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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Der Schulmeister war verreist gewesen, um seine Mutter zur letzten
Ruhe zu geleiten -- sein Vater hatte schon lange auf dem Friedhofe auf sie
gewartet --, und nun kehrte er in sein Dorf zurück, sein ganzes väterliches
und mütterliches Erbe in den Armen haltend. Das ward ihm nicht schwer,
denn der Tod war alles, was ihm Vater und Mutter hinterlassen hatten. Den
Fuß auf das Knie des Schulmeisters gesetzt, von seinen Armen umschlossen, hielt
er seinen Einzug in das Dorf, und als sich die arglosen Bewohner desselben
neugierig um den Wagen sammelten, um das Erbe in Augenschein zu nehmen,
starrte sie nur das Bild des Todes an, sodaß ihnen angst und bange wurde.

Freilich waren auch sie nicht unbekannt mit dem Tode, und von Zeit zu
Zeit pflegte er auch ihr stilles Dorf heimzusuchen, aber sie waren daran gewöhnt,
ihn kommen und verschwinden zu sehen, wie eine brave, vernünftige Persönlichkeit,
die keinen unnötigen Aufstand macht. Von angenehmem Äußern, ruhigen,
sinnigen Wesens, pflegte er mit einigen schönen, einlullenden Worten die¬
jenigen von dieser Welt abzuberufen, die nun doch einmal mit dem Leben
fertig waren, den Hinterbleibenden verursachte er keine weitere Unruhe, sie
stärkten sich hinterher an einem kleinen Leichenschmaus und schliefen am Abend
eben so ruhig ein wie immer.

Was in aller Welt hatte es nun zu bedeuten, daß er jetzt so urplötzlich
in seiner widerwärtigen Nacktheit bei ihnen angefahren kam? Es sah ja fast
aus, als gukte ein spöttisches Lächeln über seine breiten Backenknochen und
seine glänzend weißen Zähne, während er auf sie herabsah und die tiefste Finsternis
sie drohend aus seinen leeren Augenhöhlen anstarrte. Über das Ganze war
ein erschütternder Ernst gebreitet, der nicht abzuschütteln war, und eine wunder¬
bare Traurigkeit teilte sich allen mit, ehe sie sich selber klar darüber wurden.
Nein, so hatten sie den Tod früher niemals gesehen, und so mochten sie ihn
auch gar nicht leiden.

Der Schulmeister aber hängte das Bild in seinem Schlafzimmer auf und
wies ihm dort sogar den Ehrenplatz an, sodaß er es am Morgen wie am
Abend stets vor Augen hatte. Die Bewohner des Dorfes hielten große Stücke
auf ihren jungen Schulmeister, und das verdiente er auch; wie aber konnte
er es sich nur einfallen lassen, sich einen solchen Schlafgefährten zu wählen?
Das konnten sie durchaus nicht begreifen, und wenn sie etwas nicht begreifen
konnten, so mußte dabei der Teufel die Hand im Spiele haben, davon waren
sie fest überzeugt.

Schließlich bekamen sie es denn auf irgend eine Weise heraus, daß dies
etwas rein Katholisches sei; mit so einem Totenkopf pflegten sich die Erz-
katholiken in ihren Zellen und Klöstern einzumauern. Da ward es den guten
Leuten denn doch zu viel; es war ja auch wirklich kein Spaß, wenn der
Schulmeister die ganze, liebe Jugend des Dorfes katholisch machte! Sie fingen
an, auf Abhilfe zu sinnen. So hatte denn der Tod die ganze Einwohnerschaft


Gevatter Tod.

Der Schulmeister war verreist gewesen, um seine Mutter zur letzten
Ruhe zu geleiten — sein Vater hatte schon lange auf dem Friedhofe auf sie
gewartet —, und nun kehrte er in sein Dorf zurück, sein ganzes väterliches
und mütterliches Erbe in den Armen haltend. Das ward ihm nicht schwer,
denn der Tod war alles, was ihm Vater und Mutter hinterlassen hatten. Den
Fuß auf das Knie des Schulmeisters gesetzt, von seinen Armen umschlossen, hielt
er seinen Einzug in das Dorf, und als sich die arglosen Bewohner desselben
neugierig um den Wagen sammelten, um das Erbe in Augenschein zu nehmen,
starrte sie nur das Bild des Todes an, sodaß ihnen angst und bange wurde.

Freilich waren auch sie nicht unbekannt mit dem Tode, und von Zeit zu
Zeit pflegte er auch ihr stilles Dorf heimzusuchen, aber sie waren daran gewöhnt,
ihn kommen und verschwinden zu sehen, wie eine brave, vernünftige Persönlichkeit,
die keinen unnötigen Aufstand macht. Von angenehmem Äußern, ruhigen,
sinnigen Wesens, pflegte er mit einigen schönen, einlullenden Worten die¬
jenigen von dieser Welt abzuberufen, die nun doch einmal mit dem Leben
fertig waren, den Hinterbleibenden verursachte er keine weitere Unruhe, sie
stärkten sich hinterher an einem kleinen Leichenschmaus und schliefen am Abend
eben so ruhig ein wie immer.

