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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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derselben sehr nahe war. Jetzt ergab sich auch, daß er in den schmutzigen Handel
der Limousin verwickelt war, und dabei kamen andre garstige Benutzungen seiner
Stellung in der unmittelbaren Nähe des Staatsoberhauptes zu Tage. Die Ent¬
deckung, daß Briefe, die man im Hause der Limousin in Beschlag genommen
und unter gerichtliches Siegel gelegt hatte, weggebracht und durch harmlosere
ersetzt worden waren, und der Verdacht, daß Wilson dabei beteiligt gewesen war,
ließ die ganze Angelegenheit eine gefährlichere Gestalt annehmen. General
Caffarels Prozeß wurde suspendirt und eine Untersuchung der Umstände an¬
geordnet, unter denen ein solcher unerhörter Eingriff in den Gang der Gerechtig¬
keit möglich gewesen war, aber dieser Schritt wurde von der Regierung erst
gethan, als die Kammer ihn gefordert hatte, und die notgedrungene Einwilligung
Vonseiten der Minister erschien als Niederlage. Mittlerweile tauschten die
Polizeipräfektur und das Gericht gegenseitig halbamtliche Beschuldigungen aus,
und die Entlassung des Prcifekten Gragnon schien zu beweisen, daß jedenfalls
die Regierung sich entschlossen hatte, zu Verfahren, als ob dieser Beamte sich
tadelnswert verhalten habe. Was das Ergebnis der Untersuchung sein und
wie weit es eine Schuld Wilsons -- gegen welchen unzweifelhaft das oui dazuo
in Anwendung kommt -- herausstellen wird, ist augenblicklich noch die Frage.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß selbst dann, wenn ihm die Be¬
seitigung kompromiltireuder Briefe und deren Ersetzung durch Fälschungen nicht
nachgewiesen wird, die Reinigung vom Verdacht über ein "wegen Mangel an
genügendem Beweise" hinausgehen wird, und in diesem Falle wird die Masse
von allgemein geglaubte" Beschuldigungen seiner Person um eine sehr schwere
vermehrt werden. Kurz, alles scheint immer deutlicher zu zeigen, daß es mit
der öffentlichen Laufbahn des Schwiegersohnes Grevys binnen kurzem zu Ende
sein wird. Zu gleicher Zeit mit diesen Vorgängen schien der Entschluß des
Präsidenten, ihn nach Möglichkeit zu unterstützen, zu schützen und mit dem
eignen Ansehen zu halten, immer fester zu werden. Hartnäckig sollte er die ihm
in der Sache von den Ministern gemachten Vorstellungen abgelehnt und erklärt
haben, sich von seinem Schwiegersöhne unter keinen Umständen trennen zu wollen.
Indes wird dieser Entschluß schwerlich noch lange vorhalten, und es ist kaum
zu bezweifeln, daß der betagte Präsident mit seinem stark ausgeprägten Fa¬
miliensinne sich sehr bald vor die Wahl gestellt sehen wird, entweder das
Tischtuch zwischen sich und dein mindestens stark anrüchigen und unmöglich
gewordenen Tochtermanne zu zerschneiden oder auf seine jetzige amtliche
Stellung an der Spitze der Republik zu verzichten. Rouvier und seine Kollegen
haben mit verzeihlichen Eifer, eine derartige Krisis zu vermeiden, sich nach
Kräften bemüht, Grevy diese schließliche Wahl zu ersparen, aber die Verbindung
von Parteigeist und ehrlicher Entrüstung, die in der Kammer gegen Wilson
und unmittelbar gegen dessen Schwiegervater andrängt, hat sich in jedem
Stadium der Angelegenheit stärker als sie erwiesen. Sie vermögen die Alter-


derselben sehr nahe war. Jetzt ergab sich auch, daß er in den schmutzigen Handel
der Limousin verwickelt war, und dabei kamen andre garstige Benutzungen seiner
Stellung in der unmittelbaren Nähe des Staatsoberhauptes zu Tage. Die Ent¬
deckung, daß Briefe, die man im Hause der Limousin in Beschlag genommen
und unter gerichtliches Siegel gelegt hatte, weggebracht und durch harmlosere
ersetzt worden waren, und der Verdacht, daß Wilson dabei beteiligt gewesen war,
ließ die ganze Angelegenheit eine gefährlichere Gestalt annehmen. General
Caffarels Prozeß wurde suspendirt und eine Untersuchung der Umstände an¬
geordnet, unter denen ein solcher unerhörter Eingriff in den Gang der Gerechtig¬
keit möglich gewesen war, aber dieser Schritt wurde von der Regierung erst
gethan, als die Kammer ihn gefordert hatte, und die notgedrungene Einwilligung
Vonseiten der Minister erschien als Niederlage. Mittlerweile tauschten die
Polizeipräfektur und das Gericht gegenseitig halbamtliche Beschuldigungen aus,
und die Entlassung des Prcifekten Gragnon schien zu beweisen, daß jedenfalls
die Regierung sich entschlossen hatte, zu Verfahren, als ob dieser Beamte sich
tadelnswert verhalten habe. Was das Ergebnis der Untersuchung sein und
wie weit es eine Schuld Wilsons — gegen welchen unzweifelhaft das oui dazuo
in Anwendung kommt — herausstellen wird, ist augenblicklich noch die Frage.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß selbst dann, wenn ihm die Be¬
seitigung kompromiltireuder Briefe und deren Ersetzung durch Fälschungen nicht
nachgewiesen wird, die Reinigung vom Verdacht über ein „wegen Mangel an
genügendem Beweise" hinausgehen wird, und in diesem Falle wird die Masse
von allgemein geglaubte» Beschuldigungen seiner Person um eine sehr schwere
vermehrt werden. Kurz, alles scheint immer deutlicher zu zeigen, daß es mit
der öffentlichen Laufbahn des Schwiegersohnes Grevys binnen kurzem zu Ende
sein wird. Zu gleicher Zeit mit diesen Vorgängen schien der Entschluß des
Präsidenten, ihn nach Möglichkeit zu unterstützen, zu schützen und mit dem
eignen Ansehen zu halten, immer fester zu werden. Hartnäckig sollte er die ihm
in der Sache von den Ministern gemachten Vorstellungen abgelehnt und erklärt
haben, sich von seinem Schwiegersöhne unter keinen Umständen trennen zu wollen.
Indes wird dieser Entschluß schwerlich noch lange vorhalten, und es ist kaum
zu bezweifeln, daß der betagte Präsident mit seinem stark ausgeprägten Fa¬
miliensinne sich sehr bald vor die Wahl gestellt sehen wird, entweder das
Tischtuch zwischen sich und dein mindestens stark anrüchigen und unmöglich
gewordenen Tochtermanne zu zerschneiden oder auf seine jetzige amtliche
Stellung an der Spitze der Republik zu verzichten. Rouvier und seine Kollegen
haben mit verzeihlichen Eifer, eine derartige Krisis zu vermeiden, sich nach
Kräften bemüht, Grevy diese schließliche Wahl zu ersparen, aber die Verbindung
von Parteigeist und ehrlicher Entrüstung, die in der Kammer gegen Wilson
und unmittelbar gegen dessen Schwiegervater andrängt, hat sich in jedem
Stadium der Angelegenheit stärker als sie erwiesen. Sie vermögen die Alter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/418>, abgerufen am 25.08.2024.