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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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kleiner, als man erwartete; namentlich mußte die rasche Bereitwilligkeit der
Häuptlinge zu Landabtretungeu freudig überrasche". Alles ging glatt bis auf
die Rückkehr, die der fast tollkühn in Angriff genommenen Expedition einen
Zug heldenmütigen Leidens und Ausharrens beimischt. Das Ziel aber war
erreicht: die Expedition hatte in wenig Wochen wohlbegründete deutsche Inter¬
essen im Osten Afrikas geschaffen, und die Erfüllung eines zweiten wesentlichen
Erfordernisses für ihren Bestand, die Sicherstellung des Erworbenen durch die
Schutzerklärung des Reiches, ließ nur überraschend kurze Zeit auf sich warten.
Der erste "Schutzbrief" unsrer Geschichte stellte vier Nachbarlandschaften des
Sultanats von Sansibar, etwa 2000 deutsche Quadratmeilen, unter den Schutz
unsers Kaisers.

Damit hatte man den schlafenden britischen Löwen geweckt, der sich nun
freilich nicht nach edler Löwenart geberdete, sondern nur mit List und Tücke
frühere Unterlassungssünden und Dummheiten gut zu machen suchte. Man
kennt zur Genüge die "Machenschaften," mit denen das stolze England in
Gestalt seines aus allen Himmeln geträumter künftiger Erfolge gestürzten
Generalkonsuls, des Sir John Kirk, beim Sultan angeblich dessen, in Wahrheit
natürlich seine eigne Sache betrieb; man weiß auch, daß sie blutige Früchte
zelligem, daß der edle Jühlke sein junges Leben lassen mußte für sein Wollen
und Glauben. Der geschmeidige englische Agent fand eben nur zu geneigtes
Gehör bei dem Sultan mit der aufreizenden Einflüsterung, daß die deutsche Fest¬
setzung in seinem Hinterkante einen rohen Eingriff, wenn nicht in seinen Rechts-,
so doch in seinen Machtkreis bedeute. Sein Beispiel und sein Befehl wirkten
natürlich weithin auf seiue schwarzen, arabischen und indischen Unterthanen, die zum
Teil ohnehin Religionshaß und die Besorgnis vor Konkurrenz im Zwischenhandel
zwischen den innerafrikanischen Handelsplätzen und den europäischen Firmen in
Sansibar den eindringenden Deutschen entfremdete. Inzwischen folgte, von der
ostafrikanischen Gesellschaft ausgeschickt, der Peters dem Namen nach als General¬
bevollmächtigter, im übrigen aber als Haupt und Seele des Ganzen vorstand,
eine Expedition der andern, und fast jede brachte neue Vertragsbriefc über weitere
große Landerwerbungeu, die in der zweck- und planmäßigsten Weise betrieben
wurden, nach Hause. Den fortwährenden Reibereien zwischen den Scmsibaren
und den Deutschen that im Sommer 1886 die bekannte Flottendemonstration, ein
neuer Beweis für die Bedeutung, welche der Reichskanzler dieser Besitzergreifung
beilegte, wirksamen Einhalt. Und wenn man vielfach weitergehende kriegerische
Zwangsmaßregeln erwartete, so zeigte sich bald, wie weise und sicher zum Ziele
führend gerade die immer wieder verträgliche Haltung der deutschen Neichsregierung
war: sie vertraute mit Recht der Macht der Zeit und dem nachhaltig wachsenden
Eindrucke der deutschen Erfolge und nahm daher die begreiflichen und englischer-
seits genährten Wutausbrüche, soweit es irgend ging, als vergängliche Stim¬
mungen geduldig in den Kauf. Es gelang denn auch, neben dem Abschlüsse eines


Grenzboten IV. 1837. S3

kleiner, als man erwartete; namentlich mußte die rasche Bereitwilligkeit der
Häuptlinge zu Landabtretungeu freudig überrasche». Alles ging glatt bis auf
die Rückkehr, die der fast tollkühn in Angriff genommenen Expedition einen
Zug heldenmütigen Leidens und Ausharrens beimischt. Das Ziel aber war
erreicht: die Expedition hatte in wenig Wochen wohlbegründete deutsche Inter¬
essen im Osten Afrikas geschaffen, und die Erfüllung eines zweiten wesentlichen
Erfordernisses für ihren Bestand, die Sicherstellung des Erworbenen durch die
Schutzerklärung des Reiches, ließ nur überraschend kurze Zeit auf sich warten.
Der erste „Schutzbrief" unsrer Geschichte stellte vier Nachbarlandschaften des
Sultanats von Sansibar, etwa 2000 deutsche Quadratmeilen, unter den Schutz
unsers Kaisers.

Damit hatte man den schlafenden britischen Löwen geweckt, der sich nun
freilich nicht nach edler Löwenart geberdete, sondern nur mit List und Tücke
frühere Unterlassungssünden und Dummheiten gut zu machen suchte. Man
kennt zur Genüge die „Machenschaften," mit denen das stolze England in
Gestalt seines aus allen Himmeln geträumter künftiger Erfolge gestürzten
Generalkonsuls, des Sir John Kirk, beim Sultan angeblich dessen, in Wahrheit
natürlich seine eigne Sache betrieb; man weiß auch, daß sie blutige Früchte
zelligem, daß der edle Jühlke sein junges Leben lassen mußte für sein Wollen
und Glauben. Der geschmeidige englische Agent fand eben nur zu geneigtes
Gehör bei dem Sultan mit der aufreizenden Einflüsterung, daß die deutsche Fest¬
setzung in seinem Hinterkante einen rohen Eingriff, wenn nicht in seinen Rechts-,
so doch in seinen Machtkreis bedeute. Sein Beispiel und sein Befehl wirkten
natürlich weithin auf seiue schwarzen, arabischen und indischen Unterthanen, die zum
Teil ohnehin Religionshaß und die Besorgnis vor Konkurrenz im Zwischenhandel
zwischen den innerafrikanischen Handelsplätzen und den europäischen Firmen in
Sansibar den eindringenden Deutschen entfremdete. Inzwischen folgte, von der
ostafrikanischen Gesellschaft ausgeschickt, der Peters dem Namen nach als General¬
bevollmächtigter, im übrigen aber als Haupt und Seele des Ganzen vorstand,
eine Expedition der andern, und fast jede brachte neue Vertragsbriefc über weitere
große Landerwerbungeu, die in der zweck- und planmäßigsten Weise betrieben
wurden, nach Hause. Den fortwährenden Reibereien zwischen den Scmsibaren
und den Deutschen that im Sommer 1886 die bekannte Flottendemonstration, ein
neuer Beweis für die Bedeutung, welche der Reichskanzler dieser Besitzergreifung
beilegte, wirksamen Einhalt. Und wenn man vielfach weitergehende kriegerische
Zwangsmaßregeln erwartete, so zeigte sich bald, wie weise und sicher zum Ziele
führend gerade die immer wieder verträgliche Haltung der deutschen Neichsregierung
war: sie vertraute mit Recht der Macht der Zeit und dem nachhaltig wachsenden
Eindrucke der deutschen Erfolge und nahm daher die begreiflichen und englischer-
seits genährten Wutausbrüche, soweit es irgend ging, als vergängliche Stim¬
mungen geduldig in den Kauf. Es gelang denn auch, neben dem Abschlüsse eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/425>, abgerufen am 22.07.2024.