
überlieferung noch lange nach Gottscheds und Gellerts Tode lebendig. Christian
Felix Weiße, die beiden Clodius (Vater und Sohn), von einer Reihe andrer
zu schweigen, waren noch immer angesehene und sehr wirksame Vertreter der
echten sächsischen Schule, und ihr Einfluß auf die mittleren und kleineren Talente
wie auf die Neigungen des Leipziger Publikums war noch sehr groß. Zu
Rochlitzens Verdiensten gehört es, daß er, obwohl selbst nur ein mittleres
Talent, sich ganz entschlossen unter die neue Fahne stellte und unbekümmert
darum, daß er selbst, angesichts der gesteigerten Forderungen, der idealen Ansprüche,
unendlich weniger bedeutete, als er nach dem Maßstabe der älteren Leipziger
Schöngeisterei bedeutet haben würde. Tapfer und nur an die Sache hingegeben,
zog er für seine eigne, um des leidigen äußern Bedürfnisses willen lange Jahre
sehr ausgebreitete literarische Thätigkeit die Folgerung aus seinem ästhetischen
Glaubensbekenntnis, daß er sich unablässig bemühen müsse, einfach, rein, klar
und ohne falsches Pathos, ohne äußerliche falsche Sentimentalität zu schreiben.
Die Verehrung für Goethe und seine Meisterschaft, mit der Rochlitz heranwuchs
und die er in seinen Kreisen unablässig auszubreiten und zu vertiefen bemüht
war, trug ihm selbst die schönsten Früchte; wenn eine Anzahl seiner literarischen
Arbeiten dem Schicksal der Veraltung, das beinahe alle mittleren Talente rasch
ereilt, eben noch nicht anheimgefallen sind, so ist es ganz sicher dem zu danken,
was er sich -- des Unterschiedes zwischen dem größten Dichter und sich selbst
immer eingedenk -- bei und aus Goethe anzueignen wußte. Daß ihm die per¬
sönliche Achtung und die vertrauliche Verbindung mit dem Meister ein ander¬
weiter Lohn seines Strebens waren, erweisen die Briefe an Goethe beinahe
auf jedem Blatt.

Dem aufmerksamen Leser kann es nicht entgehen, daß der mit dem Jahre
1800 beginnende Briefwechsel in den ersten Jahren von Rochlitzens Seite neben
der reinsten Verehrung für Goethe eine gewisse Nückhaltung zeigt. Die da¬
malige Beziehung des jungen, uoch c"ut- und namenlosen Leipziger Schriftstellers
hatte eine Vor- und Nebengeschichte, welche nicht aus den bei Biedermann
abgedruckten Briefen Goethes oder Rochlitzens, aber aus dem ungedruckten Brief¬
wechsel des letzteren mit dem Weimarer Allerweltsfreunde, mit K. A. Böttiger,
dem Ubiaue des Goethe-Schillerkreises, zu erschließen ist. Rochlitz hatte zu diesem
ein Verhältnis gewonnen, ehe er persönlich in den Zauberkreis Goethes trat.
Als er nach seinen Hauslehrer- oder Hofmeisterjahren in Krimmitschau nach
^ipzig zurückkehrte, die Theologie an den Nagel hängte, nur auf die Einnahmen


Goethe und Rochlitz.

die großen Führer der neuen poetischen Bewegung, Klopstock, Lessing und Goethe,
die Leipziger Universität jahrelang besucht, um jeder für sich und auf andern
Wegen zu der Überzeugung zu gelangen, daß ihre Natur und ihr innerer Drang
den Bruch mit der Literatur und dem Geschmack bedinge, welche ihren höchsten
und besten Ausdruck in Gellert fanden. Während aber von Klopstock bis Goethe
der gewaltige Umschwung vor sich ging, blieb in Leipzig eine ältere Literatur¬
überlieferung noch lange nach Gottscheds und Gellerts Tode lebendig. Christian
Felix Weiße, die beiden Clodius (Vater und Sohn), von einer Reihe andrer
zu schweigen, waren noch immer angesehene und sehr wirksame Vertreter der
echten sächsischen Schule, und ihr Einfluß auf die mittleren und kleineren Talente
wie auf die Neigungen des Leipziger Publikums war noch sehr groß. Zu
Rochlitzens Verdiensten gehört es, daß er, obwohl selbst nur ein mittleres
Talent, sich ganz entschlossen unter die neue Fahne stellte und unbekümmert
darum, daß er selbst, angesichts der gesteigerten Forderungen, der idealen Ansprüche,
unendlich weniger bedeutete, als er nach dem Maßstabe der älteren Leipziger
Schöngeisterei bedeutet haben würde. Tapfer und nur an die Sache hingegeben,
zog er für seine eigne, um des leidigen äußern Bedürfnisses willen lange Jahre
sehr ausgebreitete literarische Thätigkeit die Folgerung aus seinem ästhetischen
Glaubensbekenntnis, daß er sich unablässig bemühen müsse, einfach, rein, klar
und ohne falsches Pathos, ohne äußerliche falsche Sentimentalität zu schreiben.
Die Verehrung für Goethe und seine Meisterschaft, mit der Rochlitz heranwuchs
und die er in seinen Kreisen unablässig auszubreiten und zu vertiefen bemüht
war, trug ihm selbst die schönsten Früchte; wenn eine Anzahl seiner literarischen
Arbeiten dem Schicksal der Veraltung, das beinahe alle mittleren Talente rasch
ereilt, eben noch nicht anheimgefallen sind, so ist es ganz sicher dem zu danken,
was er sich — des Unterschiedes zwischen dem größten Dichter und sich selbst
immer eingedenk — bei und aus Goethe anzueignen wußte. Daß ihm die per¬
sönliche Achtung und die vertrauliche Verbindung mit dem Meister ein ander¬
weiter Lohn seines Strebens waren, erweisen die Briefe an Goethe beinahe
auf jedem Blatt.

