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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Hegel in seinen Briefen.

Die treuen Schützer und Berater von Hegels langer Junggesellenzeit waren der
durch sein philosophisches Journal und seine Verdienste um das bairische Unter¬
richtswesen bekannte Niethammer und seine Frau, "die beste Frau," wie Hegel
sie nannte. Sie waren mit Goethe die rettenden Engel in Hegels damaligen,
bei persönlicher Mittellosigkeit, einem Gehalte von hundert Thalern und den
tollen Zeitläuften sehr erklärlichen chronischen Geldverlegenheiten. Die Briefe
an Niethammer sind übrigens wegen der Einblicke in die damaligen Experimente
der bairischen Schulverwaltung wichtig, sie haben dadurch, daß sie mitunter sehr
stark von heutigen Verhältnissen abstechen, Aufsehe" erregt, noch mehr aber
verdienen sie es wegen der den ganzen Charakter der Zeit spiegelnden philo¬
sophischen Wagehalsigkeit jener Experimente. Da giebt es "Rechts- und Pflichten¬
lehre" in der Untersekunda, "Kosmologie und natürliche (!) Theologie" in der
Oberftkunda, "wobei zu gebrauchen die Kantischen Kritiken der Beweise für das
Dasein Gottes"; für die Pruner "Psychologie" nebst "deu ethischen und recht¬
lichen Begriffen, für welchen letztern Lehrkursus die Kantischen Schriften vor¬
läufig (!) ausreichen," und "Zusammenfassung der zuvor einzeln behandelten
Objekte in einer philosophischen Encyklopädie." Diese "politisch-naturwissenschaft¬
liche Aufklärung" im Jugendunterricht scheint (Br. 110) selbst dem Nürnberger
philosophischen Rektor ein bischen zu reich gewesen zu sein. Ob die aus diesem
Unterricht hervorgegangenen Baiern dem Ideale unsrer Zeitungen entsprochen
haben, bleibt dunkel; zum mindesten nennt nicht gar zu lange darnach Schelling
die Münchner Gymnasien "wahre geistige und moralische Mördergruben" (Aus
Schellings Leben III, S. 3). Man sieht eben, der Schulplan macht es nicht
allein.

Ferner ist das Verhältnis Hegels zu Paulus bemerkenswert. Der be¬
rühmte Theologe hat seinen beiden philosophischen Landsleuten in ihrer gemein¬
samen naturphilosophischen Periode in Jena sehr nahe gestanden, sich aber sehr
bald mit Schelling vollständig und mit Hegel später aus politischen Gründen
verfeindet (1817 bei Gelegenheit des württembergischen Verfassungsstreites, in
welchem Hegel mit einem viel beredeten Erlaß in den Heidelberger Jahrbüchern
gegen die allerdings ganz Plan- und haltlosen Stände für die staatliche Selb¬
ständigkeit Württembergs auftrat). Hegel übte schon früh an ihm seinen über¬
legenen Witz, ohne jedoch jemals öffentlich gegen ihn aufzutreten, wie Schelling,
der die Zwistigkeiten bis zu einem tobenden Kampfe anfachte. Die Frau von
Paulus, das Urbild eines weiblichen Professors, wie sie sich in Universitätskreisen
mitunter zu entwickeln pflegen, hätte Hegel sehr gern auf diplomatische Weise
an den Heerbann ihres streitbaren Herrn Gemahls gefesselt. Seine bedeutende
und eigenartige Tochter Emmi war Hegel bestimmt, dieselbe, welche dann, tragisch
genug, dem letzten Liebesversuch des alternden Gecken August Wilhelm von Schlegel
zum Opfer fiel. Hegel ging -- vielleicht hauptsächlich aus jenen Gründen --
dem Verhältnis aus dem Wege, was vielleicht schon die innere Veranlassung


Grenzboten IV. 1887. S
Hegel in seinen Briefen.

Die treuen Schützer und Berater von Hegels langer Junggesellenzeit waren der
durch sein philosophisches Journal und seine Verdienste um das bairische Unter¬
richtswesen bekannte Niethammer und seine Frau, „die beste Frau," wie Hegel
sie nannte. Sie waren mit Goethe die rettenden Engel in Hegels damaligen,
bei persönlicher Mittellosigkeit, einem Gehalte von hundert Thalern und den
tollen Zeitläuften sehr erklärlichen chronischen Geldverlegenheiten. Die Briefe
an Niethammer sind übrigens wegen der Einblicke in die damaligen Experimente
der bairischen Schulverwaltung wichtig, sie haben dadurch, daß sie mitunter sehr
stark von heutigen Verhältnissen abstechen, Aufsehe» erregt, noch mehr aber
verdienen sie es wegen der den ganzen Charakter der Zeit spiegelnden philo¬
sophischen Wagehalsigkeit jener Experimente. Da giebt es „Rechts- und Pflichten¬
lehre" in der Untersekunda, „Kosmologie und natürliche (!) Theologie" in der
Oberftkunda, „wobei zu gebrauchen die Kantischen Kritiken der Beweise für das
Dasein Gottes"; für die Pruner „Psychologie" nebst „deu ethischen und recht¬
lichen Begriffen, für welchen letztern Lehrkursus die Kantischen Schriften vor¬
läufig (!) ausreichen," und „Zusammenfassung der zuvor einzeln behandelten
Objekte in einer philosophischen Encyklopädie." Diese „politisch-naturwissenschaft¬
liche Aufklärung" im Jugendunterricht scheint (Br. 110) selbst dem Nürnberger
philosophischen Rektor ein bischen zu reich gewesen zu sein. Ob die aus diesem
Unterricht hervorgegangenen Baiern dem Ideale unsrer Zeitungen entsprochen
haben, bleibt dunkel; zum mindesten nennt nicht gar zu lange darnach Schelling
die Münchner Gymnasien „wahre geistige und moralische Mördergruben" (Aus
Schellings Leben III, S. 3). Man sieht eben, der Schulplan macht es nicht
allein.