Was in aller Welt hatte es nun zu bedeuten, daß er jetzt so urplötzlich
in seiner widerwärtigen Nacktheit bei ihnen angefahren kam? Es sah ja fast
aus, als gukte ein spöttisches Lächeln über seine breiten Backenknochen und
seine glänzend weißen Zähne, während er auf sie herabsah und die tiefste Finsternis
sie drohend aus seinen leeren Augenhöhlen anstarrte. Über das Ganze war
ein erschütternder Ernst gebreitet, der nicht abzuschütteln war, und eine wunder¬
bare Traurigkeit teilte sich allen mit, ehe sie sich selber klar darüber wurden.
Nein, so hatten sie den Tod früher niemals gesehen, und so mochten sie ihn
auch gar nicht leiden.

Der Schulmeister aber hängte das Bild in seinem Schlafzimmer auf und
wies ihm dort sogar den Ehrenplatz an, sodaß er es am Morgen wie am
Abend stets vor Augen hatte. Die Bewohner des Dorfes hielten große Stücke
auf ihren jungen Schulmeister, und das verdiente er auch; wie aber konnte
er es sich nur einfallen lassen, sich einen solchen Schlafgefährten zu wählen?
Das konnten sie durchaus nicht begreifen, und wenn sie etwas nicht begreifen
konnten, so mußte dabei der Teufel die Hand im Spiele haben, davon waren
sie fest überzeugt.

Schließlich bekamen sie es denn auf irgend eine Weise heraus, daß dies
etwas rein Katholisches sei; mit so einem Totenkopf pflegten sich die Erz-
katholiken in ihren Zellen und Klöstern einzumauern. Da ward es den guten
Leuten denn doch zu viel; es war ja auch wirklich kein Spaß, wenn der
Schulmeister die ganze, liebe Jugend des Dorfes katholisch machte! Sie fingen
an, auf Abhilfe zu sinnen. So hatte denn der Tod die ganze Einwohnerschaft


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[0406] Gevatter Tod. Der Schulmeister war verreist gewesen, um seine Mutter zur letzten Ruhe zu geleiten — sein Vater hatte schon lange auf dem Friedhofe auf sie gewartet —, und nun kehrte er in sein Dorf zurück, sein ganzes väterliches und mütterliches Erbe in den Armen haltend. Das ward ihm nicht schwer, denn der Tod war alles, was ihm Vater und Mutter hinterlassen hatten. Den Fuß auf das Knie des Schulmeisters gesetzt, von seinen Armen umschlossen, hielt er seinen Einzug in das Dorf, und als sich die arglosen Bewohner desselben neugierig um den Wagen sammelten, um das Erbe in Augenschein zu nehmen, starrte sie nur das Bild des Todes an, sodaß ihnen angst und bange wurde. Freilich waren auch sie nicht unbekannt mit dem Tode, und von Zeit zu Zeit pflegte er auch ihr stilles Dorf heimzusuchen, aber sie waren daran gewöhnt, ihn kommen und verschwinden zu sehen, wie eine brave, vernünftige Persönlichkeit, die keinen unnötigen Aufstand macht. Von angenehmem Äußern, ruhigen, sinnigen Wesens, pflegte er mit einigen schönen, einlullenden Worten die¬ jenigen von dieser Welt abzuberufen, die nun doch einmal mit dem Leben fertig waren, den Hinterbleibenden verursachte er keine weitere Unruhe, sie stärkten sich hinterher an einem kleinen Leichenschmaus und schliefen am Abend eben so ruhig ein wie immer. Was in aller Welt hatte es nun zu bedeuten, daß er jetzt so urplötzlich in seiner widerwärtigen Nacktheit bei ihnen angefahren kam? Es sah ja fast aus, als gukte ein spöttisches Lächeln über seine breiten Backenknochen und seine glänzend weißen Zähne, während er auf sie herabsah und die tiefste Finsternis sie drohend aus seinen leeren Augenhöhlen anstarrte. Über das Ganze war ein erschütternder Ernst gebreitet, der nicht abzuschütteln war, und eine wunder¬ bare Traurigkeit teilte sich allen mit, ehe sie sich selber klar darüber wurden. Nein, so hatten sie den Tod früher niemals gesehen, und so mochten sie ihn auch gar nicht leiden. Der Schulmeister aber hängte das Bild in seinem Schlafzimmer auf und wies ihm dort sogar den Ehrenplatz an, sodaß er es am Morgen wie am Abend stets vor Augen hatte. Die Bewohner des Dorfes hielten große Stücke auf ihren jungen Schulmeister, und das verdiente er auch; wie aber konnte er es sich nur einfallen lassen, sich einen solchen Schlafgefährten zu wählen? Das konnten sie durchaus nicht begreifen, und wenn sie etwas nicht begreifen konnten, so mußte dabei der Teufel die Hand im Spiele haben, davon waren sie fest überzeugt. Schließlich bekamen sie es denn auf irgend eine Weise heraus, daß dies etwas rein Katholisches sei; mit so einem Totenkopf pflegten sich die Erz- katholiken in ihren Zellen und Klöstern einzumauern. Da ward es den guten Leuten denn doch zu viel; es war ja auch wirklich kein Spaß, wenn der Schulmeister die ganze, liebe Jugend des Dorfes katholisch machte! Sie fingen an, auf Abhilfe zu sinnen. So hatte denn der Tod die ganze Einwohnerschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/406>, abgerufen am 22.07.2024.