Dem aufmerksamen Leser kann es nicht entgehen, daß der mit dem Jahre
1800 beginnende Briefwechsel in den ersten Jahren von Rochlitzens Seite neben
der reinsten Verehrung für Goethe eine gewisse Nückhaltung zeigt. Die da¬
malige Beziehung des jungen, uoch c»ut- und namenlosen Leipziger Schriftstellers
hatte eine Vor- und Nebengeschichte, welche nicht aus den bei Biedermann
abgedruckten Briefen Goethes oder Rochlitzens, aber aus dem ungedruckten Brief¬
wechsel des letzteren mit dem Weimarer Allerweltsfreunde, mit K. A. Böttiger,
dem Ubiaue des Goethe-Schillerkreises, zu erschließen ist. Rochlitz hatte zu diesem
ein Verhältnis gewonnen, ehe er persönlich in den Zauberkreis Goethes trat.
Als er nach seinen Hauslehrer- oder Hofmeisterjahren in Krimmitschau nach
^ipzig zurückkehrte, die Theologie an den Nagel hängte, nur auf die Einnahmen


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[0435] Goethe und Rochlitz. die großen Führer der neuen poetischen Bewegung, Klopstock, Lessing und Goethe, die Leipziger Universität jahrelang besucht, um jeder für sich und auf andern Wegen zu der Überzeugung zu gelangen, daß ihre Natur und ihr innerer Drang den Bruch mit der Literatur und dem Geschmack bedinge, welche ihren höchsten und besten Ausdruck in Gellert fanden. Während aber von Klopstock bis Goethe der gewaltige Umschwung vor sich ging, blieb in Leipzig eine ältere Literatur¬ überlieferung noch lange nach Gottscheds und Gellerts Tode lebendig. Christian Felix Weiße, die beiden Clodius (Vater und Sohn), von einer Reihe andrer zu schweigen, waren noch immer angesehene und sehr wirksame Vertreter der echten sächsischen Schule, und ihr Einfluß auf die mittleren und kleineren Talente wie auf die Neigungen des Leipziger Publikums war noch sehr groß. Zu Rochlitzens Verdiensten gehört es, daß er, obwohl selbst nur ein mittleres Talent, sich ganz entschlossen unter die neue Fahne stellte und unbekümmert darum, daß er selbst, angesichts der gesteigerten Forderungen, der idealen Ansprüche, unendlich weniger bedeutete, als er nach dem Maßstabe der älteren Leipziger Schöngeisterei bedeutet haben würde. Tapfer und nur an die Sache hingegeben, zog er für seine eigne, um des leidigen äußern Bedürfnisses willen lange Jahre sehr ausgebreitete literarische Thätigkeit die Folgerung aus seinem ästhetischen Glaubensbekenntnis, daß er sich unablässig bemühen müsse, einfach, rein, klar und ohne falsches Pathos, ohne äußerliche falsche Sentimentalität zu schreiben. Die Verehrung für Goethe und seine Meisterschaft, mit der Rochlitz heranwuchs und die er in seinen Kreisen unablässig auszubreiten und zu vertiefen bemüht war, trug ihm selbst die schönsten Früchte; wenn eine Anzahl seiner literarischen Arbeiten dem Schicksal der Veraltung, das beinahe alle mittleren Talente rasch ereilt, eben noch nicht anheimgefallen sind, so ist es ganz sicher dem zu danken, was er sich — des Unterschiedes zwischen dem größten Dichter und sich selbst immer eingedenk — bei und aus Goethe anzueignen wußte. Daß ihm die per¬ sönliche Achtung und die vertrauliche Verbindung mit dem Meister ein ander¬ weiter Lohn seines Strebens waren, erweisen die Briefe an Goethe beinahe auf jedem Blatt. Dem aufmerksamen Leser kann es nicht entgehen, daß der mit dem Jahre 1800 beginnende Briefwechsel in den ersten Jahren von Rochlitzens Seite neben der reinsten Verehrung für Goethe eine gewisse Nückhaltung zeigt. Die da¬ malige Beziehung des jungen, uoch c»ut- und namenlosen Leipziger Schriftstellers hatte eine Vor- und Nebengeschichte, welche nicht aus den bei Biedermann abgedruckten Briefen Goethes oder Rochlitzens, aber aus dem ungedruckten Brief¬ wechsel des letzteren mit dem Weimarer Allerweltsfreunde, mit K. A. Böttiger, dem Ubiaue des Goethe-Schillerkreises, zu erschließen ist. Rochlitz hatte zu diesem ein Verhältnis gewonnen, ehe er persönlich in den Zauberkreis Goethes trat. Als er nach seinen Hauslehrer- oder Hofmeisterjahren in Krimmitschau nach ^ipzig zurückkehrte, die Theologie an den Nagel hängte, nur auf die Einnahmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/435>, abgerufen am 22.07.2024.