Ferner ist das Verhältnis Hegels zu Paulus bemerkenswert. Der be¬
rühmte Theologe hat seinen beiden philosophischen Landsleuten in ihrer gemein¬
samen naturphilosophischen Periode in Jena sehr nahe gestanden, sich aber sehr
bald mit Schelling vollständig und mit Hegel später aus politischen Gründen
verfeindet (1817 bei Gelegenheit des württembergischen Verfassungsstreites, in
welchem Hegel mit einem viel beredeten Erlaß in den Heidelberger Jahrbüchern
gegen die allerdings ganz Plan- und haltlosen Stände für die staatliche Selb¬
ständigkeit Württembergs auftrat). Hegel übte schon früh an ihm seinen über¬
legenen Witz, ohne jedoch jemals öffentlich gegen ihn aufzutreten, wie Schelling,
der die Zwistigkeiten bis zu einem tobenden Kampfe anfachte. Die Frau von
Paulus, das Urbild eines weiblichen Professors, wie sie sich in Universitätskreisen
mitunter zu entwickeln pflegen, hätte Hegel sehr gern auf diplomatische Weise
an den Heerbann ihres streitbaren Herrn Gemahls gefesselt. Seine bedeutende
und eigenartige Tochter Emmi war Hegel bestimmt, dieselbe, welche dann, tragisch
genug, dem letzten Liebesversuch des alternden Gecken August Wilhelm von Schlegel
zum Opfer fiel. Hegel ging — vielleicht hauptsächlich aus jenen Gründen —
dem Verhältnis aus dem Wege, was vielleicht schon die innere Veranlassung


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[0041] Hegel in seinen Briefen. Die treuen Schützer und Berater von Hegels langer Junggesellenzeit waren der durch sein philosophisches Journal und seine Verdienste um das bairische Unter¬ richtswesen bekannte Niethammer und seine Frau, „die beste Frau," wie Hegel sie nannte. Sie waren mit Goethe die rettenden Engel in Hegels damaligen, bei persönlicher Mittellosigkeit, einem Gehalte von hundert Thalern und den tollen Zeitläuften sehr erklärlichen chronischen Geldverlegenheiten. Die Briefe an Niethammer sind übrigens wegen der Einblicke in die damaligen Experimente der bairischen Schulverwaltung wichtig, sie haben dadurch, daß sie mitunter sehr stark von heutigen Verhältnissen abstechen, Aufsehe» erregt, noch mehr aber verdienen sie es wegen der den ganzen Charakter der Zeit spiegelnden philo¬ sophischen Wagehalsigkeit jener Experimente. Da giebt es „Rechts- und Pflichten¬ lehre" in der Untersekunda, „Kosmologie und natürliche (!) Theologie" in der Oberftkunda, „wobei zu gebrauchen die Kantischen Kritiken der Beweise für das Dasein Gottes"; für die Pruner „Psychologie" nebst „deu ethischen und recht¬ lichen Begriffen, für welchen letztern Lehrkursus die Kantischen Schriften vor¬ läufig (!) ausreichen," und „Zusammenfassung der zuvor einzeln behandelten Objekte in einer philosophischen Encyklopädie." Diese „politisch-naturwissenschaft¬ liche Aufklärung" im Jugendunterricht scheint (Br. 110) selbst dem Nürnberger philosophischen Rektor ein bischen zu reich gewesen zu sein. Ob die aus diesem Unterricht hervorgegangenen Baiern dem Ideale unsrer Zeitungen entsprochen haben, bleibt dunkel; zum mindesten nennt nicht gar zu lange darnach Schelling die Münchner Gymnasien „wahre geistige und moralische Mördergruben" (Aus Schellings Leben III, S. 3). Man sieht eben, der Schulplan macht es nicht allein. Ferner ist das Verhältnis Hegels zu Paulus bemerkenswert. Der be¬ rühmte Theologe hat seinen beiden philosophischen Landsleuten in ihrer gemein¬ samen naturphilosophischen Periode in Jena sehr nahe gestanden, sich aber sehr bald mit Schelling vollständig und mit Hegel später aus politischen Gründen verfeindet (1817 bei Gelegenheit des württembergischen Verfassungsstreites, in welchem Hegel mit einem viel beredeten Erlaß in den Heidelberger Jahrbüchern gegen die allerdings ganz Plan- und haltlosen Stände für die staatliche Selb¬ ständigkeit Württembergs auftrat). Hegel übte schon früh an ihm seinen über¬ legenen Witz, ohne jedoch jemals öffentlich gegen ihn aufzutreten, wie Schelling, der die Zwistigkeiten bis zu einem tobenden Kampfe anfachte. Die Frau von Paulus, das Urbild eines weiblichen Professors, wie sie sich in Universitätskreisen mitunter zu entwickeln pflegen, hätte Hegel sehr gern auf diplomatische Weise an den Heerbann ihres streitbaren Herrn Gemahls gefesselt. Seine bedeutende und eigenartige Tochter Emmi war Hegel bestimmt, dieselbe, welche dann, tragisch genug, dem letzten Liebesversuch des alternden Gecken August Wilhelm von Schlegel zum Opfer fiel. Hegel ging — vielleicht hauptsächlich aus jenen Gründen — dem Verhältnis aus dem Wege, was vielleicht schon die innere Veranlassung Grenzboten IV. 1887. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/41>, abgerufen am 22.07.2024.